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Randbemerkungen zur woche

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LEOPOLD KVNSCHAKS 80. Geburtstag war auch ein Ehrentag der christlichen Demokratie in Österreich. Denn mit ihren Erfolgen, Kämpfen und zeitlichen Rückschlägen ist der Name des Präsidenten des Nationalrates untrennbar verbunden, seitdem der junge Sattlergehilfe den politischen Kampf für die gerechte Sache des arbeitenden Menschen begann. Ein entscheidendes Datum für seinen Lebensweg rief der Jubilar am Tage seiner Ehrung selbst in Erinnerung. Es war der August 1894. Damals wurde in Wien der „Erste soziale Kursus'', auf dem das geistige und soziale Fundament der aufstrebenden Bewegung Luegers gelegt werden sollte, abgehalten. Auch der junge österreichische Klerus war zahlreich vertreten. In. seinen Reihen standen ein Piffl, Waitz, Groß, Schinzl — Männer, die zu hohen Würden berufen werden sollten. Aus christlichem Gewissen rief man zur sozialen Tat. Diese ließ nicht auf sich warten. Kurz nach Abschluß des „Kursus“ wurde die christlichsoziale Arbeiterbewegung gegründet. Kunschak war ihr Gründer, ihr Herz und ihre Seele. Es ist eine tiefe Vragik, daß das Werk nach verheißungsvollen Anfangserfolgen nicht mit dem Elan der ersten Jahre fortgeführt werden konnte. Ein Kapitel österreichischer Geschichte hätte vielleicht anders geschrieben werden können. Diese Erinnerung ist heilsam. Sie lenkt auch das Augenmerk der Gegenwart auf das, was not tut. Sie mahnt, daß die soziale Arbeit unter der Arbeiterschaft, für die Arbeiterschaft ein Gebot für jede Partei ist, die ihre Wurzeln im Volk haben will. Es gibt keine Volkspartei ohne Arbeiterbewegung.

DER PAPST UND DIE LIEBE nannte sich ein Artikel des sozialistischen Hauptorgans in Österreich, der in gehässiger Weise zu der Ansprache des Papstes anläßlich des Kongresses der Geburtshelferinnen in Rom Stellung nahm. Wer diesen Artikel las, mußte sich, auch ohne die Ansprache des Papstes zu kennen, sofort sagen, daß die wiedergegebenen Worte niemals aus dem Mund des Papstes gekommen sein konnten. Zu sehr widersprachen sie allem, was seit je als katholische Ehelehre gilt, etwa: Ehe sei gleich Kinderzeugen, Ehepartner, die steril geworden seien, dürften nicht mehr verkehren, das Leben eines Kindes müßte auf Kosten des Lebens der Mutter gerettet werden und anderes mehr. Der Schreiber dürfte vor allem kein eifriger Leser der päpstlichen Rundschreiben sein. Denn sonst müßte er bereits im Jahre 1930 im Eherundschreiben Pius' XL, „Casti Conubti“, bemerkt hoben, daß die Methode Knaus keineswegs abgelehnt wird. Im gleichen Rundschreiben hätte er, was uralte JLehre der Kirche ist, auch bereits lesen können, daß die katholische Religion primäre und sekundäre Zwecke der Ehe unterscheidet. Primärer Zweck ist wohl die Weitergabe des Lebens, sekundär dagegen die wechselseitige Hilfe, die Betätigung der ehelichen Liebe. Auch Pius XII. sagte in der Ansprache ausdrücklich, daß „die Ehegatten, die die Lust suchen und genießen, nicht Schlechtes tun. Sie tun nur, was ihnen der Schöpfer bestimmt hat“. Aus dieser Hochachtung vor den personalen Werten des Geschlechtlichen hat die Kirche sich deshalb auch gegen die künstliche Befruchtung ausgesprochen. Nur in einem Punkt hat der Schreiber recht: der Papst verurteilt die Abtreibung. Denn „jeder Mensch, auch das Kind im Mutterleib, hat ein Recht zum Leben. Das Leben des unschuldigen Menschen ist unantastbar. Ergibt sich bei der Geburt eine Komplikation, dann“, so sagt der Papst, „ist das Leben der Mutter zu retten ein überaus hohes Ziel. Doch die direkte Tötung des Kindes als Mittel zu diesem Zweck ist nicht erlaubt.“ Der Zweck heiligt in der katholischen Kirche nicht die Mittel. Mord ist Mord. Er wird nicht nach Zentimetern gemessen. Er ist ein Verbrechen an einem Riesen oder an einem Zwerg. Er ist ein Verbrechen an einem Kind, sei es geboren oder ungeboren. Der Schreiber des Artikels sagt aber, es sei unsozial, so viele Kinder auf die Welt zu bringen. Sie nehmen den anderen das Essen weg und bereiten ihnen eine menschenunwürdige Existenz. Ähnlich haben die Nationalsozialisten argumentiert, als sie die Alten, Irren, Gebrechlichen usw. „liquidierten“. Der Anschlag auf das Leben des ungeborenen Kindes ist der Beginn jenes Weges, der in den Gaskammern von Auschwitz und Majdanek endigt.

DER WEISSE KITTEL hat die blau« Bluse abgelöst. Als vor einigen Monaten Wiener Jung'irzte in ihren ArbeitsWeidern vor das Parlament zogen, um für eine gerechte Entlohnung ihrer so verantwortungsvollen Arbeit zu demonstrieren, wurde es in aller Öffentlichkeit und Offenheit deutlich, wo heute die Enterbten der Gesellschaft zu suchen sind — unter den geistigen Arbeitern. Das Symbol des weißen Kittels bleibt, auch tuenn diesmal die Rechtspraktikanten sich gezwungen sehen, zum letzten gewerkschaftlichen Mittel zu greifen, in den Streik zu treten. Ihre Forderung? Sie ist alles andere als unbillig, sondern im Gegenteil äußerst bescheiden. Das Adjutum soll einheitlich auf 740 Schilling erhöht werden. 740 Schilling im Monat! Ein ungelernter Hilfsarbeiter würde es sich heute dreimal überlegen, eine Stelle für diesen Lohn anzunehmen. Den jungen Akademikern wurde auch dieser Notpfennig verweigert. — Der Entschluß, in den Ausstand zu treten, ist den kommenden Richtern bestimmt nicht leicht gefallen. Das zeigt schon die langsame und zögernde Ausbreitung der Streikbewegung über das Bundesgebiet. Aber noch etwas anderes wurde deutlich: Mangelhafte Einheitlichkeit der Aktion gefährdet auch hier den Erfolg. In Graz, Klagenfurt und Salzburg wurde bereits gestreikt, in Wien hingegen noch verhandelt. Dem Vernehmen nach aus Rücksicht von Parteifreunden für „ihren“ Minister. Seine ungewöhnlich scharfen Worte gegen die Streikenden hoben übrigens viel böses Blut gemacht. — Die Mediziner auf der Straße... Junge Juristen im Ausstand ... Studenten im Hungerstreik: alles Nachrichten, an deren Aufscheinen man sich nicht gewöhnen darf. Sie sind vielmehr Zeichen, die erkannt werden wollen.

VON DER MINISTER- AUF DIE ANKLAGEBANK ist es bekanntlich in den Staaten der Volksdemokratie nur ein kurzer Weg. Eine Ausnahme macht, wie in so manchem, Polen. Hier ist alles nicht so einfach. Rücksicht auf die Mentalität des polnischen Volkes, Vorsicht wegen seiner bekannt heftigen Reaktionen gilt noch immer als ober--stes Gebot. Deshalb ist auch der Weg des Abstieges von den Gipfeln der Macht kurvenreicher. Er kennt manche Umwege, ja, er kann sogar mit viel Gold und hohen Würden gepflastert sein. Wladislaw G o-mulka ist ihn dennoch gegangen. Bis zum bitteren Ende. Als Generalsekretär ^,er polnischen KP und stellvertretender Ministerpräsident war Gomulka lange Zeit einer der einflußreichsten Männer „Volkspolens“. Ohne Zweifel war Gomulka überzeugter Kommunist, aber polnischer Kommunist. Und den Polen vergaß er nie und gegen niemand zu betonen. Damit war sein Urteil bereits gesprochen. Schon im September 1948, als sich der Bruch Jugoslawiens mit dem Kominform deutlicher abzeichnete, bekannte Gomulka zum ersten Male seine Verfehlungen. Gomulka verlor damals nichts weiter als die Schlüsselstellung in der Partei, und das erst nach einem offiziösen Dementi, und er behielt seinen Posten als stellvertretender Ministerpräsident und als Minister für die „wiedergewonnenen Gebiete“. Der Schluß dieses ersten Aktes war ohne Zweifel eigenartig; in der Pause, die bis zum November 1949 währte, fehlte es in Polen nicht an Anklagen gegen den Natio-.^ nalkommunismus. Jedermann wußte, wer gemeint war: Gomulka, dessen Name noch immer auf der Ministerliste stand. Kurz nachdem Rokossowskij den Oberbefehl über die polnische Armee und das Verteidigungsministerium übernommen hatte, fand eine Sitzung der Parteiexekutive statt, auf der Gomulka abermals bereuen mußte. Diese. Reue erschien so unvollkommen, daß Gomulka seiner Ministerposten enthoben wurde. Er erhielt das Amt eines Vizepräsidenten der Obersten Kontrollkommission; jetzt ereignete sich das Merkwürdige. Der Kommunist Gomulka wurde unter der antikommunistischen Bevölkerung in einem Lande, in dem die Okkupation Breslaus niemals den Verlust Lembergs vergessen gemacht hat, populär. Zwei Jahre ging sein Name in Polen um; als der Name eines Verräters in der offiziellen Fassung, als eine Hoffnung unter dem Volk, das den Kommunismus haßt und an den Kommunisten Gomulka glaubte. Ob Gomulka wirklich der Mann ist, den die polnischen Bauern in ihm sahen, sei dahingestellt. Heute ist er jedenfalls nur mehr ein Schatten Radio Warschau kündigte seinen Prozeß an. Der Abstieg war lang, das Ende ist kurz und immer gleich.

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