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Randbemerkungen zur woche

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NUN ROLLT DIE ZWEITE WELLE des Plakatkrieges über die Litfaßsäulen und Wände der großen Städte genau so wie über die Planken stiller, abgeschiedener Ortschaften. Die Warnplakale der ersten Regierungspartei vor dem Zugriii der .Roten Hand“ wurden abgelöst von einigen Kompositionen, die den Wählern vor Augen halten sollen, daß die Brücke zur Zukunft mit Namen „Vollbeschäftigung“ nur auf von einer stabilen Währung gebildeten Pieilern ruhen kann. Ueberlebensgroße Kopie eines jungen Mannes und einer alten Frau versinnbildlichen die Losung der Sozialisten: „Vollbeschälligung für die Jungen — Volkspension für die Alten.“ Die „Wahlpartei der Unabhängigen“ ist mit einem Schrift-plakat vertreten: Weiße Buchstaben aui grünem Grund halten dem Wähler die In-signien dieser Partei „WdU“ groß vor Augen; eine notwendige Aulklärung, da die Namens-irage dieses Lagers (Verband der Unabhängigen + Aktion zur politischen Erneuerung Soziale Erneuerungsbewegung — Wahlpartei der Unabhängigen) nur dem politischen Kenner geläufig sind. Klein ist zwar die Kommunistische Partei, diesmal genannt „Volksopposition“. Im Gegensatz dazu steht die Größe und Zahl ihrer Wahlaftichen. Da wird ganz im Sinne der kommunistischen Dialektik der VdU als „dritter Mann“ der Regierung vorgestellt — übrigens schade, daß dieses einzige lustige Plakat von Leuten kommt, die sonst sehr, sehr humorlos sind. Gelährlicher, für ihre eigene Sache nämlich, ist es schon, wenn die Kommunisten eine Frau auf die Plakate zu Hilfe rufen, die warnt: „Uns werden Die nicht noch einmal betrügen.“ Wie leicht kann so ein Ball doch Ins eigene Tor rollen... Aul die kommunistische Wirklichkeit macht düster-ernst das letzte sozialistische Wahlplakat die Massen des österreichischen Volkes aufmerksam. Eindrucksvoll erinnert ein schwarzes Galgengerüst, montiert aui tschechischen Zeitungsausschnitten, die von Slanskys Glück und Ende berichten: Henle noch aui stolzen Rossen...-

GUT BERATEN war die erste Regierungspartei, daß sie kurz vor Torschluß durch einen Verzicht den anfänglich in einem toten Rennen stehenden Abgeordneten Machunze so gereiht hat, daß die Heimatvertriebenen aller Voraussicht nach auch weiter unter den in die neugewählte Volksvertretung einziehenden Abgeordneten der Volkspartei einen von allen ialschen Ressentiments freien unermüdlichen Fürsprecher haben werden. Es wäre doch auch umgekehrt nicht nur optisch von großem Nachteil gewesen; noch dazu, da sich die Nachbarn von den rechten Bänken des Parlaments in Sachen Volksdeutschen einem Manne verschrieben haben, der nicht nur schon in verschiedenen politischen Gassen zu Hause war und bei dem viele sich fragen, ob seine Person der gerechten Sache der Heimatvertriebenen von Nutzen oder vielmehr von Schaden ist. Uebrigens: Auch wenn man im allgemeinen kein Talent zu einem Propheten verspürt, diesmal reizt es einen doch vorauszusagen, daß auch die „Wahlpartei der Unabhängigen“ mit diesem Ihrem neuen Ge-iolgsmann aui kurz oder lang keine reine Freude haben wird.

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„GEWISSENSFREIHEIT“ und „WURDE DES MENSCHEN“ — wenn es möglich wäre, hätten Wahlredner und Wahlprogramme diese Begriffe schon bis zur Unkenntlichkeit zermurkst. Auch in der Linkspresse. Probe aui das Exempel: In die Ebene westlich des Wiener-be rg es wächst ein neues Wohnviertel der Großstadt hinaus. Wer durch ein paar Jahre nicht mehr dieses Wiener Vorland gesehen hat, steht vor einer überraschenden Entfaltung des Siedlungswesens — aus der früher last einsamen Gegend sprießt neues Leben. Weite Strecken des früheren Feldes sind heule schon von der städtischen Planung parzelliert. Selbstverständlich ist so wie für technische Bedüri-nisse, Strom und Wosser, auch für die geistigen von einer umsichtigen, pflichtbewußten Verwaltung vorzusorgen. Für Schule und Kirche. Für Schule ist gesorgt, noch nicht für die von der Bevölkerung und ihren berufenen Anwälten angesprochene bescheidene katholische Kirche und ein ebensolches evangelisches Bethaus. Bisherige Vorbringungen waren erfolglos. Die Begründungen, daß dafür in einem zum großen Teile noch unverbaut, wenn auch parzellierten Gelände Hindernisse bestehen, sind erkennbare verletzende Vorwände. Eine Ungeschicklichkeit, parteipolitisch gesehen, zur Wahlzeit! Am 12. Februar tritt der zuständige Gemeindeausschuß zusammen, der berufen wäre, nach dem Rechten zu sehen. Eine Gelegenheit, zu prüfen, was davon zu halten ist, wenn vor der christlichen Wählerschaft schöne Augen gemacht werden.

NICHT ROT VOR SCHAM? Die Geburtsrate in Oesterreich befindet sich auf einem Tiefstand wie in keinem anderen Lande der Welt.

Sie ist noch immer im Absinken. Im Dezember der Jahre 1947)51 war durchschnittlich die Zahl der Lebendgeborenen 1278; iür Dezember 1952 wird sie nur mehr mit 950 beziilert, also mit einem fast 30prozentigen Abiall. Die großen Städte des Landes, vor allem Wien, erhallen sich nicht mehr aus ihrem natürlichen Bevölkerungszuwachs, sondern leben von der Zuwanderung. Schon kann es berechnet werden, wann das österreichische Volk durch den im Gange befindlichen Schrumpfungsprozeß dem Aussterben nahe sein wird. Diesem Schicksal unseres Volkes zu begegnen, sind längst nicht mehr bloß die Menschen auigeruien, die aus sittlichen und religiösen Gründen das sich vollziehende Unheil zu ermessen vermögen und abzuwehren verpilichtet sind, sondern überhaupt jeder, der auch nur einen Funken Liebe zu diesem Volke und diesem Lande im Herzen hat. Vor allem sind aufgerufen die Verantwortlichen, die Volksführer, wie immer sie heißen mögen, die sich täglich — zum Beispiel jetzt in der Wahlzeit — als Volksireunde ihren Mitbürgern emplehlen. Zu ihnen gehören vor allem auch die Presseleute. Die Wirklichkeit sieht stellenweise so aus: Das Wiener sozialistische Hauptorgan, Emanation des geistigen Parteizentrums aus der Rechten Wienzeile, veröiienllicht in seiner Nummer vom 7. Februar unter dreisprachiger Aufschrift an bevorzugter Stelle seines redaktionellen Teiles die umlängliche Anpreisung eines „Hesperiden-Phosphors“, einer Chemi-. kalte, das als fast unfehlbares Mittel zur „G e-burtenregelung durch Tabletten“ angepriesen wird. Wir weisen den Gedanken zurück, daß in diesem Falle geschäftliche Gründe iür die Aufnahme dieser Apothekenreklame eines Herrn Friedrich Kaischer eine Rolle gespielt habe. Aber an die Verantwortlichen die Frage: Ihr laßt iüi Abtreibungsmittel werben und werdet nicht rot vor Scham?

IMMER MEHR STIMMEN erheben sich gegen den bevorstehenden Englandbesuch Marschall Titos: Stimmen von Gewicht in Publikationen von unbestrittenem Ansehen. So veröffentlicht die angesehene katholische Zeitschritt „The Ensign“ in Ottawa an leitender Stelle einen Auisatz des bekannten Schriftstellers Evelyn W augh, der aui einer Rückschau auf die Vorgänge im zweiten Weltkrieg aufgebaut ist. Bamals, schreibt Waugh, befanden sich die Deutschen auf dem Rückzug vom Balkan. Die Partisanen Titos ließen ihnen die Hauptwege, dazu frei, denn sie führten Krieg gegen die serbischen Königsanhänger und die kroatischen

Nationalisien. Tito habe damals, unter der Vorgabe, die Deutschen zu bekämpfen, die Alliierten dazu gebracht, ihm Wallen lür diese beiden Bürgerkriege zu liefern. Sobald dann die Sowjetarmee Bulgarien betrat, ilog Tito, ohne dem alliierten Hauptquartier gegenüber ein Wort zu verlieren, zu den Sowjets. Von da an lehnte der Marschall jede Zusammenarbeit mit dem Westen ab und legte seinem dezimierten und verwirrten Volke ein kommunistisches Regime mit all den üblichen Begleiterscheinungen von Geheimpolizei und Justizmorden aui. Nun steht Tito auf demselben Punkte und wiederum habe er beim Westen Eriolg. Der einzige Unterschied zwischen dem Tito von 1944 und jenem von 1952 sei, daß er nun trachte, dem Schicksal zu entgehen, das jeden Kommunisten treue, der mit Stalin in Streit gerate: „Glauben die Politiker wirklich“, iährt Waugh lort, „daß Tito, der nacheinander Kaiser, König, Freunde und schließlich seine einzige wirkliche Ergebenheit, jene zu Stalin, getäuscht hat, sich ihnen gegenüber als vertrauenswürdiger Freund erweisen wird?... Die Politiker gehen zu weit, wenn sie ihn als geehrten Gast hierher (nach London) bringen, und sie scheinen die Tatsache zu vergessen, daß es eine große Zahl von loyalen britischen Untertanen gibt, welche in ihm einen der sechs oder sieben tödlichsten und zugleich einen der mächtigsten Feinde alles dessen sehen, was ihnen heilig ist... Tito.versucht das Christentum in Jugoslawien auszulösche n.“ Nach einer Schilderung des religionsfeindlichen Systems in Jugoslawien schließt Waugh: .Lassen wir Mr. Eden nicht glauben, daß uns sein Gast willkommen ist!“

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