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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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WER WILL NOCH SCHWEIGEN? EIN DRITTEL DER EHEN ZERSTÖRT. Die Zeit ist schon lang vorüber, da der Notstand der Ehe und Familie in unserer heutigen Gesellschaft zwar das Denken und Sorgen des Christen alarmierte, aber so mancher andere vielleicht noch glauben konnte, es gehe ihn nichts an, wenn die Geburtenzahl in unaufhörlichem Absinken begriffen ist und man sogar noch etwas dazutun müsse, um die Ehebande zu lockern. Heute sind wir soweit, daß funebre Züge sich in das Bild unserer Bevölkerungsbewegung so tief eingegraben haben, daß niemand, der noch Augen hat zu sehen, gleichgültig, welcher Weltanschauung er folgen möge, das furchtbare, in unserer Mitte sich vollziehende Geschehen verkennen und der Folgerung daraus entziehen kann. Wir in Österreich sind soweit, daß das Nichtstun für den religiös Indifferenten, Liberalen und Sozialisten genau so wie für den Christen zur Todsünde an der Gemeinschaft geworden ist, und jeder, der an verr antwortlicher Stelle säumig ist, vor dem Richterstuhl des Volkes auf die Anklagebank gehört, wenn er sich schon dem Irrtum hingibt, nicht bald vor einem viel höheren, ewigen Richterstuhl stehen zu müssen. Die Ziffern, mit denen Univ.-Prof. Dr. August Knoll eben jetzt auf der europäischen Studientagung der „Pax Romana“ in Salzburg die bevölkerungspolitische Lage in unserem Lande beleuchtete, wenden sich zu einem Appell an alle Menschen, die noch ein Gewissen haben: Der Zahl der zwischen 1945 bis 1950 geschlossenen 68.842 Ehen stand rund ein Drittel dieser Ziffer gegenüber, die Zahl der in gleichem Zeitraum gebrochenen Ehen. 45 Prozent dieser zerstörten Ehen waren kinderlos; man muß annehmen, weil in vielen Fällen vom Anfang der Ehewille, der Wille zum Kinde gefehlt hat; in 80 Prozent der Fälle geschah die Scheidung wegen Ehebruchs. Aber selbst was an Ehestand noch übrigbleibt, entspricht nicht der natürlichen Funktion; denn 42 Prozent aller aufrechten Ehen in Österreich sind ohne Kind, 25 Prozent haben nur ein Kind. Das heißt, daß nur 33 Prozent der F amilien als „Keimzelle des Staates“ gesund sind. Das übrige bedeutet Verfall, Volkstum im Aussterbestadium. -— Gedenkt der Herr Justizminister Dr. T s ch a d ek noch länger die bescheidenen Schutzmaßregeln für Ehe und Familie, die bei der Ordnung des Eherechtes zur Debatte stehen, verzögern zu dürfen?

EINE SCHAUERGESCHICHTE ÜBER DIE PSYCHOANALYSE UND DEN VATIKAN, serviert von einer amerikanischen Presseagentur, war jüngst die Sensation eines Wiener Abendblattes: „Vatikan erklärt die Psychoanalyse für Katholiken als Todsünde .,. Heiliger Stuhl verurteilt Sigmund Freud und spricht von Schule der seelischen Verderbnis.“ Demgegenüber der Tatbestand: „Vatikan“, „Heiliger Stuhl“ haben überhaupt nichts erklärt; weder offiziell noch offiziös ist eine Verlautbarung erfolgt, welche die zitierten Sä ze rechtfertigen würde. Wohl aber ist in dem „Bolletino del Clero romano“, einem Klerusblatt der Diözese Rom, ein Aufsatz aus der Feder. Msgr. P er icl e F el i ci, eines Editore der Rota, eine moraltheologische Un’er- suchung erschienen, welche die bekannten- Ausartungen der Psychoanalyse, die materialistische Ausdeutung seelischer Erscheinungen, einer wissenschaftlichen Kritik unterzog. Mit seiner Arbeit ist der als Fachmann Bekannte nicht der erste und einzige berufene Kenner der Materie, der gegen die gewissen Exzesse der psychoanalytischen Therapie Einwand und Anklage erhebt und die Grenzen absteckt, die durch Moral und das Recht der Persönlichkeit auf die menschliche Würde gezogen werden. Und dieser Kritiker wird auch nicht der letzte sein, der den Lehrmeistern der Psychoanalyse seine Abwehr entgegensetzt. — Wann ist die nächste Räubergeschichte über den Vatikan fällig?

ZU DEN UMSTRITTENSTEN ORGANEN DER BONNER BUNDESREPUBLIK gehört neben dem Presseamt das Auswärtige Amt. Ein naturgemäß nicht ungefährlicher Streit: die Oppositionsparteien trafen hier bei ihren wiederholt vorgetragenen Angriffen die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle, dort, wo sie am erbittertsten, zähesten und wohl auch am erfolgreichsten ihre Kräfte eingesetzt hatte: bei det Wiedergewinnung des deutschen Ansehens im Ausland. Hier ging und geht es also um jenes Gut, das der letzte Reichsaußenminister im Dönitz-Kabinett in jener einzigen und einzigartigen Reichsrede im Mai 1945 als erstnotwendig herausstellte. Schwerin-Krosigk sprach darnels nicht von Brot, nicht von Grenzen, nicht von Soldaten. Deutschland habe jetzt nur ein Gut vordringlich nötig: nach dem Bruch so vieler Verträge, nach sovielen Täuschungen, Rechtsbrüchen, nicht gehaltenen Zusagen und Versprechen müsse die deutsche Regierung alles daransetzen, das Vertrauen der Welt als ein vertragsfähiger Rechtspartner zurückzugewinnen. Jenes Vertrauen, das Bismarck, dem „ehrlichen Makler“, erste und letzte Sorge in schweren Jahren gewesen war… Es muß deshalb als ein kluger — und notwendiger — Schachzug der Bonner Regierung angesehen werden, daß sie sich entschloß, einen Untersuchungsausschuß zur Prüfung der P er- s on alp olitik des Auswärtigen Amtes einzusetzen. Nun liegt der erste Bericht dieses paritätischen Ausschusses vor. Erstes Ergebnis: „Grundsätze und Richtlinien Doktor Adenauers wurden nicht immer befolgt.“ In der vorsichtig abwägenden Sprache dieser parlamentarischen Kommission heißt es, „daß die Konzeption von der Notwendigkeit der Wiederheranziehung von Fachleuten des alten Amtes offenbar in mancherlei Beziehung als überspannt und zu stark angewandt betrachtet werden muß“ — Roher wurde es im Bayerischen Rundfunk ausgedrückt: Von den leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes „sind rund 85 Prozent ehemalige Parteigenossen, also mehr, als es unter Hitler waren“. Von diesen waren einige mit sehr hßiklen Dingen persönlich befaßt, wie etwa der Verschickung jüdischer Kinder, der Aushebung von Juden und Zwangsarbeitern in besetzten Gebie’en usw. Der Ausschuß tagt weiter; weiter gehen seine Untersuchungen. Das Ergebnis ist im einzelnen noch nicht abzusehen, dis Ganzes läßt es sich aber jetzt schon in seinen Umrissen erkennen: die junge, vielversuchte, vielgeprüfte deutsche Bundesrepublik ist im Begriff, ihre demokratischen Grundrechte und Grundlagen durchzusetzen, durchzukämpfen auf einem Gebiet, das seit je als eines der heikelsten galt: im diplomatischen Dienst. So darf jetzt schon gesagt werden: daß diese Untersuchung möglich ist, verdankt die westdeutsche Bevölkerung in erster Linie dem Wiedererstarken der Autorität ihrer Regierung und mit dieser der Wachsamkeit seiner Demokraten, die den Weg von Weimar nach Berlin in Bonn nicht vergessen haben.

DAS NEUE LYBISCHE STAATSOBERHAUPT hat die in diesem Lnade verbliebenen 45.000 Italiener als das Zentrum des wirtschaftlichen Lebens bezeichnet und versichert, daß man auf die Mitarbeit der italienischen Siedler, Kaufleute und Industriellen beim Aufbau des jungen Staates größten Wert lege. Auch über die Mithilfe der Italiener in der Verwaltung, vor allem auf kulturellem, sanitärem und landwirtschaftlichem Ctsbiet, wurde weitestgehende Verständigung erzielt. Die italienische Minorität in Libyen genießt nicht nur volle bürgerliche und Volkstumsrechte, ihr ist auch die freie Ausübung ihrer Religion und der Erziehung gewährleistet worden. Als erster sichtbarer positiver Schritt auf diesem Wege ist die Entsendung des neuen Generaldirektors für Denkmalpflege Und Ausgrabungen, Caffarelli, von Rom nach Libyen zu verzeichnen. Sehr bemerkenswert ist auch, daß die libyschen Gerichte fast ausschließlich mit Italienern als Richter besetzt werden, so daß auch im unabhängigen Staate Libyen die Rechtspflege nach italienischen Gesetzen ausgeübt werden wird. Diese bemerkenswerte Verständigungsbereitschaft der früheren Kolonialmacht gegenüber gründet sich auf die Tatsache, daß Italien der Erschließung seiner früheren nordafrikanischen Besitzung große Opfer und Sorgfalt zugewendet hatte und daß vor allem die italienischen Siedler, an die kargen Böden ihrer süditalienischen Heimat gewöhnt, vorbildliche Pionierarbeit geleistet haben. In das düstere Bild, das sich dem Weiterbestand der europäischen Kultur- und Zivilisationsarbeit in Nordafrika derzeit eröffnet, bringt diese Haltung Libyens einen freundlichen Ton. Vielleicht läßt sich von der in Jahrzehnten in diesem Raum geleisteten Arbeit Europas doch noch manches zum beiderseitigen Vorteil retten, wenn sich die Kolonialmächte freiwillig auf jene Stellung beschränken, in der sie noch auf lange Zeit hinaus gerne gesehen sein werden: auf die eines unvoreingenommenen und bereitwilligen Helfers und Ratgebers.

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