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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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SEINE PROMINENZ: DER LUSTMÖRDER. Oesterreich hat — endlich — einen Mann, von dem man spricht. Aus der völligen Anonymität ist er mit einemmol zur allgemeinen Berühmtheit auf- gesfiegen. Zu einer traurigen Berühmtheit allerdings. Denn der Mann, dessen Porträts alle Zeitungen wiedergeben, die spaltenlang seine Lebensgeschichte immer wieder erzählen, ist nicht vielleicht ein erfahrener Staatsmann oder ein verdienter Menschenfreund im weifjen Aerztekleid, es ist auch nicht einer der modernen Heroen der flimmernden Leinwand. Es ist der Frauenmörder Alfred Engleder. Wir sind keineswegs weltfremd und wissen auch sehr wohl, daß Mittagsblätter unter anderen journalistischen Gesetzen stehen als zum Beispiel intellektuelle Monatsrevuen. Dennoch war es ein makabres Schauspiel, was uns hier tagtäglich an den Zeitungsständen geboten wurde. Den Höhe- bzw. Tiefpunkt der ganzen Kampagne bildete wohl jene „Extraausgabe", die das oft noch zurückhaltendste Blatt unter unserem mittäglichen Trifolium diesmal herauszugeben für notwendig fand. Vier Seifen Mord in Wort und Bild... Und das alles noch dazu am Fronleichnamsfag, Dazwischen noch eine beinahe rührselige Geschichte „Erfinder — Romantiker — Mörder". Der eben noch als „Bestie von Steyr’ apostrophierte Unhold wird hier plötzlich zum Menschen wie du und ich. Er wird zum „Fredi”, von dem berichtet wird, daß er 1920 geboren und ohne Liebe aufgewachsen ist. Minderwertigkeitskomplexe ... Frauen, die sich über ihn lustig gemacht haben usw. Also ging er hin, nahm sein „Fäustel” und mordete. Ganz natürlich — nicht wahr. .. Oder nicht? Was passiert, wenn irgendwo in irgendeinem der potentiellen Engleder mitten unter uns, in einem der vielen komplexgeladenen Mitmenschen unserer Zeit unter dem Eindruck dieses Mörderkultes ein schrecklicher Gedanke hochglimmf, unterdrückt wird und — vielleicht — erst in Jahren zum Ausbruch kommt...? Wenn er dann die Hacke nimmt — um über Nacht ins breite Licht der Oeffenflich- keit zu geraten. Kein Reporter oder Redakteur setzt sich dann mit auf die Anklagebank.

BITTERE WORTE. Der Bundesminister für Unterricht hat sich in einem am vergangenen Wochenende in einer Wiener Tageszeitung veröffentlichten Aufsatz seine Sorgen von der Seele gesprochen. Bittere Worte an die Adresse des Koalitionspartners werden gesprochen. Nach einer Traktandenliste von handfesten Beispielen, in denen man von seiten der zweiten Regierungspartei im letzten Jahr die Arbeit seines Ressorts systematisch blockiert hat, kommt der Minister auch auf die schwebenden groljen kulturpolitischen Fragen zu sprechen: Hier glaubt er mit Bedauern festsfeilen zu können, dafj ci die Stelle der „papierdünnen Wand”, von der noch vor zwei Jahren der damalige Vizekanzler gesprochen hat, „wieder die chinesischen Mauern stehen". Das beinahe ins Persönliche gehende Duell zwischen dem neuen, impulsiven Vizekanzler und dem mit Beharrlichkeit und Ausdauer sein Konzept verfolgenden Hausherrn auf dem Minorifenplafz wird hier deutlich ... Gröfjtes Interesse verdient auch, was Bundesminisfer Drimmel über die offenen Hochschulfragen zu sagen weilj:

„Bleibt noch die Frage der Fortsetzung der Hochschulreform. Dafür waren drei Etappen vorgesehen gewesen. Erstens das Hochschulorganisationsgesetz (1955 verabschiedet), zweitens das Hochschulstudiengesetz (derzeit umstritten) und schließlich die Neuordnung des Dienst- rechtes der Hochschullehrer. Man muß jetzt der SPOe dankbar sein, daß sie die .zweite Intention1 ihrer hochschulpolitischen Forderungen unumwunden zugibf. Mir selbst wurden drei verschiedene Versionen dieser hochschulpolitischen Zielsetzung bekannt. Zuerst verlangt ein Sprecher der SPOe, die Partei müßte in jedem Professorenkollegium einen ihrer Parteigänger, sozusagen als Gewährsmann, sitzen haben. Dann sprach man ganz offen die Forderung nach der Einführung des Proporzes bei der Vergebung von Lehrkanzeln aus und bezeichnefe das gewünschte System ausdrücklich als einen Fortschritt gegenüber dem bestehenden Zustand. Schließlich war ernsthaft von einer Art Segmentierung des Hochschulwesens die Rede; etwa so, daß eine Universität mehr katholischen Charakter frage, die andere wieder anders gerichteten Erwartungen entsprechen soll. Nicht ganz zu Unrecht nennt die SPOe den Fall Kolb einen Testfall der Hoch- schulpolifik. An diesem Fall will sie offenbar den Professorenkollegien demonstrieren, wohin sie kommen, wenn sie bei der Erstellung von Besefzungsvorschlägen nicht auf parteipolitische Erwartungen rechtzeitig Bedacht nehmen. Heute blockiert die SPOe nicht nur den Fall Dr. Kolb, sondern bereits weitere zwei Ernennungsvorgänge. In einem Fall deswegen, weil ,ihr Mann' im Ternavorschlag nicht aufscheint; im anderen Fall deswegen, weil zuerst einmal einer der Chefideologen der Partei eine Tifulierungsauszeichnung bekommen soll. Hier sind wir an der Linie angelangt, wo auch ich bereif bin, von Testfällen zu sprechen, und wo ich pflichtgemäß die Frage stellen muß: Ist das der Respekt vor dem Gesetz, das die Autonomie der Hochschulen bei der Erstellung von Besefzungsvorschlägen garantiert? Ein Staat, der dazu übergehen würde, Hochschulfraqen mit der dafür ungeeigneten Waage des Proporzes zu wägen,

würde der Wissenschaft des Landes bald das Grab schaufeln. An dieser Polemik aber orientiert sich der Widerstand des Unterrichtsministers, der hier nicht Parteiempfinden, sondern Existenzgrundlagen des Hochschulwesens zu verteidigen hat.”

Das sind Worte, geeignet, die Oeffentlichkeit zur Wachsamkeit zu verpflichten.

FLUCHTUNGSELEND. Das Einsfrömen von mehr als 170.000 ungarischen Flüchtlingen nach Oesterreich hat das Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem von 1945 in den Hintergrund gedrängt. Die beiden Probleme bestehen aber nebeneinander, denn allein rund 20.000 „Alf- flüchtlinge” leben noch heute in Baracken. Ein Viertel der Wohnbauförderungsmittel soll jetzt laut Gesetz zur Beseitigung des Baraqkenelends verwendet werden. Von der größeren Gruppe der Flüchtlinge, der der Ungarn, befinden sich noch 29.000 Menschen in Oesterreich, davon lebt etwa die Hälfte in Lagern. Es gibt unter diesen 170 Jugendliche unter 14 Jahren, die, wie Staatssekretär Grubhofer kürzlich bei einer Pressekonferenz sagte, gerne zu ihren Eltern zurückgeschickt werden würden, die diesbezüglichen Verhandlungen, die das Internationale Rote Kreuz mit den ungarischen Behörden führte, scheiterten jedoch bisher. Was geschieht mit den 29.000? Eine Befragung ergab, daß von ihnen nur 3383 in Oesterreich bleiben wollen. Diese gehören 29 Berufssparten an, mehr als die Hälfte von ihnen ist unter 25 Jahren. Man muß damit rechnen, daß bis Ende dieses Jahres sich noch immerhin 15.000 Ungarn in Oesterreich befinden werden. Die österreichische Regierung muß sich aber in erster Linie um die Seßhaftmachung der Dreitausend kümmern. Dabei wäre es ein Fehler, nicht zu erkennen, daß das Flüchtlingsproblem vor allem ein psychologisches ist. Aengste, Illusionen, Flucht nicht nur vor dem politischen Terror und dem Elend, sondern oft auch einfach vor dem Alltag, vor der Familie und, angesichts des eigenen Versagens, vor dem eigenen Ich: diesen Komplexen stehen dann überhöhte Ansprüche und Erwartungen gegenüber, die sich, dank einer ebenso dummen wie gewissenlosen Propaganda der verschiedenen „Freiheifs- sender”, hauptsächlich auf das Schlaraffenland Amerika konzentrieren. Das sind einige der Motive, die eine „Lösung” des Flüchtlingsproblems unendlich erschweren. Da es sich kennzeichnenderweise bei den Flüchtlingen in der Mehrzahl um junge Menschen handelt, liegt hier ein weites Betätigungsfeld für Jugenderzieher und Seel- sorqer aller Sparten offen. Um diesen schweren, weltweiten Problemen muiig zu begegnen, veranstalteten das Wiener Institut für Sozialpolitik und Sozial reform:.'und die Europäische For- schungsgruppe, . für ; Flüchtlinqsfragen (Sektion Oesterreich) in Salzburg am letzten Wochenende eine Taqung über das Flüchtlinqsproblem. Mögen diesem ersten Schritt weitere folgenl blE ZEIT DRANGT. Am 6. Mai dieses Jahres war das Kabinett Segni zurückgefreten. Genau fünf Wochen später, am 11. Juni, tat die Regierung Zoll das gleiche. Sie trat nach einigen dramatischen Parlamentssitzungen zurück. Nach einem „Interregnum", das obrer keines war, weil niemand regierte, sind nun die Beratungen wegen der Bildung einer neuen Regierung im Gange. Wieder hat der Staatschef Gronchi nach einem nun festgelegten Turnus die Präsidenten des Senats und der Kammer, alle gewesenen Ministerpräsidenten, sodann die Fraktionsvorsitzenden der zahlreichen Parteien bis hinab zu den kleinsten Splitterparteien und endlich zu guter Letzt seine Vorgänger im Amt des Staatschefs zu konsultieren, um dann, durch diese Befragungen politisch erleuchtet, den neuen Mann zu finden und zu betrauen. Dieser braucht dann wiederum Zeit, um seine Mitarbeiter für die zahlreichen ministeriellen Ressorts auszuwählen — und so fort. An Spöttern fehlt es daher nicht, die angesichts der in knapp einem halben Jahr fälligen Neuwahlen von einem fein ausgedachten politischen Spiel reden, womit sich die Parteien und deren Exponenten die Zeit vertreiben, um die Frist bis zu den Wahlen auf einfache Weise zu verkürzen. Die politische Wirklichkeit ist anders. Sie ist bitter ernst. Zudem drängen wichtige Termine. Alle verantwortlichen Politiker wissen, daß unaufschiebbare und zeitraubende Debatten in Kammer und Senat notwendig sind, um die Budgefbewilligungen der verschiedenen Ressorts fristgerecht zu bewirken. Das gleiche gilt für die Ratifizierung der Verträge wegen des Gemeinsamen Marktes und Euratom. Mehr im Hintergrund stehen, weil noch stark umfochten und eingehender kontradiktatorischer Beratungen gewärtig, die Agrarpakte und die Reform der Verwaltung. GaViz gleich, wer nun der vom Sfaatschef erkorene Kandidat für das Ministerpräsidium ist — in den letzten Tagen steht eine „Renaissance” Zolis und seines Kabinetts im Vordergrund, die man jedoch auch nur als Uebergangslösung bis zu den vorzuverlegenden Neuwahlen ansehen kann —, eines ist aus dem ersten verunglückten Auftreten Zolis zu lernen. Nämlich: künftig Verzicht auf jegliche politische Qualifikation im Sinne parteipolitischer Ausprägung des Regierungsprogramms, das sich, wie oben dargefan, auf einige wenige für Volk und Land notwendige und unaufschiebbare Punkte beschränken sollte.

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