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Randbemerkungen zur woche

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UNERFREULICH WAR DIE BEGLEITMUSIK ZUM BEGINN DER BUDGETDEBATTE. Die Lärmszenen sotuie die unqualifizierten Zwischenrufe von Abgeord-ten des Linksblocks, die den Präsidenten zu der nachdrücklichen Mahnung nötigten: „Das ist eine Sprache, die einer Kaschemme würdig ist, nicht eines Hohen Hauses.“ Doch ein Abgeordneter der Volkspartei wetzte diese Scharte des österreichischen Parlaments aus. Die Stellungnahme Prof. Doktor Gschnitzers zu dem Kapitel Justiz, seine Kritik an den „Richtlinien“ des Justizministeriums zu einer Reform des Familienreichs kennt in der Geschichte des österreichischen Nationalrates nach 1945 nur wenige Parallelen. Was gesagt wurde, war interessant, noch interessanter aber war das Wie — die geschliffene Form der Rede, der ruhige, sachliche Ton, die chevalereske Art, mit der Zwischenrufe wie Bälle aufgefangen und zurückgeworfen wurden. Stark war der Eindruck bei Parteifreunden und Parteigegnern, im Saal und auf der Galerie. Es war auch ein Vergnügen, zuzuhören. Wach wurde die Erinnerung an die Vergangenheit des österreichischen Parlaments, an die Rededuelle von Ignaz Seipel und Otto Bauer, an die Sitzungen des alten Abgeordnetenhauses der Monarchie, das in allen Parteien starke Persönlichkeiten, Männer von Geist und Bildung kannte. Nein, das Hohe Haus darf wirklich nicht zu einer Kaschemme gemacht werden, der Parlamentarismus darf sich nicht selbst verraten. Aufgabe aller Parteien muß es daher sein, in Zukunft bei der Auswahl ihrer Spitzenmandatare dieser Tatsache noch stärker als bisher Rechnung zu tragen. Persönlichkeit und Bildung, Geist und politische Erfahrung: das sind letzten Endes doch die stärksten, die durchschlagendsten Waffen der Demokratie. Auch heute noch.

NICHTS BEZEUGT SO SEHR DIE LEBENDIGKEIT EINER KULTUR als die innere Auseinandersetzung in ihrem Schoß, dieses ständige Spiel der Kritik, dieser ständige Streit verschiedener Komponenten. Es war in diesem Sinne durchaus zu begrüßen, daß nach den Jahren des Verbots der Kulturkritik ebenso wie der politischen Kritik, nach Jahren auch eines betretenen oder verlegenen Schweigens angesichts des Einströmens jener westlichen Kulturerzeugnisse, die seit mehr als zehn Jahren aus dem Gesichtskreis geschwunden waren, nunmehr immer öfter Anzeichen einer beginnenden echten Auseinandersetzung über kulturelle Probleme und Erscheinungen in Österreich wahrnehmbar wurden. Die moderne Musik, die neue Plastik, die Malerei der Gegenwart. Dazu noch die moderne Literatur. Österreich hat auf allen Gebieten einige internationale Vertreter, auf einigen hat es sogar bahnbrechend gewirkt. Grund genug, zumal für die Jugend des Landes, sich mit den neuen Werken, Werten, Sichten privat, persönlich und öffentlich auseinanderzusetzen. Die Form, in der dies aber in den letzten Tagen hier in Wien geschehen ist, verpflichtet zu einem ernsten Wort. S o geht es nicht. War schon die Demonstration im Konzertsaal gegen die Uraufführung des Werkes eines Wiener Komponisten von mehrfachen Zweideutigkeiten belastet, so mutete noch merkwürdiger der Vortrag eines höheren Beamten über die moderne Malerei an, der in öffentlichen Angriffen gegen nahezu alle Repräsentanten dieser Kunst, eingeschlossen die staatliche Kunstverwaltung, Museumsleitung, Akademieprofessoren, angesehene Kritiker und Fachleute ersten Ranges gipfelte. Das traurige Ergebnis: ein Handgemenge junger, aufgewühlter Menschen, die dergestalt die Kultur und das Abendland gegen „volksfremden Ungeist“ verteidigen zu müssen glaubten, unbewußt ihrer Tradition — der Bücherverbrennungen und Autodafis der HJ. Hier geht es nicht um ein Pro oder Contra — hier geht es einzig und allein um eine notwendige Klarstellung: so ist der notwendige Streit um unsere formale, materiale und geistige Kultur nicht auszutragen. In Wien nicht, in Österreich nicht.

DIE ERTRAGNISSE DER LOHNSTEUER sind über jene der veranlagten Einkommensteuer gestiegen. Das heißt: die im Abzugswege eingehobene „Einkommensteuer“ der Arbeiter und Angestellten übertrifft in ihrem Ergebnis jene aller Industriellen, Handels- und Gewerbetreibenden, Landwirte, Hauseigentümer und Freiberufler zusammengenommen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dies der tatsächlichen Relation des Einkommens dieser beiden Gruppen nicht entspricht, sofern dieses Wort in seiner natürlichen Bedeutung und nicht im Sinne der gegenwärtig noch geltenden reichs-deutschen Steuergesetze verstanden wird. Die Lohnsteuer erfaßt nämlich jede Einnahme augenblicklich, automatisch und nahezu ungekürzt. Wenn der Gehaltsempfänger seine Bezüge in die Hand bekommt, sind sie bereits im voraus um den staatlichen Anteil gemindert. Bei der veranlagten Einkommensteuer wirken dagegen alle die vielfachen Abzugs- und Dotierungsmöglichkeiten weiter, die den geschäftlichen-Unternehmungen für die Zwecke der Gewerbesteuer zugebilligt sind. Und eine Steuerprogression wie die österreichische wirkt nun einmal nicht sparsamkeitsför-^ dernd im Betrieb. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Verhinderung einer wirklichen Wegsteuerung der Substanz, die Förderung der Modernisierung der Anlagen ein Anliegen der Gesamtheit ist. Aber es müssen parallele Maßnahmen zur Erleichterung der Bedrängnis der Lohnempfänger möglich sein, die von der rasanten Teuerung und dem Steuerdruck zu gleicher Zeit getroffen werden. Dies auch deshalb, da die vorgenommenen und geplanten Erhöhungen der Tarife, die letzte Steigerung der Umsatzsteuer ja letzten Endes nur den Verbraucher belasten, da sie in die Preise einbezogen werden. Der so lange erörterte Ersatz der reichsdeutschen durch eine neue österreichische Steuergesetzgebung wird aus allen diesen Gründen von sozialem Geiste getragen werden müssen, um eine gerechte Verteilung des Sozialprodukts zu fördern.

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IN CONFINE nannte das faschistische Italien ein besonderes Strafsystem, durch das versucht wurde, seine Gegner auf „humane“ Art mundtot zu machen. Dieses^ Strafsystem bestand in der Verbannung des Gegners in kleine, ganz entlegene Orte, die sie nicht verlassen durften. Ähnlich verfuhr-jetzt die Regierung Tito mit dem Agramer Erzbischof Stepina c. Es ist deshalb vollkommen verfehlt, von einer „Freilassung“ des kroatischen Kirchenfürsten zu sprechen.. Er kam nur aus einem Gefängnis mit Mauern in ein solches ohne Mauern. Die^. Tatsache der Gefangenschaft bleibt be-r stehen. Und damit die Forderung der freien Welt, die „causa Stepinac“ endgültig zu bereinigen. Diese „Bereinigung“ kann nur darin bestehen, daß Stepinac die völlige und freie Ausübung seines Amtes ermöglicht wird. Denn wie Mindszenthy nach wie vor Erzbischof von Gran, Beran Erzbischof von Prag ist, so ist auch Stepinac nach wie vor: Erzbischof von Agram. Die Änderung der Haftart zeigt nur, welche große Verlegenheit er für das jetzt herrschende System ist. Allerdings, das Schicksal dieses Kirchen--für steh ist es fast immer gewesen, eine „Verlegenheit“ für das jeweils herrschende System zu sein. Mit 34 Jahren Erzbischof -Koadjutor, dann nach dem bald erfolgten-Tod Msgr. Bauers Erzbischof von Agram* war er ein fester Verteidiger des Katholizis-7 mus und der kroatischen Nation gegen das Alexander-System, das gegen ihn wegen-seiner betont jugoslawischen Vergangenheit — er kämpfte in der Saloniki-Legion —: nicht vorgehen konnte. Im Pawelitsch-System war er eine große Verlegenheit, denn er war ein Gegner der Verfolgung von; Juden und Orthodoxen, und im Tito-System war er neuerlich die große „Verlegenheit“,, denn seine Haft stellt die größte Belastung, für die Annäherung Jugoslawiens an den, Westen dar. Alle diese Tatsachen zeigen aber nur, wie richtig der Weg dieses Man-, nes war.

IM DEUTSCHEN SÜDWESTEN ist die* lang erwartete Entscheidung gefallen. Die drei Länder Württemberg-Baden, Württem-. berg-Hohenzollern und Südbaden werden, sich zu einem gemeinsamen Südweststaat zusammenschließen. Drei Jahre lang hat sich der Streit hierüber hingezogen. Wirtschaftliche' und politische Argumente standen vor allem“ gefühlsmäßigen gegenüber. Die Vorteile eines großen Wirtschaftsraumes im Süd-' westen Deutschlands, die Vorteile eines dritten großen Landes neben Bayern und~' Nordrhein-Westfalen, das dem Südwestraum die nötige politische Rückenstärkung ver-' leiht, lieoen auf der Hand. Ein Landtag, eine Regierung, eine Verwaltung, statt deren drei, erlauben größere Einsparungen, und die Gelder, die bisher im Rahmen des Finanzausgleiches an Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern abgeführt werden mußten, werden nun zu einem guten Teil dem eigenen Land zufließen. Auf der anderen Seite standen das altbadische Heimatgefühl, Volkstum und Tradition, alles Werte und Gedanken, die Staatspräsident Wohleb von Südbaden mit äußerster Konsequenz verteidigte. Trotz aller seiner Bemühungen im Verlauf der letzten drei Jahre, s trotz seines Protestes gegen die Abstimmung konnten sich Wohlebs Ideen jedoch nicht durchsetzen: so wird man sich nun zunächst über den Namen des neuen Landes einig werden müssen — Rhein-schwaben wurde von einer Zeitschrift vorgeschlagen — das gleichzeitig durch seine: Neugliederung die Erfahrungen liefern soll, auf denen später eine weitere Neuordnung des westdeutschen Raumes, vor allem in den linksrheinischen und nordwestlichen Gebieten, aufbauen soll.

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