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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EINE LANZE FÜR DEN „WEISSEN SONNTAG" hat im Rahmen einer von einem Wiener Mittagsblatt veranstalteten Umfrage der Bundesminister für Unterricht gebrochen. Weißer Sonntag? Unter diesem Namen versteht man alle jene Bemühungen, die darauf abzielen, wenigstens einen Sonntag im Monat auch für alle Minister, Mandatare und sonstigen Männer des öffentlichen Lebens zu dem zu machen, was eigentlich jeder Sonntag sein soll: ein Tag der Ruhe und Besinnung, fern allem Getriebe des Alltags. Denn das ist einer der großen Widersprüche unserer Zeit. Die Technik nimmt dem Menschen viel von seiner Arbeit ab. Schon diskutiert man weitere Verkürzungen der Arbeitszeit. Es wird also weniger gearbeitet als noch vor einigen Jahrzehnten, aber „der Betrieb" hat beträchtlich zugenommen. Keden, Wochenendtagungen, Festspiele, Kongresse: überall und beinahe pausenlos, das dp.flke Jahr. Die Männer des öffentlichen LebäjjÖjfclen: einmal hier, einmal dort. Pflichtgefühl isflsei dem einen der Motor, bei dem anderen die Konvention, beim dritten der Drang, „mit dabeisein zu müssen". Das Karussell dreht sich ohne Pause. Mitunter freilich greift sich ein Mann ans Herz und der Arzt, der dann den Totenschein ausstellf, registriert nüchtern „Managerkrankheit". Der Reigen aber geht weiter. In der Deutschen Bundesrepublik hat man als erstes versucht, durch die Propagierung eines tagungsfreien Wochenendes im Monat den Teufelskreis zu durchbrechen. Bei uns kommt Minister Drimmels „Ruf nach dem ,Weißen Sonntag'", der dasselbe zum Ziel haben soll, gerade zur rechten Zeit. Und noch ein Wort sprach der Minister: „Einfach nicht mit mach en." Wenn dieses Wort Echo findet — und es verdient es —, dann kommen wir vielleicht doch einmal dorthin, wohin wir gehören: zu vier Sonntagen im Monat, die wirklich und nicht nur dem Namen nach Sonntage sind. Einfach nicht mitmachen! Zu diesem „passiven Widerstand", zu diesem „nationalen Ungehorsam’ sind alle aufgerufen.

AM SCHWARZWEISSROTEN BANDE... Im Rahmen d s vom Bonner Bundestag gegen die Stimmen der Opposition verabschiedeten Ordensgesetzes wurde auch das Tragen der während des zweiten Weltkrieges erworbenen Kriegsdekorationen nun in aller Form für die Deutsche Bundesrepublik sanktioniert. Diese sollen zwar ohne Hakenkreuz, aber am schwarzweißroten Bande getragen werden. Schwarzweißroi kehrt also in das Farbenspiel der Deutschen Bundesrepublik, wo noch der unselige Flaggensfreit der Weimarer Zeit bei den politisch wachen Gemütern in Erinnerung ist, zurück. Und mit Ihm die nun einmal vom Führer verliehenen Orden und Ehrerizeichen mit kleinen Retuschen. Man trägt wieder... Wo sind die Zeiten, in denen die Frage der Orden „Weltkrieg II" Ansätze zu einer neuen Geistigkeit zeigte, als die Pax- Christi-Bewegung zu einem großen Verzicht aufrief und — vor genau sechs Jahren — niemand anderer als ein ehemaliger Ritterkreuzträger in einer Zuschrift an die „Westfälischen Nachrichten" seine klare Stimme erhob: „Wer das Verlangen hat, seine Orden zu fragen, dem fehlt es an innerem Gehalf... Die Orden werden nach alfem Brauch nur an Soldaten verliehen, obgleich der Krieg alle, Mütter, Kinder, Greise, erfaßte. Und wenn man an die Mütter, die im Luftschutzbunker schützend ihren Körper über den Kindern hielten, und an das Geschehen von 1945 denkt, mit den Millionen Vertriebenen und Umgekommenen, schämt man sich dann seiner Orden nicht etwas?” Der Deutsche Bundesrat hat jetzt anders beschlossen. Für die Deutsche Bundesrepublik mag diese Regelung tragbar sein. Man hüte sich aber, aus dem Bonner Beschluß Parallelen für Oesterreich abzuleiten. Hier liegt die Sache doch etwas anders. Man bleibe bei der bisherigen Praxis und verschone vor allem unser junges Bundesheer vor Auseinandersetzungen, die — gleichgültig wie sie ausgehen würden — tiefe Narben zurücklassen würden. Dem Vernehmen nach haben hohe und höchste Offiziere des Bundesheeres, die, im Gegensatz zu manchen unentwegten Förderern, eine ansehnliche Sammlung von Orden des zweiten Weltkrieges aufzuweisen hätten, spontan erklärt, sie wünschen keine Erörterung dieser Frage. Das ist ein Standpunkt, der österreichischen OffizieMfi, die nicht nur der Uniform nach solche sind, alle Ehre macht. An ihm ist auch in aller Zukunft festzuhalten.

WACHSEN DEM BRITISCHEN LÖWEN NEUE KRALLEN! Das britische Weißbuch über das Verteidigungswesen, das für viele wie ein Schock gekommen ist, weist zwei Hauptmerkmale auf: große Veränderungen in den militärischen Plänen infolge der Einführung von Kernwaffen und ferngelenkten Geschossen, urid Maßnahmen, die den Verfeidigungsaufwand an Geld und Menschen auf den Stand bringen sollen, den sich Großbritannien leisten kann. Seit der Einführung der Wasserstoffbombe ist es immer deutlicher geworden — und das Weißbuch spricht es auch offen aus —, daß es gegenwärtig noch keinen angemessenen Schutz für das britische Inselvolk gegen Kernwaffenangriffe gibt, sei es durch Bombenflugzeuge, sei es durch ferngelenkte Geschosse. So groß ist die Zerstörungskraft der Wasserstoffbombe, daß es, nach den Werfen des Weißbuches, genügen würde, „wenn nur ein Dutzend feindliche Flugzeuge durchdrjngf, um allgemeine Verheerung anzurichten. Deshalb wird zum obersten Gebot aller militärischen Pläne die Verhütung des Krieges”, Dieser Gedankengang hat viel für sich, wenn der Krieg so verhütet werden kann. Was aber ist, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Wird England sich in einen Afomkrieg einlassen, der zumindest die völlige Zerstörung des Mutterlandes bedeutet? Wird jetzt jede kleine Auseinandersetzung in Ermangelung von Streitkräften gleich zu einer Afomkriegführung ausgeweitet werden? Diese und ähnliche Fragen beunruhigen viele in diesem Land. Großbritannien kann nur die beste, modernste Ausrüstung für seine Streitkräfte brauchen, aber das verschlingt ungeheure Summen, und so ist England gezwungen, seinen Verfeidigungsauf- wand zu reduzieren. Eine gewisse Ersparnis an Streitkräften wird durch die schon seif langem bekannte Herabsetzung der in Deutschland stationierten Einheiten erreicht. Mehrere überseeische Garnisonen werden gleichfalls verringert, so zum Beispiel in Libyen, wozu noch der Abzug aus Jordanien und Korea kommt. Durch die Verringerung der stationierten Land- sfreifkräfte in vielen Stützpunkten wird die Bedeutung der Kriegsmarine im kalten und örtlich begrenzten Krieg, vor allem die Wichtigkeit von Flugzeugträgern als bewegliche Luftstützpunkte, um ein beträchtliches erhöht. Die konservative Regierung ist zuversichtlich, daß der neue Verteidigungsplan die Wirtschaft des Landes entlasten wird und zugleich eine schlagkräftige, ständige Truppe erster Güte schafft, die nach den modernsten Gesichtspunkten organisiert und ausgerüstet ist. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob diese Rechnung stimmt,

CHINESISCHE SYMPHONIE 1957. Auf die Veröffentlichung der Märzreden Maos — die Studenten haften dafür einige Tage frei bekommen, um sie gründlich studieren und sich mit ihnen auseinandersetzen zu können — folgten, wie im Vortrag einer Symphonie, zwei disparate „Sätze". Tschu En-lai vertrat in großer Versammlung, in Gegenwart Maos, einen Standpunkt, der Maos Thesen kritisierte und die angeklagte Partei und Bürokratie verteidigte. Gleich darauf wurden Berichte über starke innenpolitische Kritik und über konterrevolutionäre Umtriebe veröffentlicht. Die Regie dieser drei Sätze der Chinesischen Symphonie 1957 ist, von Mitteleuropa aus, momentan noch nicht ganz einzusehen. Vielleicht hilft ein kurzer Seitenblick auf die USA weiter Bort haben die angeblichen oder tatsächlichen Gegensätze zwi- sche Dulles und Stassen über die amerikanische Atom- und Abrüsfungspolifik auf der Londoner Äbrüsfungskorlferehz 'welfaüfselten erregt. Nachdem viel über diese Dissonanzen geredet und geschrieben wurde, hat sich fast stillschweigend eine andere Version dieses Streites durchgesetzf. Englische und amerikanische Beobachter meinen heute, daß hier einfach mit verteilten Rollen gespielt wird. Stassen habe das dringende Interesse des Staates und der Wirtschaft an einem tragbaren weltpolitischen Ausgleich zu vertreten, Dulles die notwendige Rücksichtnahme auf die Verbündeten, die nicht allzusehr vor den Kopf gestoßen werden sollen. Es ist heute ja tatsächlich so, daß eine Weltmacht und eine Weltpolitik von ein und derselben Großmacht verlangen, daß sie gleichzeitig sehr verschiedene Interessen, ja Gegensätze, vertritt. Die Aufgaben, die Räume, die Nöte sind so groß und so mannigfaltig, daß eben in einem Raume und im Rahmen einer weltumspannenden Politik konkret sehr gegensätzliche Interessen aufeinanderstoßen. Diese zu koordinieren und aufeinander abzustimmen, erfordert Meisterdirigenfen des großen Weltorchesters. Eine Sache, die gelernt (und bezahlt) werden will. Aehnlich und anders zugleich scheint es in China zu sein. Mao verfriff, wie prominente kommunistische Chinesen sagen, die Anliegen der Agrarrevolution und weiß, daß da nur in sehr langen Zeiträumen wirkliche Aenderungen durchgesefzt werden können. „Mutter Erde’ will mit viel Geduld behandelt werden. Tschu vertritt, so sagen dieselben Leute, die Parteimänner, Organisatoren, das städtische Volk der Arbeiter und Manager, die möglichst schnell schalten, und das heißt umschalten wollen. — Wie immer dem auch sei, es ist sehr wohl möglich, daß auch in China eine Arbeitsteilung vorliegt, wobei noch hinzukommf, daß man es sich mit Moskau nicht verderben will: China kann in Zukunft nur dann für Amerika einen ebenbürtigen Verhandlungspartner abgeben, wenn es als Verbündeter Rußlands erachtet wird. Ein in sich isoliertes Peking würde, so fürchtet man dort, von den Amerikanern als „kleiner Fisch’ angesehen werden. Nichts aber fürchten die Chinesen seit Generationen mehr als die Geringschätzung ihrer Macht von seifen des weißen Mannes.

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