6640471-1957_42_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

STIMME DER JUNGEN. Die politische Arbeit dieses Herbstes läuft nach der offiziellen Rückkehr des Bundeskanzlers in seine Amtsgeschäffe an. Aber nicht nur Fragen des Tages stehen in Haus. In allen Lagern wird man in nächster Zeit guttun, die Positionen grundsätzlich zu überdenken und an die eigentliche Auswertung der Präsidentschaftswahlen des vergangenen Frühlings — sie wurde durch den Sommer und durch die Erkrankung des Kanzlers unterbrochen — zu gehen. In diesem Zusammenhang verdient eine Stimme der Jungen, die sich in der Oktobernummer der „Oesterreichischen Monatshefte” zu Wort meldet, größere Resonanz. Der Pressereferent der „Oesterreichischen Jugendbewegung”, Dr. Roberf Prantner, befaßt sich hier mit Problemen dieser politischen Nachwuchsorganisation der ersten Regierungspartei und spricht offen aus, wo viele der Volkspartei nahestehende junge Menschen der Schuh drückt:

„Um es einmal offen auszusprechen: die junge Generation, der es wirtschaftlich oft recht gut geht, ist mit vielen Begebnissen und Tatsachen, mit Auffassungen und Anschauungen in der OeVP unzufrieden geworden. Daß man dies hier im theoretischen Organ dieser auch innerparteilich wahrhaft demokratischen Partei sagen kann, das eben bestärkt die Treue dieser jungen Generation zur OeVP. Die junge Generation ist deshalb unzufrieden, weil sie Bekenntnis- und Grundsatzfreue liebt und ehrt, die an erster Stelle ihrem Programm zu entnehmen sind. Aber welche Tatsachen findet sie oftmals (bei Gott, nicht überall)? Einen verwachsenen und selbstsüchtigen Egoismus einzelner wirtschaftlicher Interessengruppen; wenig Christentum in der Ausdrucksform des politischen Bekenntnisses, etwa im Gegensatz zu Dr. Lueger und Altpräsident Kunschak. Die junge Generation meint auch einen immer weiter fortschreitenden, richtiger gesagt fortnagenden Neo- materialismus in der OeVP wahrzunehmen,

der als Folge der wahrhaft bewunderungswürdigen Wirtschaftspolitik unseres Bundesparteiobmannes und unseres Finanzministers unter den Satfen, den Saturierten und Motorisierten um sich greift. Die junge Generation erlaubt sich weiter feststellen zu dürfen, daß zwischen einem jungen. 16jährigen christlichen Gewerkschafter und einem Großindustriellen und mehrfachen Aufsichfsratmifglied und -Präsidenten, der einer Freimaurerloge angehört und sonst das Chrisfenfum nur als musealen Kunstschatz achtet, aber die Wirtschaft in der OeVP mitvertritt, anderseits, keine wie immer geartete Bindung mehr besteht. Das Programm Oesterreich, das 1945 auf die rofweißroten Fahnen der Partei geschrieben wurde, welchem Vorstandsmitglied der großen Bünde ist es noch die Herzenssache?! Gewiß gibt es noch Männer, Männer der OeVP, die höchste Würden in Staat und Partei bekleiden und treu zur Fahne stehen. Aber auf einsamen Posten weithin.”

Eine Stimme voll Temperament. Man sollte sie an zuständiger Stelle nicht überhören.

MIT DEM BLICK AUF DIE GEGENWART hat das „Forschungsinstitut für Fragen des Donauraumes’ seine heurige Jahrestagung in Linz gestaltet, Wer heute ein realistisches Urteil über die Kräfteverhältnisse und Entwicklungsmöglichkeiten im Donauraum gewinnen will, muß sich gründlich mit dem Gedankensystem des dialektischen Materialismus befassen. Man unterschätzt die Lebenskraft dieser Doktrin, wenn man sie nur von außen her, als ein abgeschlossenes Ganzes analysiert. Sie war und ist imstande, sich nicht nur vorhandene nationalistische Elemente zu amalgamie- ren, ja sie hat auch sich selbst in einem historisch sehr dramatischen Entwicklungsvorgang einen eigenen Nationalkommunismus entfaltet. Diese beherrschende Ideologie aber in ihrer historischen Entwicklung, in ihrer gegenwärtigen Verästelung und in ihren erkennbaren Zukunftsperspektiven in klarer Prägnanz dargestellt zu haben, ist ein außerordentliches Verdienst der beiden Referenten des ersten Verhandlungs- tages. Dr. Neubauer (München), der die gut dokumentierte Wechselwirkung von Kommunismus und Nationalsozialismus aufzeigte, und der Grazer Dozent Dr. Benedikt K a u t s k y, der neben einer kühnen und in vielem richtig gesehenen Interpretation des Titoismus in Vertretung eines verhinderten Referenten zugleich in meisterhafter Kürze das System des dialektischen Materialismus zu skizzieren wußte, waren schon deswegen berufene Sprecher, weil sie in ihrer Analyse nicht von Wunschbildern und vorgefaßten Meinungen ausgingen. Das Institut, das sich im zweiten Teil der Tagung mit wirtschaftsgeographischen und konkret-technischen Problemen der Verkehrsader Donau beschäftigte, konnte einen Zuhörer- und (zum Teil sehr lebhaften) Disputantenkreis begrüßen, der sich aus Angehörigen fast aller Nationen des Donau- roums zusammensetzte.- Hier war nichts von unfruchtbaren Vergangenheitserinnerungen oder haltlosen Zukunftsprojekten zu spüren.

„OSTPOLITIK TUT NOT!” Dieser Satz hat, als ein geläufiges Schlagwort, in Bonner Kreisen in diesen Wochen nach den Wahlen mehr als einmal die Runde gemacht. In diesen Tagen starb nun der Mann, der seit Jahren der Wegbereiter einer eigenständigen westdeutschen Ostpolitik war, Karl Georg P f I e i d e r e r. Der Botschafter Bonns in Belgrad war in den letzten Wochen öfter von Heuss und Adenauer empfangen worden. Ihm schien es Vorbehalten, als künftiger Botschafter in Moskau das heißeste Eisen der deutschen Politik anzufassen. Dazu war er berufen wie keiner. Dieser Berufsdiplomat aus der alten Schule des Berliner Auswärtigen Amtes war ein deutscher Mittler zwischen den Völkern von hoher Berufung und grofjem .Wagemut. 1952 wagte er es, als Abgeordneter der FDP dem Bundeskanzler Adenauer ein Memorandum vorzulegen, in dem festgestellt wird, „daß die Bundesregierung im Deutschlandvertrag auf alle Elemente einer eigenen Ostpolitik ‘ verzichtet”. In einer Rede zum Haushalt des Auswärtigen Amtes sprach er jJann vom „weiten Fleck auf der Bonner Landkarte”: dieser umfasse die gesamte östliche Hälfte der Welt. Es verdient gerade auch in Oesterreich hohe Beachtung, was dieser schwäbische Humanist und Weltenkenner (Pfleiderer beherrschte unter anderem Chinesisch Und Russisch in Wort und Schrift) in diesem letzten Jahrfünft unternommen ha1: besch’irhpfti verdächtigt, verlacht, brachte er jene Gedanken und Pläne für eine konstruktive deutsche und westliche Ostpolitik vor, die in der letzten Zeit Gemeingut der politischen Sprache in Washington, London, Bonn geworden sind. Nun hat diesen ln einer innerlichen Stille gereiften Mann (Pfleiderer war einer der besten Kenner des Buddhismus) ein Herzinfarkt aus einem Wirken gerissen, das eben erst begann, Früchte zu tragen.

FRANKREICHS ALGERISCHE ILLUSION. Nach dem Maßstab der menschlichen Lebensdauer gerechnet, ist eine lange Zeit verstrichen seit dem 5. Juli 1830, dem Tage an dem die französischen Farben am Flaggenmast der Kasbah zu Algier gehißt wurden, ein von allen Franzosen unbezweifeltes Recht begründend, die drei Departements der „France d’Outremer”, Algier, Oran und Constantine, ebenso als unabtrennbare Bestandteile des französischen Vaterlandes zu betrachten wie etwa die Departements der Haute-Savoie oder der Alpes-Marifimes. Der geschichtliche Werdegang hat vor dieser romantischen Vorstellung nicht haltgemacht. Ungeachtet der überaus eifrigen Förderung, die die sich folgenden französischen Regierungen dem Islam in Algerien angedeihen ließen und unbeeinflußt auch durch den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung, den die französische Herrschaft dem Lande gebracht hatte, erwiesen sich die algerischen „Franzosen” islamischen Glaubens und arabischer Muttersprache schon lange vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges als keineswegs immun gegen die Parolen des arabischen Nationalismus. Immerhin hätten sie sich damals noch, und selbst nach Kriegsende, mit dem Zugeständnis voller französischer Bürgerrechte und einer effektiven Selbstverwaltung Algeriens begnügt. Heute hingegen, nachdem soviel Blut auf algerischem Boden geflossen ist, kann von relativ so bescheidenen Forderungen keine Rede mehr sein, und Frankreich gibt sich einer gefährlichen Illusion hin, wenn es glaubt, Algerien mit Waffengewalt pazifizieren und in weiterhin dauernder Abhängigkeit erhalten zu können. Die algerische Freiheitsbewegung wird nicht mehr zum Sillstand kommen. Praktisch gesehen gibt es jetzt nur noch zwei Alternativen: entweder konzediert Frankreich unverzüglich die verlangte algerische Eigenstaatlichkeit oder der Kampf wird weitergeführf, mit dem schließlich doch unweigerlichen Ergebnis, daß Algerien in naher oder fernerer Zukunft seine Selbständigkeit erringt, aber als haßerfüllter Gegner von allem, was französisch heißt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung