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Randbemerkungen zur woche

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KNAPP VOR TORSCHLUSS: DIE PARTEIEN SCHLIESSEN IHRE KANDIDATENLISTEN AB; schnell wird noch auf die Waagschalen des Für und Wider ein Argument aufgelegt, ein anderes wegdisputiert, in die Liste ein Name eingetragen, ein anderer ausgestrichen. Die Interessierten unter den Wählern werden neugierig, beginnen zu munkeln und raunen von angenehmen und unangenehmen Überraschungen: so soll, heißt es, eine der beiden Regierungsparteien nicht gesonnen sein, jenen Mann als Kandidaten wieder zu nominieren, der jahrelang — und oft genug als einziger! — die Interessen der geistig Schaffenden vor den Sitzreihen des Parlaments verfochten hat; die Intellektuellen, gleichgültig welcher Couleur, werden nicht viel Freude haben, wenn sie seinen Namen nicht mehr auf der Liste sehen. Auf der anderen Seite soll, so hört man weiter, jene Nationalrätin zurücktreten müssen, die mit viel Geschick und Eifer einem der wichtigsten Industrie- und Gewerbezweige, der Möbelerzeugung nämlich, nicht nur wirtschaftlichen Auftrieb, sondern auch so etwas wie einen neuen Stil verliehen hat, was ebenfalls nicht nur ihre eigene Partei anerkennt. Nun ja: das Volk wird, wenn diese Absichten Wirklichkeit werden sollten, darum nicht, weniger Sprecher im Parlament haben. Das österreichische geistige und kulturelle Leben freilich wird um zwei Abgeordnete ärmer geworden sein.

DAS BEINAHE SCHON SPRICHWÖRTLICHE „MEDIZINERELEND“ — gemeint ist die krasse materielle Notlage der unbezahlten Gastärzte — zeigt deutlich, wo heute vor allem die Enterbten unserer Gesellschaft zu suchen und zu finden sind. Ein Fall stehe für viele: Da ist ein junger Mensch glücklich aus dem Krieg heimgekehrt. Verspätet, aber mit Feuereifer geht es ans Studium. Das Ziel: der Dr. med. Was tut es, daß die Kost schmal, der einzige noch aus den Gymnasiastentagen stammende Anzug knapp und nicht gerade neu ist. Unser stud. med. hat ja „Glück“. Er kann noch bei seinen Eltern wohnen und an ihrem Tisch essen, der väterliche „Monatswechsel“ von Anno dazumal (siehe: „O alte Burschenherrlichkeit...“). ist allerdings ein Fremdwort. Aber es geht. Mit Ach und Not, mit Studiengeldermäßigung und mit Verzicht auf all das, was selbst die Kollegen Werkstudenten sich noch an bescheidenen Freuden leisten können. Der Studienerfolg ist mehr als zufriedenstellend, der Doktor-J hut dafür der gerechte Lohn. Hat aber nun | alie Not, alle Plackerei und Darberei ein Ende? Nein, sie beginnt erst richtig. Unser Doktor med. ist — nun schon über ein Jahr Gastarzt, einer von den vielen unbezahlten natürlich. Dienst von früh bis spät, mindestens einmal in der Woche obendrein Nachtdienst. Aber das ist ein Feiertag. Da gibt es wenigstens, wenn auch auf Umwegen 20 Schilling. So kann er, wenn es gut geht, als Monatsnettoverdienst glücklich S SO.— (in Worten: Schilling achtzig) buchen. Und dabei ist man bald 30 Jahre alt, hat studiert und wird von seinem Chef durch Vertrauensbeweise ausgezeichnet. Was für ein Glück, daß die Geschwister außer Haus sind und der alte Vater noch arbeiten kann. Was soll erst der Kollege sagen, der verheiratet ist und ein Kind hat... Ja, was soll er wirklich sagen? Was sollen sie alle sagen? Es wird — wer darf es anders erwarten — wenig Schmeichelhaftes sein. Allein auch unhaltbare Zustände haben, wenn die Gruppe der Betroffenen nicht durch ihre Zahl oder ihren Einfluß als Wähler interessant erscheinen, es in sich, zwar bedauert, aber nicht abgestellt zu werden. Deshalb ist die Aktion des „K o mite e s junger Ärzte“, nicht aufzuhören zu mahnen und zu erinnern, ein Gebot der Stunde. „Die Furche“ aber will jederzeit Dolmetsch der berechtigten Forderungen dieser an den Rand der Verzweiflung getriebenen jungen Akademiker sein.

NUR 27 MANN waren es, die dieser Tage am Wiener Ostbahnhof ankamen, nach sieben- und achtjähriger Gefangenschaft endlich freigelassen. Fast zwei Jahre hat es seit dem letzten Transport im März 1951 gedauert, daß sich der Stacheldraht wenigstens für diese 27 geöffnet hat. Was sie berichteten, hat man schon so oft von ihren Kameraden gehört, die früher das Glück hatten, heimzukommen: zuerst die Hungerjahre, die harte Arbeit, der Druck der Norm, dann die Verurteilungen, als die ersten Transporte heimfuhren. In den letzten Jahren wurde es besser, Verpflegung, Bekleidung, Unterkunft waren ausreichend, sobald sich die allgemeine Lage in der Sowjetunion gebessert hatte. Auch die Bespitzelung, die politische Beeinflussung, die vor allem 1946147 intensiu war, milderte sich. Nur die schwere seelische Belastung, die Ungewißheit des weiteren Schicksals, die Unkenntnis über die Vorgänge zu Hausa nagte an ihnen. 27 kamen heim, „amnestiert“ auf Grund der dauernden Interventionen des Bundespräsidenten und der österreichischen Regierung. 913 leben noch tueiter hinter Slacheldraht. In Scheinverhandlungen waren sie abgefertigt worden, zwanzig Mann in einer Stunde. 913 Namen zählt die offizielle Liste auf. Muß bei allen andern, die vermißt sind, die Hoffnung aufgegeben werden? Und was ist mit den. vielen, die während der letzten Jahre mit und ohne Urteil verschwunden Sind? Sie alle warten darauf, die Heimat und ihre Angehörigen wiederzusehen!

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CHRISTLICHE ODER ALLGEMEINE GEWERKSCHAFTEN? Diese Frage wird in Westdeutschland lebhaft diskutiert. Die deutschen Bischöfe haben nun in einer „Erklärung zur Arbeiterfrage“, wie das „Centre d'Informations Catholiques“ meldet, das Wirken der Katholischen Arbeiterbewegung innerhalb der allgemeinen Gewerkschaften anerkannt und gebilligt:

„Wir Oberhirten verstehen und teilen die Sorgen um die Entwicklung der Einheitsgewerkschaft, wir danken den Männern, die aus tiefer christlicher Verantwortung heraus ihre Mitglieder, die in den Gewerkschaften stehen, auf sichtbar werdende gefährliche Tendenzen hingewiesen und die Gewerkschaft selbst nachdrücklich an die Wahrung weltanschaulicher Neutralität und echter Toleranz gemahnt haben — ganz sicher zum Besten der Gewerkschaft selbst. Wir danken auch jenen katholischen Angehörigen der Gewerkschaft, die unter schwierigsten Verhältnissen bemüht sind, einen lebendigen katholischen Glauben zu bewahren und bestrebt bleiben, Toleranz und Neutralität in den Gewerkschaften durchzusetzen.“ Die Erklärung schließt mit den Worten: „Die Arbeit ist schwierig und heikel, und der Erfolg läßt sich nicht immer im Augenblick ergreifen.“ Damit ist der Katholischen Arbeiterbewegung ein Ziel gewiesen, das eine Begrenzung nach der anderen Seite in sich schließt. „Es bleibt dabei: Keine christlichen Gewerkschaften“, überschreibt der „MICHAEL“ treffend seine zustimmende ausführliche Stellungnahme zu dieser oberhirt-lichen Weisung. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Walter Freitag hat erklärt, daß er außerordentlich erfreut sei über die Erklärung der Bischöfe, die er für klug halte. In der Verlautbarung des DGB wird hiezu noch gesagt, es sei das aufrichtige Bemühen des DGB, „in den Gewerkschaften jene Atmosphäre zu schaffen, in der die Achtung vor der Überzeugung des einzelnen verpflichtendes Gesetz ist“. Beides — die Erklärung der deutschen Bischöfe wie jene des Deutschen Gewerk-schaftsbundes — verdienen auch außerhalb der Grenzen Deutschlands aufmerksames Gehör.

DIE NACHRICHT VON CHURCHILLS AMERIKAREISE wurde in den Vereinigten Staaten fast ein wenig verlegen entgegengenommen. Man fragt sich in Washington wie in New York — und teilt dies, wie es dort üblich ist, auch ohne Umschweife der Presse mit —, warum der britische Premier nicht erst die offizielle Investitur Eisen-howers und die Personalablöse der neuen Administration abgewartet habe. Und man wundert sich ein wenig darüber, daß Churchill ohne seine wichtigsten Mitarbeiter über den Atlantik gefahren ist — will er mit dem künftigen Präsidenten der USA Dinge besprechen, die nicht für andere Ohren bestimmt sind? Oder will er im Rennen um die amerikanische Rückendeckung einen Vorsprung herausholen, der groß genug ist, um England trotz Persien, trotz Malaia. trotz Sudan und Ägypten, und trotz seiner prekären finanziellen Lage, die Spitzenposition zu sichern? Oder wird das von Churchill angeschlagene Gesprächsthema etwa die Frage der Europahilfe des kommenden Fiskaljahres sein? Wenn aber ja, warum reist der britische Premierminister dann ohne Außenminister Eden und Schatzkanzler Butler? Man darf wohl annehmen, daß die amerikanischen Politiker sich irren. Ihre begreifliche Nervosität — die bis zum 20. Jänner, dem Tag des Präsidentenwechsels, vermutlich noch stärker werden wird — hat auf eine durchaus unformelle und unkomplizierte Angelegenheit, als die Churchills Reise in Europa eben gewertet wird, sichtlich abgefärbt. Der britische Premier fährt nach Jamaika und besucht auf dem Weg dörthin seinen alten Freund Bernard Baruch in New York. Daß er dabei die Gelegenheit wahrnehmen wird, Truman einen Abschiedsbesuch und Eisenhower eine Art vorzeitiger Antrittsvisite zu machen — ist daran etwas so Besonderes? Churchill hat vor seiner Abreise sehr deutlich erklärt, daß er in den USA nicht Staats-, sondern Freundschaftsbesuche machen werde. Aber offenbar hat der aufreibende Beruf der amerikanischen Politiker ihr Privatleben schon so sehr beeinflußt, da man es drüben nicht mehr für möglich hält, auch ein britischer Premier könne noch persönliche Freunde haben.

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