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Randbemerkungen zur woche

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VORSICHT! VORSICHT! muß man den berufenen Hütern der Stabilität unserer wirtschaftlichen Ordnung zurufen, sobald man nur einmal mit wachen Augen die langsam, mitunter sogar sprunghaft ansteigende Quecksilbersäule der Preise beobachtet hat. Bis zur Jahreswende ging alles leidlich gut. Es ist bedauerlich, daß der Startschuß zu einem neuen Wettlauf von Lohn und Preis von einem staatlichen Unternehmen gegeben wurde. Die Erhöhung der rein finanzpolitisch vielleicht erklärlichen Personentarife unserer Bundesbahnen ließ manche bedenklich die Köpfe schütteln. Darf der Staat Stabilisierung predigen und selbst ein schlechtes Beispiel geben? Zu dem einen kam bald ein zweites: die dubiose Verteuerung der Tabakwaren, aui die ebenialls der Staat durch sein Monopol eine teste Hand gelegt hat, wobei bekannt ist, daß die Gestehungskosten einer Zigarette nur einen Bruchteil ihres Verkaufspreises betragen und der Fiskus sich an der Differenz freut. Die Privatwirtschaft sprengte, sobald sie eine Lücke in der Hürde, die Lohn und Preis bisher im Zaume gehalten hatten, erspäht hatte, munter nach: der Papierpreis, bestimmte Textilien, Rindileisch und Gemüse wurden teurer. Bald meldeten die Tageszeitungen beschwichtigend, daß der Mokka um nur 20 bis 30 Groschen teurer wird, was in der Praxis so ausschaut, daß zum Beispiel in einem gutrenommierten Katieehaus in der Schottengasse der „Espresso" nun um einen ganzen Schilling höher notiert, was einer P r e i s e r hö hu ng von 35 Prozent gleichkommt. (Inklusive Obolus: 4 Schilling für den „Kleinen Schwarzen"! Man klagt über den Rückgang des zu Wien gehörenden Katieesiedergewerbes. Ob das wohl der richtige Weg ist, das Blatt zu wenden?) Und auch auf die unter der Sommerhitze zu ihrem Krügel Bier greifenden Konsumenten wartet schon eine nette kleine Preiserhöhung. Genug der Beispiele. Sie genügen als Illustrationen, um zu zeigen, wohin der Weg führt, wenn nicht unverzüglich Remedur geschaffen wird. Gewiß nicht leichthin sprach in einem Blatt, das durchaus nicht in dem Verdacht politischer Voreingenommenheit steht, ein dem Unternehmer Standpunkt alles andere als verschlossener Autor von einer „Teuerung auf leisen Sohlen" und wornte vor einer „Verniedlichung“ in der Indexberechnung. Das weihnachtliche Steuergeschenk des Finanzmi hi Sters ist bereits zur Gänze abgedeckt, in seinem Stabilisierungsprogiamm klaffen häßliche Risse. Sie dürfen nicht größer werden. Es steht viel, sehr viel auf dem Spiel.

NACH DEN ANDEUTUNGEN DES BONNER

BUNDESKANZLERS in seiner Rede vor dem Ueberseeklub in Hamburg über mögliche künitige Kontakte mit Moskau gehört dieses Thema zum öltentlichen Gespräch in Westdeutschland. Man erinnere sich: jahrelang hatte es nicht nur zum guten Ton gehört, Befürworter einer politischen Fühlungnahme mit der UdSSR als Kryptobolschewiken abzustempeln, sondern sogar Dichter als „Hochverräter am christlichen Abendland" zu brandmarken, die es wagten, eine nüchternere und christlichere Schau des Ostens in Erwägung zu ziehen. — Heute sprechen Abgeordnete der Regierungskoalition, wie Plleiderer (FDP) und Mende (FDP) ebenso wie Prominente der Opposition (Fritz Erler, SPD) im Rundfunk über die kommende Aufnahme deutscher Beziehungen mit dem Kreml, während in den Kontoren der Hansestädte, in den Beratungssälen der Industrie an Rhein und Ruhr, bei den Exportkauileuten und Reedern schon konkrete Ziiiern genannt werden. Die Kaufleute und Industriellen sehen die Dinge relativ einfach: ihnen geht es um die Märkte des Ostens, vor allem um den chinesischen Raum. Rußlands, Volkspolens Schilfe iahten entlang der deutschen Küste nach China, selbst die Tschechoslowakei geht daran, eine eigene Flotte (aus in Frankreich gekauften und in französischen Häfen gecharterten Schiffen) für den Chinahandel auszurüsten. So „einfach" das wirtschaftliche Problem aussieht, auf den allerersten Blick, so schwierig ist das politische. Bonn kann sich keine Schaukelpolitik zwischen West und Ost erlauben (böswillige englische Pressestimmen malen allerdings seit Monaten dies Schreckgespenst an die Wand: die wiederaufgerüstete Bundesrepublik werde ihre Unabhängigkeit dazu benützen, um sich nach Rußland hin zu orientieren). Eine solche wollen weder Adenauer noch Ollenhauer. Der deutsche „Untergrund", den ein Aufsatz von Friedrich Abendroth in unserer letzten Nummer anvisierte, denkt und fühlt da bereits anders. Die gleitende Gefühlsschaukel ist gefährlich: immer noch war mit antiwestlichen Schlagworten (gegen „Rom", „Juden", „Freimaurer", gegen „den ganzen korrupten Westen") in Deutschland Politik zu machen: gerade bei den mittel- und ostdeutschen verelendeten Massen der letzten Zwischenkriegszeit. Die Propaganda um die Wiedervereinigung, um „das ganze Deutschland soll es sein", trägt ein Janushaupt. — Hängt also alles davon ab, daß Westdeutschland mit Westeuropa politisch und wirtschaftlich eng verbunden wird. In diesem Sinne ist das soeben versuchte Kompromiß Bonn-Paris über die Saar als ein prinzipielles Uebereinkom- men zwischen Dr. Adenauer und Teitgen über eine deutsch-französische Grundsatzerklärung zur Saarfrage von größter Wichtigkeit füt’ Europa. Ein über die Saar mit Frankreich verbundenes Westdeutschland könnte in künftigen Verhandlungen mit Moskau Gewichte in die Waagschale legen, die zugunsten der ganzen heute so zersplitterten freien Welt sich auswirken müßten.

DIE GENFER 1NDOCHINAKONPERENZ wird gegenwärtig durch zwei Momente bestimmt durch die Verhandlungen Frankreichs mit ? Amerika über einen militärischen Südostasienpakt und durch den Aulmarsch der Vietminh- Truppen gegen Hanoi und das Delta des Rotehr Flusses. England hat seiner Verstimmung Aus druck gegeben, da es über die amerikanisch- französischen Verhandlungen erst spät informiert wurde. Der Südostasienpakt wird also vielleicht ohne England abgeschlossen werden. Optimisten im Westen sehen in diesem „Streit" eine kluge Arbeitsteilung der westlichen Mächte: England soll herausgehalten. werden, weil es als eine Brücke zu China er- ‘ scheint. Tatsächlich sucht Eden mit großer Geduld Molotow und Tschu En Lai lür eine konkrete Verhandlungsarbeit zu gewinnen, Der Hintergrund ist ernst genug. Erst jetzt erfährt man Einzelheiten über die Absprachen der Chinesen mit Vertretern der Thai-Völker im letzten Jahr. Mao und Hotschiminh planen einen Bund aller Länder der Thai-Rasse: Siam, der Nordosten von Burma, Laos, Vietnam sol-. len unter chinesischer Oberherrschaft eine , kommunistisch-nationale Föderation bilden. Um die militärische Eroberung dieser Länder vorzubereiten, hat Peking bereits im letzten Jahr einem Thai-Bezirk im Südwesten der Provinz Jünnan die Autonomie verliehen. Jünnan ist der Raum, in den sich Mao zurückgezogen hatte, als Tschangkaischek der Herr" Chinas zu sein schien. Wenn nun diese rotchinesische Eliterepublik ausgebildet wird als Musterrepublik der künftigen kommunistischen Thai-Staaten, dann hat das für ganz Asien Be deutung. — Die nichtkommunistischen Regierungen in Siam, Laos, Kambodscha versuchen gegen diese Bedrohung einen buddhistischen Block auizurichten, wobei der siamesische Marschall Pibul Songgram als Initiator gilt Diese Regierungen blicken auf Amerika, ihren Völkern ist das französische Regime , ebenso verhaßt wie das gefürchtete rotchinesische. Die USA sollen die Unabhängigkeit dieser Länder garantieren — müssen diese aber zuerst den Franzosen abkaufen Das Schicksal Südostasiens wird davon abhängen, ob zur militärischen Allianz dieser Völker mit Amerika eine aktivistische Reformarbeit im Inneren tritt, welche die notwendige Bodenreform durchführt und die tausendjährige Korruption eindämmt. Die Massen aller dieser Länder sehen fasziniert auf Rotchina und sein „Musterländle", die Provinz Jünnan, mit ihren tausend neuen Schulen, Fabriken und ihren neuen landwirtschaltlichen Produktionsmethoden. Mil den Divisionen Maos, und Hotschi- minhs marschieren die Propagandisten dieser „neuen Welt". Ein „buddhistischer Block" wird nur dann Aussicht auf Erfolge haben, wenn er zur Parole der „religiösen Erneuerung" die Tat des wirtschaftlichen und gesellschaltlicheh Aulbauäs setzt. Sonst wird sein Schicksal ähnlich sein dem jener Abendländer, die vom „christlichen Abendland" und seiner Abwehr- lunktion dem Osten gegenüber reden, sehr wenig aber für seihe innere Konsolidierung tun•

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