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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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LEBENSLÄNGLICH! Die in den letzten Jahren von der Tagesordnung abgesetzte Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe scheint in diesen Wochen erneut aufzuflammen. Anlaß dazu sind die schweren Bluttaten dieses Sommers, die mit der Ermordung zweier Gendarmen in Ausübung ihrer schweren Pflicht einen traurigen Höhepunkt gefunden haben. Man darf sich nicht wundern, wenn schlichte Menschen in der Aufrichtung des Galgens ein Mittel zu sehen glauben, das solchen Untaten Einhalf' gebiefef. Und doch gibt es auch wieder sehr ernste Einwände gegen die Todesstrafe, die mehr im Weifbild ihrer Verfechter begründet sind. Wir haben das Pro und das Kontra ja vor einigen Jahren ausführlich gehört. Sollen die gleichen Argumente nun erneut vor der Oeffentlichkeit ausgebreitet werden? Es gäbe eine Abkürzung der Debatte, einen Weg, auf dem sich unschwer die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in ihrem Kampf gegen das Verbrechen finden könnte. Merkwürdigerweise wurde bisher allein von einer einzigen Stimme die Forderung nach einer dem „Wortlaut des Urteils entsprechenden Sfrafsanktion“ vertreten. In Kürze und mif Deutlichkeit: „Lebenslänglich“ muß wirklich lebenslänglich sein. Wer dieses Urfeil für vorsätzlichen Mord und andere gemeine Verbrechen aus dem Munde des Richters vernimmt, muß gleichzeitig die Worte, die Dante über den Eingang der Hölle gesetzt hat, zu hören bekommen: „Die ihr hier eintretet. Iaht alle Hoffnung fahren.“ Dem Mörder darf sich die Tür des Zuchthauses nur noch im Sarge öffnen — und nicht, wie es jetzt Brauch ist, nach längstens zwanzig Jahren. Man schlief} den mit solcher Untat behafteten Menschen von seiner Umwelt ab, man beschäftige ihn mit schwerer, für seine Mitmenschen nützlicher Arbeit. Somit würde sowohl die Sicherheit der Gesellschaft garantiert, wie auch der Sühne Rechnung getragen. Unsere Juristen mögen die entsprechenden Maßnahmen in dieser Richtung energisrh in die Wege leiten, dann könnte wohl der Plan-posfen eines Scharfrichters sich auch :n Zukunft erübrigen.

MAHNUNG DER KRIEGSOPFER. Der Referentenentwurf zum Heeresversorgungsgesefz hat zu einer erheblichen Unruhe unter den Kriegsopfern, zu einseitigen (gegen das neue Bundesheer gerichteten) Pressepolemiken und zuletzt zu einer öffentlichen Protestkundgebung geführt, bei der die Vertreter aller vier Parteien anwesend waren. Gegen den Entwurf wendet man ein, dafj er geeignet sei, einen Keil zwischen die Versorgten der beiden vergangenen Kriege und die künftig zu betreuenden Verunglückten des Bundesheeres zu treiben, weil die Sätze, weiche für die „Neu-Opfer“ vorgesehen sind, über jenen liegen, die man bisher für die „Alt-Opfer anwies. Der leidige Begriff der Alt- und Neurentner feiert auf diesem Sektor eine keineswegs begrüfjenswerte Auferstehung. Es ist durchaus zu begrüßen, daß man den Opfern des neuen Heeres und den Hinterbliebenen eine sozial würdige Entschädigung zugedacht hat. Unab-weislich aber drängt sich zugleich die bisherige Versorgungslage der Kriegsopfer auf, die noch immer auf die 13. Monatsrenfe warfen, abgesehen davon, daß die Entschädigungssätze der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage widersprechen. Nach dem letzten statistischen Ausweis gab es in Oesterreich 166.904 Beschädigte. 57.937, also mehr als die Hälfte sind mit 30 Prozent, 29.219 mit 40 Prozent, 36.743 mit 50 Prozent, 10.863 mit 60 Prozent, 17.272 mit 70 Prozent, 7154 mif 80 Prozent, 2247 mit 90 Prozent und schließlich nur 4853 mit 100 Prozent als Beschädigte eingestuft. Die hier aufzuwendenden Beträge können also, an der Staffel abgelesen, keineswegs unerreichbar sein. Als Hinterbliebene werden in Oesterreich 231.005 Personen geführt, 91.912 davon sind Witwen und 24.800 erwerbsunfähig oder Frauen mit mehr als zwei Kindern. Es ist offensichtlich, daß. eine Gesamtregelung der Versorgungssäfze nicht von zeitlichen, persönlichen, parteilichen oder sonstigen Erwägungen auszugehen hat, sondern ein Sozialgesetz sein muh, das allen gerecht werden soll.

DIE SEIT LANGEM ERWARTETE NOTE BONNS an die Sowjetunion über Deutschland wurde am siebenten Geburtstag des westdeutschen Staates in Moskau überreicht. Die Bundesregierung erklärt sich darin bereif, alles, was in ihrer Macht steht, zu tun, um dem von ihr anerkannten Sicherheifsbedürfnis der Sowjetunion entgegenzukommen. Die westdeutsche Aufrüstung bedroht, so hält diese Note fest, nicht die Sowjetunion, -da Westdeutschland auf die Herstellung schwerer Waffen und Atomwaffen verzichtet und nur defensive Mahnahmen treffe. Die NATO diene nur der Verteidigung; die Bundesregierung greift — und das ist vielleicht der wichtigste Punkt dieses Memorandums — den Eden-Plan vom Juli 1955 in Genf auf: und ist bereit, die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Deutschland mit Moskau zu diskutieren. Seinerseits hält Bonn an einem europäischen Sicherheitssystem fest, dem das ganze Deutschland, vereinigt, angehören soll. — Bonn appelliert dann an Moskau, die Wiedervereinigung nicht zu verhindern, sondern selbst mif herbeizuführen. Ohne Wiedervereinigung könne es keine normalisierten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Deutschland geben. In diesem Zusammenhang richtet die Bonner Note scharfe Angriffe gegen das

..Regime der sogenannten DDR“, über das sicfi die Sowjetunion ganz falsche Vorstellungen mache. — Diese Bonner Note bildet ein seltsames Gemisch von wohlabgewogenen, im einzelnen sehr ernsten Vorschlägen und voti undiplomatischen Aeußerungen. Sie wurde in einem Augenblick überreicht, in dem die Beziehungen Bonns mit Moskau nach übereinstimmenden Feststellungen der westdeutschen Presse den „Gefrierpunkt“ erreicht haben; das Verbot der KPD unddie soeben erfolgte dubiose Verordnung über die Einstellung von SS-Offizieren in die neue westdeutsche Wehrmacht (bis zum Oberstleutnant; die nächsten Beförderungen können, wie westdeutsche Beobachter feststellen, also bereits auch wieder SS-Generale als Erzieher der deutschen Jugend bringen), nicht zuletzt aber die Polemik von Regierungsmitgliedern gegen die Sowjetunion haben ein Klima geschaffen, wie es eben jefzt bei der Ueberreichung der Note selbst sichtbar wurde. Der stellvertretende Außenminister Gromyko erklärte dem westdeutschen Botschafter Haas, dafj „unter den gegenwärtig in der deutschen Bundesrepublik herrschenden Verhältnissen“ eine Wiedervereinigung nicht in Frage komme, und verwies Bonn auf Verhandlungen mit Pankow. Eine grofje Revision seiner Außenpolitik wird sich auf die Dauer nicht vermeiden lassen; eine solche ist aber ohne innenpolitische Veränderungen undenkbar. Regierung und Opposition stehen vor schweren Entscheidungen.

HARTE TATSACHEN. Der in der vergangenen Woche in Brighion abgehaltene Jahreskongreß der britischen Gewerkschaften brachte keine, besonderen Ueberraschungen. Es war zu erwarten und angesichts der in einem Großteil der Arbeiterschaft herrschenden Stimmung wohl unvermeidbar, daß der Kongreß es ablehnen würde, den affiliierten Gewerkschaften Mäßigung bei der Erhebung neuer Lohnforderungen zu empfehlen, oder den vom Generalrat allerdings nicht gebilligten Antrag des Generalsekretärs der mächtigen Transport- und Allgemeinen Arbeiter-Union zurückzuweisen, der den jetzigen Zeitpunkt als „besonders günstig“ bezeichnete, um die resflose Einführung der 40-Sfunden-Woche durchzusetzen. Uebrigens war dieser Anfrag sicherlich von den meisten Delegierten, die für ihn stimmten, in erster Linie als eine Demonstration gegen die konservative Regierung und den Schafzkanzler gedacht. Vor Abschluß der Gewerkschaftsfagung, und gleich dem Schatzkanzler, hat sich nun auch die Arbeilgeberschaft zu Wort gemeldet; konkret gesprochen, die Leitung der Briggs-Karosseriewerke in Dagenham. Diese Firma, die 12.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, wurde seif Beginn des Jahres von nicht weniger als 144 „inoffiziellen“ Streiks im Gesamtbefrieb oder in einzelnen Abfeilungen betroffen. Jetzt hat sie ihre Belegschaft gewarnt, daß es so nicht weitergehen könne; bei Fortdauer eines solchen Zu-stands würde sie sich genötigt sehen, ihr Produktionsprogramm zu reduzieren und umfangreiche Entlassungen vorzunehmen. Eine ähnliche Stellung wurde von einer langen Reihe anderer Arbeitgeber bezogen — so von den verstaatlichten Eisenbahnen, den Schiff- und Maschinenbaufirmen, von verschiedenen Transportunternehmen — bei denen heute unerfüllbare Lohnforderungen angemeldet sind, oder deren Betriebe durch andauernde Streiks oder mangelnde Arbeitsdisziplin bereits zur Stillegung gezwungen wurden. So stehen zwei Fronten in scheinbar unversöhnlicher Halfung gegeneinander. Trotzdem wird das Aeußersfe vermieden werden, ein Kampf, bei dem es letzten Endes keinen Sieger, sondern nur noch Leidtragende gäbe.

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