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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIN MANN KAM NACH ÖSTERREICH. Er war sehr lange fori — beinahe zwei Jahrzehnte. Auch ist er nicht mehr der Jüngste und die Krankheit ist sein Begleiter. Kaum glaublich, daß dieser Besucher einmal einer der umstrittensten Männer der öslerreichiscnen Innenpolitik war. Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg. Die heranwachsende Generation kennt diesen Namen nur vom Hörensagen, und die Männer, die einst mit oder gegen Starhemberg marschiert sind, sitzen heute oft als politische und wirtschaftliche Manager in gut geheizten Büros hinter Polstertüren. Ist es nicht mehr als ein Zufall, dah der Mann, zu dessen „politischem; Stil“ die großen sonntäglichen Autzüge und Paraden gehörten, die Heimat an der Wende des Jahres 1955/56 aufsucht, um hier ärztliche Hilfe zu finden, da ihm mitunter die Beine ihren Dienst versagen. .. Darum ist jede Aufregung über den Besuch Starhembergs in seiner Heimat unangebracht. Von Itnks aufjen wird — werr nimmt dies wunder — kochende Volksseele gespielt. Bestimmte Sensätionsblätter klappern um des Handwerks willen. Wofür soll das gut sein? Es besteht aller Grund anzunehmen, dah der Besucher im eigenen Land alle Finger von der Politik läfjf. They never come back: an dieses Wort müssen sich alle, die in den bewegten dreißiger Jahren im Kreuzfeuer einer überhitzten Innenpolitik standen, erinnern. — Was bleibt? Ein Mann kam nach Oesterreich, ein österreichischer Staatsbürger mit einem österreichischen Pah. Er wird hier Verwandte besuchen und Aerzte konsultieren. Dann wird er eines Tages wieder dorthin reisen, wohin er will. Das ist alles.

DER TOD DES „WATSCHENMANNES“ hat während der Feiertage die Gemüter der Wiener heftiger bewegt, als eine Reihe anderer „weltpolitischer“ Ereignisse. „Das neuche jar fengt gud an“, schreibt uns Poldi Huber in einem „Boosf boosf scribdum“. Für den Oesterreichischen Rundfunk fing es jedenfalls schlecht an, denn die öffentliche Meinung — daran kann kein Zweifel bestehen — ist für den „Watschenmann“. In einem „Post dictum“ nach der vorläufig letzten Sendung am Neujahrstag erklärte der Programmdirekfor des Rundfunks, er könne dieses zwar adoptierte und geliebte, aber ungezogene Kind nicht länger schützen. Vor wem, fragt sich der Hörer? Und darauf geben ihm einige Wiener Blätter eine nicht ganz deutliche Antwort. Angeblich lieben beide Parteien den „Watschenmann“, nur habe er — so schreibt zum Beispiel d'a „Oesterreichische Neua Tageszeitung“ — während der letzten Zeit „fast nur noch die rechte Wange der Koalition“ bedacht. Und auch die „Arbeiter-Zeitung“ weint ein ganz klein wenig dem „Watschenmann“ nach, aber es wäre ihr doch lieber, wenn er abgekragelt würde. Es sei selbstverständlich, dah „kein Sozialist seine Unterschrift“ für die von einem Mittagsblalt veranstaltete Aktion zur Rettung des „Watschenmannes“ geben werde. Also, gewissermaßen, Fraktionszwang in Sache „Walschenmann“? Ob das Vorbild dazu auch von der englischen Demokratie stammt, auf die sich O. P. so beredt beruft? Kurzum — alle sind (ür den „Watschenmann“ — aber weg soll er! Und das Volk der Radiohörer? Vor die Wahl gestellt zwischen einem total gelenkten Staatsrundfunk unter parteipolitischer Kontrolle und einem „privaten“ — den zu beurteilen die Erfahrung fehlt — entscheidet es sich für den „Watschenmann“: das heißt für die dritte Möglichkeit, für einen politik-, Partei- und proporzfreien, für den sich zum Beispiel „Das Kleine Volksblaft“ mit Nachdruck ausspricht. An unserer Meinunq kann wohl kein Zweifel -sein ...

KANZLERS GEBURTSTAG. Am 5. Jänner 1956 wird der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Konrad Adenauer, 80 Jahre alt. Adenauer wurde fünf Jahre nach der Proklamation des Kaiserreiches in Versailles geboren und ist als Mensch, Beamter und als Politiker durch die Bisma-ck-Zeit geprägt worden. Zweiundvierzig Jahre war er bereits alt, als er als Kölner Oberbürgermeister den Sturz dieses Reiches erlebte. Adenauers Politik als Kanzler ist nur von seiner Erfahrung des Bismarck-Staates her zu verstehen. Mit Bismarck weih sich Adenauer verbunden durch das Autoritäre einer starken Persönlichkeif, durch das zähe unverdrossene Festhalten an einmal akzeptierten Plänen, durch eine gewisse Verwurzelung in konservativen Traditionen Alfeuropas, nicht zuletzt durch eine intime Abneigung gegen alles Ideologische. „Realpolitik“ ist hier das Ziel. Von Bismarck getrennt weih sich Adenauer durch seine rheinische Herkunft. Vor allem aber sind es seine Erfahrungen mit dem Irrationalismus des Ostens, gcade auch Ostdeutschlands, die ihn auf andere Wege verweisen. Adenauers „liberale“ Katholizitäl, die den früheren Zen-trumspolifiker bereits vor 1933 nach einer überkonfessionellen politischen Konstellation Ausschau halfen und zum Führer der CDU werden liefj, kommt vielleicht am stärksten in seinem klaren Rationalismus zum Ausdruck. Bismarck ist viel irrationaler, untergründiger, dämonischer als der rheinische Rechtsanwalt und Kommunalpolitiker, der sich durch sein . Streben nach

Ratio und Rationalität viel stärker dem Westen, und das hieß zunächst, nach 1918, Frankreich verbunden weih als dem dubiosen Osten, mit seinen unberechenbaren Weiten und undurchsichtigen Volkserhebungen. Dieser klare, kluge Kopf versieht es, zu warten. Zweimal lehnt er es ab, Reichskanzler zu werden, in der aufgewühlten Krisenzeit am Vorabend Hitlers. Auch das dritte Angebot lehnt er noch ab: es kommt von Karl Goerdeler, dem geistig führenden Kopf der Männer des 20. Juli 1944. Adenauer weiß, dah Männer seines Schlages sich nur voll entfalten können, wenn der irrationale Untergrund des Volkes einigermaßen beruhigt ist: seine enge Verbindung mit der Wirtschaft und mit dem Westen, der ganze restaurative Charakter seines Regimes wurzelt in diesem seinem tiefen Mißfrauen gegen jeden „Enthusiasmus“, gegen jede Erregung der „Volksseele“. Eben deshalb erkennt er seine gefährlichsten Gegner: alle jene Kräfte und Personen der extremen Linken und Rechten, aber auch einer gewissen „bürgerlichen“ Mitte, die sich irrational unbefriedigt wissen und sich deshalb nach neuen Spielern auf dem deutschen Seelenklavier sehnen. Nationalistische, nationalsozialistische, nationalbolschewistische und deufschkommunistische Elemente arbeiten nunmehr Hand in Hand, um im kommenden Jahr zum Sturm gegen den „Alten in Bonn“ anzutreten. Dr. Adenauer hat bereits den Kampf aufgenommen. Soziale Integration, Stärkung der innenpolitischen Basis in Westdeutschland durch aktivierte Sozialpolitik: das ist sein Programm für 1956, für sein 81. Lebensjahr. Für Dr. Adenauer wird es sich darum handeln, nunmehr, mehr als bisher, Mitarbeite; und Kräfte heranzuziehen, die das grofje Potential des deutschen Volkes richtig ansprechen, betreuen und aufzubereiten verstehen. Noch ist es zu früh, von der Grofjen Koalition in Bonn zu sprechen. Ueber kurz oder lang wird sie sich als gebieterische Notwendigkeit erweisen, da sie allein dem Sog des deutschen Irrationalismus im Innern und dem Druck von aufjen gewachsen sein kann. — Oesterreich beobachtet den Weg und das Schicksal des Bonner Kanzlers mit großer Anteilnahme. Wenn ihm unserseits ein aufrichtiger Glückwunsch zugehen soll, dann muh er wohl d;ese, Fo'm tragen: daß diesem Manne -u seiner Entschlossenheit in der reifen Jugendlichkeit seines Alters eine qewisse Erschlossenheit zuwachsen möge, der Blick für das Viele „junge Gras“, das hier und dort wächst und das auf Betreuung wartet. Auf Rücksichtnahme. Mit seiner Hütung könnte dem greisen Kanzler das schönste und vielleicht wichtigste gelingen: der Uebergang aus einem Jahrzehnt der Restauration in ein Zeitalter echter, schöpferischer Konservativst, die Europa, die die Welt so drinaend braucht, um auf neuen Wegen das ewig Gültige zu retten.

SCHLECHTE NACHRICHTEN AUS PARIS. Die ersten Wahlen des neuen Jahres sind in Frankreich am 2. Jänner um 20 Uhr zu Ende gegangen. Als die Wahlbehörde in Paris Dienstag in den Morgenstunden die ersten höheren Ziffern bekanntzugeben begann, zeichneten sich die Konturen eines Endergebnisses ab, das jeder aufrichtige Freund Frankreichs in den letzten Wochen bereits befürchten muhte. Die Gegner und Kritiker des Ministerpräsidenten Edgar .Faure. sagten ihm dieses Wahlergebnis voraus, besser gesagt, sie behaupteten, er spekuliere mit seinem „coup d'etat“, mit der vorzeitigen Auflösung der Nationalversammlung, auf ein solches Ergebnis, weil er nur von vorzeitig und schlagartig durchgefüh.-fen Wahlen mit außergewöhnlich kurzem Wahlkampf die Rettung einer a d - h o c - Mehrheit der ihm nahestehenden Parteien erhoffan könne. Es scheint heute so, dah es Faure gelang, dieses Ziel zu erreichen, aber der Preis ist hoch... Der Republikanischen Front, zwischen den von Mendes-France „gesäuberten“ Rcd:kalen mit den Sozialisten, konnte es zwar in der kurzen Zeit, trotz massiver Angriffe auf die Algerienpolitik der Regierung, nicht gelingen, die bisherige Regierungskoalifion entscheidend zu schwächen, zumal eine der Hauptstützen von Mendes-France und seiner Zeitung „L'Expross“, der Katholik Francois Mauriac, von hauptsächlich der MRP nahestehenden katholischen Publi-zisfenkreisen des Verrates an der Sache der katholischen Schulen bezichtigt wurde. Aus all dem aber zogen die Gegner der parlamentarischen Demokratie die Vorteile, allen voran die am besten organisierten Kommunisten, aber auch die rechfsexfreme Gruppe um Pierre Poujade, dessen anarchistische Ausfälle gegen diese Demokratie fortan ernst genommen werden müssen. Ob es der bisherigen Regierungskoalition um Faure und Pinay oder aber der Republikanischen Front möglich sein wird, eine auch einigermaßen stabile parlamentarische Mehrheit (ohne die Kommunisten) zustande zu bringen, scheint zur Stunde mehr als fraglich. Gleichzeitig mit diesen Ergebnissen wurde in Paris bekanntgegeben, daß die Kämpfe in Algerien in den letzten zehn Tagen mehr als 200 Menschen das Leben kosteten ...

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