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Randbemerkungen zur woche

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DER 60. GEBURTSTAG der „Gewerkschafts-kommission Oesteireichs“ bot seinem geistigen Erben, dem .Oesterreichischen Gewerk-schaftsbund“, berechtigten Anlaß zu mannigfachen Festen und Feiern, unter denen sich ein gewaltiger Festzug am vergangenen Wochenende im Wiener Straßenbild am sichtbarsten ausdrückte. Der herbstlich blaue Himmel und das immer wieder vorschlagende Rot ergaben einen reizvollen Kontrast — wie denn überhaupt Widersprüchliches und Ungereimtes (besonders sinnvoll ausgedrückt durch altösterreichische Marschmusik und immer wieder ertönende .Freundschaft“-Ruie) die Signatur dieser eigenartigen Demonstration waren. Die Königsidee, den Aulstieg der Entrechteten vom antiken Sklaventum bis zur sozialen Saturiertheit der Jetztzeit in etwa 70 Festgruppen mit „Wagen und Gesängen' aulzublättern, mag am grünen Tisch plastisch vor aller Augen gestanden sein ■— ihre Umsetzung in die Wirklichkeit bereitete Schwierigkeiten. In dem Bestreben, vom blumigen Stil des Fin de siede möglichst weit abzurücken, ist man oitensichtlich einen Schritt zu weit gegangen. Es gab dürre und gescheite, irreale und surreale Abstraktionen, Photos, Parolen und Tabellen, die beim raschen Vorbeizug eines zum Teil motorisierten Festzuges kaum mit den Sinnen erlaßt, geschweige denn gedeutet werden konnten. Wärme, Herzlichkeit, Schwung brachten nur die 30 Musikkapellen hinein (von der unfreiwilligen Komik der „Sklaventreiber“, die aus einem todernsten Bild eine richtige Hetz machten, abgesehen) — die Symbole des Zuges selbst atmeten einen distanzierend kühlen Scharm. Humor, Satire, Mutterwitz fehlten. Man hatte das Gefühl, zweiflächig zu sehen. Es fehlte noch etwas außer der straffen Organisation, die Verspätungen und Lücken zuließ und u. a. den zehn-tausenden Spalierstehern der Hauptallee die motorisierte Spitze des Zuges unterschlug. Es war Mut da, guter Wille und Streben. Das sei ehrlich anerkannt. Aber es fehlte etwas: Das Herz. Und gerade dieses, das in tausenden Jahren so stürmisch, kämpferisch und aulopfernd geschlagen hatte, hätte mitziehen, mittönen, mitjubeln müssen — in diesem Fest, nicht des raschelnden, leimriechenden Pappendeckels, sondern des harten und bitter siegenden Lebens selber.

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DIE STARKEN GEBURTSJAHRGANGE der Jahre um 1938 bereiteten erstmalig ernste Schwierigkeiten, als ihre Volksschulklassen von den nachrückenden Jahrgängen nur mehr halb gefüllt wurden. Zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen Ueberschuß an Lehrkrälten, zum ersten Mal wurde die Frage der Klosterschulen unter dem Aspekt der Lehrerarbeitslosigkeit betrachtet (als ob die Ordensleute nicht ebenso das In der Verfassung garantierte Recht der freien Berufswahl hätten).

Seit Monaten wird aber auch — endlich — die zweite Schwierigkeit öffentlich anerkannt: daß nämlich ein guter Teil der Schulentlassenen ohne Arbeit und Beschäftigung auf der Straße steht. Obwohl es daneben Arbeit genug gibt, nur keine „zumutbare', scheint der einzige Ausweg aus diesem wirklichen Notstand das Eingreifen des Staates zu sein: Das Jugendeinstellungsgeselz wurde beschlossen. Wie immer erlaßt der Zwang aber nur gewisse Gruppen: mittlere und große Betriebe, die sich aber unter bestimmten Voraussetzungen diesem Zwang entziehen können. Von vorneherein wurden die großen Bundesbetriebe, die doch eine große Zahl von Handwerkern beschältigen, den gesetzlichen Bestimmungen entzogen. Und doch wäre es Pilicht aller, den Jugendlichen die Gelegenheit zur beruflichen Ausbildung zu geben. In diesem Zusammenhang sei an einen Modus erinnert, der mithelfen könnte, die Jugendlichen von der Straße fernzuhalten: Vor 1938 war es in den oberösterreichischen Gemeindeämtern üblich, daß Jugendliche, die später einmal Beamte werden wollten, als gering bezahlte „Praktikanten1' eine praktische (nicht immer hervorragende) Ausbildung genossen. Nach einigen unbefriedigenden Versuchen kam System in die Sache: man schloß mit den Jugendlichen Lehrverträge ab. Diese „Verwaltungslehrlinge“ stellen heute zu einem guten Teil das Kader der mittleren und unteren Beamtenkategorien und sind meist tüchtige Kräfte geworden. Es gäbe für viele Jugendliche eine geordnete Beschäftigung als Vorbereitung für einen einschlägigen Beruf, wenn man sich entschließen könnte, dem Vertragsbedienstetengesetz, das eine Anstellung erst vom vollendeten 18. Lebensjahr an vorsieht, ein Kapitel anzufügen, das die Einstellung und Entlohnung solcher Verwaltungslehrlinge regelt. Selbstverständlich — und damit sei dem gewichtigsten Bedenken entgegengetreten — Jcann es solche Lehrlinge nur für den Hilisdienst und lür einige Zweige des mittleren Dienstes geben.

DIE „KALTE ANNEXION' DER ZONE A DES FREISTAATES TRIEST durch Italien wird keineswegs länger geduldet, hieß es in einem Bericht der oiiiziösen „Jugopreß“, kurz nach- 1 dem die neue italienische Regierung ihr Amt antrat. Nun entstand augenblicklich ein Wirbelsturm, ähnlich den in spätsommerlicher

Hitze sich wuchtig entladenden, aber auch rasch dahinziehenden Sturmregen auf den kahlen Hängen der Adriaküste. Alarmruf aus Rom: Jugoslawien führe einen Handstreich auf die „Zone B“ im Schilde, — es gelte, ihn zu verhindern, oder, falls es nicht anders geht, zurückzuschlagen. Wer dachte da daran, daß Jugoslawien keiner militärischen Aktion bedarf — einer Aktion, bei welcher vor allem sehr viel diplomatisches Porzellan in Scherben gehen würde — um jener südlichen, kargen, spärlich bewohnten „Zone B“ des Freistaates habhaft zu werden, da dort ja seit langem gute jugoslawische Soldaten stationiert sind und dieses Jugoslawien wirtschaitlich fast vollkommen gleichgeschaltet ist? Dem Sturm der italienischen Schlagzeilen, bei dem auch die Westmächte wegen ihres „guten Einvernehmens“ mit Belgrad-Brioni nicht sehr gut wegkamen, folgte das Aufziehen von schwerem diplomatischem Geschütz, Floltenkonzentra-tion und Truppenbewegungen. Jugoslawien antwortete mit bisher fünf Protestnoten, die sämtlich von Rom prompt zurückgewiesen wurden. Ein Grenzzwischenfall bei Görz wurde italienischerseits dementiert. Westlicherseits wurde alsbald Oel aut die unruhigen Gewässer gegossen und das Festhalten am Status quo eines Provisoriums bekräftigt. Seitens der amerikanischen Regierung wurde In diesen Tagen wiederholt erklärt, daß sich am Vorschlag der Westmächte von 1948, Triest dem italienischen Staat wieder einzugliedern, nichts geändert habe. In London formulierte man den Satz schon etwas vorsichtiger: di Rückgliederung an Italien wäre wohl die beste Lösung, doch seien direkte Verhandlungen der beiden Nachbarn empfohlen. Aus Belgrad verlautet mit erfreulicher Klarheit: Inier-natlonalisierung des Hafens und der Stadt, damit auch die „Zone B“ Zugang zum Halen hätte. Eine interessante Folie dazu ergibt di Stellungnahme der Moskauer „Prawda“: der Freistaat solle endlich, gemäß dem italienischen Friedensvertrag, zur Wirklichkeit werden. Mit einiger Besorgnis sah man allenthalben der für Sonntag angekündigten Rede Marschall Titos vor slowenischen Partisanen-Verbänden in der „Zone B“ entgegen, aber die, die auf Blitz und Donner hofften, wurden enttäuscht. Der Marschall betonte die Wichtigkeit eines friedlichen Einvernehmens mit Italien im Sinne der Internationalisierung von Hafen und Stadt, mit jugoslawischem (!) Hintsrland. Rom wies dieses Ansinnen bereits zurück, in Washington lobt man den mäßigen Ton. Es ist indessen bekannt, daß Tito schon früher die Rechte sämtlicher Interessenten, auch „die , Rechte Oesterreichs in Triest“, die kaum geringer seien, als die Rechte Italiens, stark hervorhob. Eswäre zu wünschen, daß Notenkrieg und eine etwa von internen Problemen ablenkenwollende Irre-denta-Stimmung, die sich im Säbelrasseln bemerkbar macht, schließlich nur zur Beschleunigung einer guten, alle Interessenten zufriedenstellenden Lösung des Triester, nein: dieses europäischen Problems führen mögen.

IM EXIL IN KAIRO lebt Abd el Krim, der alte Freiheitskämpier der marokkanischen Rii-kabylen. Er hat zu dem jetzigen Konflikt in einer Pariser Zeitung in sehr bemerkenswerter Weise Stellung genommen. Abd el Krim sagte, daß die Geschichte Frankreichs und Marokkos, vor allem in ihrer Entwicklung in den letzten Jahren, aui eine dauernde Bindung zwischen beiden Ländern hinweise. Er schlägt hieriür jene Form vor, die zwischen dem britischen Commonwealth und Großbritannien bestehe. Eine solche Entente werde für beide Staaten gleich vorteilhalt sein. Frankreich habe in Marokko viel getan und könne zum Wohl des Landes noch mehr leisten. Interessant sind die Bemerkungen, die der Vernichter einer spanischen Armee und Vorkämpfer der von Spanien unterworfenen Rifkabylen über den Unterschied in der Kolonialpolitik dieser beiden europäischen Länder macht. Spanien (das sonst sehr gut versteht, mit den arabischen Staaten ireundlichen Kontakt zu halten) verspreche vjohl viel, mache aber nur kleine Zugeständnisse. Die wirklichen französischen Kolonisten ~ nicht jene Leute, die in diesem Lande nur untertauchen wollten —, die Ingenieure und Facharbeiter, seien dort gerne gesehen. — Diese Aussprüche geben Hoffnung, daß eine nicht nur scheinbare Selbstverwaltung des Lan-ies das Scherifenreich doch noch dauernd befrieden könnte. Nicht nur Frankreich, auch Uuropa hätte davon Nutzen, wenn es gelänge, ien leidenschaftlichen marokkanischen Nationalismus wie jenen der mit ihm fühlenden mderen arabischen Länder, den mit Waffen niederzuhalten nicht mehr die Zeit ist, in legale Sahnen zu lenken. Die Reformen in Marokko nögen bei der berichteten Lockerung des Ze-emoniells am Scherifenhofe beginnen. Der ranzösische Generalresident wird sich aber, vie man hoffen darf, weitergehende Vollmachen ausbedungen haben, als er nach Marokko ■mückkehrte. ,

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