6641896-1957_51_07.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

DIE ERSTEN FRUCHTE in der neuen Auseinandersetzung der österreichischen Sozialisten mit religiösen und kirchlichen Fragen scheinen weniger am „Baum der Erkenntnis’ der Partei- Iheorefiker. als am — Christbaum der Praktiker zu reifen. Kaum anderswo wird das Gespräch so ernst, nüchtern und aufrichtig geführt als in Kreisen des Gewerkschaftsbundes. Einen beeindruckenden Beweis dafür liefert die Weih- nachtsfesfausgabe seines Zentralorganes „Solidarität’. „Sfernenreigen”, ein ergreifender Aufblick zum nächtlichen Firmament, schmückt die Titelseite. Ueber das zwar dunkle, aber von geheimnisvollen Lichtern und Bäumen trostvoll erleuchtete Erdenreich zieht ein Evangeiienwort seine schimmernde Spur: „Friede den Menschen auf Erden.” Drei Bischöfe haben auf den ersten Textseifen das Wort, voran der katholische Erzbischof von Wien, Dr. Franz König, der in bewegten Worten dem sozialen Frieden, um den die Arbeiter — und Gewerkschaftsbewegung so opferreich, aber auch so erfolgreich gerungen haben, den notwendigen Frieden des Herzens überordnet, jenen Frieden, der zu allererst gemeint war, da er in der Heiligen Nacht verheizen wurde; und „niemand ist, der nicht wüßte, wo dieser Friede zu finden ist . Ist dieses Wort, aus diesem Munde, vor diesen Hörern schon neu, erregend, zukunftweisend, so überrascht vielleicht noch mehr das Geleitwort des Chefredakteurs Fritz Klenner, der sich freilich auch schon vorher als einer der intensivsten und ernst zu nehmenden Partner im Gespräch legitimiert hat. Sein Blick zum Sternenhimmel, eine Art Metaphysik des Fortschritts („Erst dann . . ."), vermittelt die vornehme Weisheit: „Erst wenn die Menschen Nächstenliebe und Fernsfenliebe eint, erst, wenn wir trotz unserer kühlen und stolzen Taten vor den Rätseln des Alls erschauern und uns vor der Schöpfung beugen, erst dann, aber nur dann, werden die Weihnachfsglocken einer glücklichen Menschheit erklingen und künstliche Gestirne um eine friedliche Erde kreisen. Das sind mutige, schöne, vielversprechende Worte. Wir haben sie zu solchem Anlasse aus dieser Richtung nicht immer gehört. Aber wir hören die Botschaft, und es fehlt uns nicht einmal der Glaube.

DER NEUE RUNDFUNK, mit der Gründung der Oesterreichischen Rundfunk-G. m. b. H. eingeleitet, soll, wie verlautbart, von drei Grundsätzen geleitet sein: Unabhängigkeit, Wirtschaftlichkeit, Programmgestaltung nach Hörerwünschen. Der Staat wird im Rahmen des kommenden Funks nicht als Hoheitsträger, sondern nur als Gesellschafter’ ein,es privafrechtlichen Unternehmens auftreten. Maßnahmen zum sparsamsten Einsatz der Gelder und zu einer Rationalisierung sollen getroffen werden. Zum dritten Punkt „Hörerwünsche wäre, wie es heißt, von Fall zu Fall eine Hörerbefragung vorgesehen. Es wird davon gesprochen, daß dem Bedürfnis nach Entspannung und Unterhaltung mehr als bisher Rechnung getragen werden soll und schließlich, daß der schöpferische Nachwuchs seinen Platz finden müsse. Das A und O des neuen Rundfunks wird aber die Finanzierung sein. Ein Hörspiel von 1949 wurde für das Buch mit 650 Schilling, für die Aufführung mit 3000 Schilling honoriert; 1951 lauteten die Ziffern 2300 und 5000, heuer 4150 und 9000 (alles Durchschnittszahlen). Die Zahl der Haupt- und Nebensender stieg von acht (1937) auf 89 (1957),, Es darf aber nicht übersehen werden, daß 58 Prozent des Jahresbeitrages eines Hörers nicht für den Rundfunkbetrieb zur Verfügung stehen. 26 Prozent allein kassiert die Post als „Anerkennungsbeifrag ein — eine sinnlose Belastung, die sich zusammen mit dem „Investitionsschilling’ und dem „Kunstförderungsbeitrag" wie ein Pflasterstein an die kaufmännische Geschäftsführung hängen wird. Wenn man für das Fernsehen 800 Millionen Schilling Kapital veranschlagt und das durch Kreditoperationen (Anleihe) zu erreichen hofft (Voranschlag 1958 mit Bundeshaftung bereits 50 Millionen), so beglückwünschen wir die neue Leitung zu ihrem Optimismus, möchten aber auf etliche kapitale Fehlleifungen auf dem Anleihemarkt in der letzten Zeit verweisen. Eine Erhöhung der Hörergebühren im nächsten Frühjahr mag unumgänglich sein, wird aber leider Wasser in die Preishochflut gießen. Und noch ein nicht unerheblicher Punkt: Die straffe Zentralisierung (also Auflassung der Länderstudios zum Beispiel), vom Standpunkt eines privafwirt- schaftlichen Unternehmens logisch unanfechtbar, wird böses Blut in den Bundesländern machen. Wenn der neue Generaldirektor erklärt, er habe „keinerlei Angst vor Vorarlberg”, so möchten wir denn doch erheblichen Besorgnissen in innerpolitischer Hinsicht für die Zukunft nachdrücklichen Ausdruck verleihen.

EIN PROZESS IST ZU ENDE. Der große politische Prozeß in der Bundesrepublik Deutschland endete am 13. Dezember nach dreiwöchiger Verhandlung mit dem Freispruch des früheren Chefideologen des Deutschen Gewerkschaftsbundes Dr. Viktor Agarfz und seiner Sekretärin, die angeklagt waren, verfassungsfeindliche Beziehungen zum Freien Deutschen Gewerkschaftsbund in der Sowjefzone und zur SED unterhalten zu haben. Dr. Agarfz war bereits lange vor dem Prozeß politisch „erledigt’, sein Fanatismus hatte ihn für die Gewerkschaften als untragbar erwiesen. Anstoß zu seiner Verhaftung war die Festnahme eines Kuriers seiner „Wirtschaftspolitischen Korrespondenz’ in Berlin gewesen, bei dem Gelder des osfzonalen Gewerkschaftsbundes gefunden wurden. Die Verhandlung ergab kein günstiges Bild von der Person des Angeklagten. Dem Freispruch kommt jedochi eine hohe innerpolitische Bedeutung für Westdeutschland zu! Da sich Beweise und Gegenbeweise die Waage hielten, da das Gericht dem Angeklagten zugesfand, eine „eigenwillige Persönlichkeit" zu sein, die sich nicht einfach kaufen lasse, konnte ein Freispruch gefällt werden, der für die Reinigung der durch den Wahlkampf vergifteten innenpolitischen Atmosphäre wichtig ist. Das Urfeil des Gerichtshofes demonstriert vor der ganzen freien Welt: in Westdeutschland herrscht kein McCarthysmus, hier werden Menschen nicht einfach abgeurteilt, weil sie eine sehr andere politische Meinung als die Regierung vertreten.

Kurz vor dem Freispruch des Dr. Agartz, der übrigens durch Adenauers ersten Innenminister Dr. Heinemann vertreten wurde, war es den führenden Männern in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU gelungen, gegen den entschiedenen Widerstand des Bundeskanzlers und einer gewissen, ihm nahestehenden Presse die Zustimmung der CDU/CSU zur Wiederbetäfigung Wehners als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Bundestages durchzusefzen. Mit Recht hat dies Aufsehen erregt. Der ehemalige Kommunist Wehner war von Kreisen um Doktor Adenauer und von ihm selbst als untragbar für ein so hohes Amt angesehen worden. Dr. Krone, Lemmer und andere führende Männer der CDU/CSU wiesen demgegenüber darauf hin, daß eine Ablehnung Wehners jegliche parlamentarische Zusammenarbeit mit der Opposition illu- - sorisch machen würde, da der Opposition die Namhaftmachung eines Mannes für eben diesen Ausschuß zustehe. Die Verbesserung des innenpolitischen Klimas in Bonn ist nicht zuletzt auf diesen zäh durchgehaltenen Entschluß der CDU- Bundestagsfrakfion gegen ihren obersten Chef zurückzuführen.

DIE KONFERENZ VON PARIS. Die am 16. Dezember 1957 in Paris begonnene NATO-Gipfel- konferenz steht vor außerordentlichen Aufgaben. Der eben kaum genesene Präsident Eisenhower muß an ęljęsei; Konferenz fejlnehrpen, weil die USA, sonst kaum Aussicht hätten, ihren Standpunkt durchzusetzen. Zum ersten Male seit dem Bestehen des atlantischen Verteidigungspaktes treten eindeutig die USA als Fordernde, ja Bittende, die europäischen Mitglieder als politische Gläubiger auf. Bisher konnte Amerika die Version durchsetzen, daß die amerikanischen Truppen in Westeuropa wesentlich die Aufgabe haben, diesen Westen selbst zu schützen. In Paris ist die harte Wirklichkeit Thema Nr. 1 aller Verhandlungen; die USA brauchen zum unmittelbaren Schutz ihres Kontinents die westeuropäischen Länder, da sie ihre Mittelstreckenraketen sonst nicht an den präsumptiven Feind heranbringen können. Es wird nach amerikanischen Schätzungen mindestens fünf Jahre brauchen, bis Amerika Langstreckenraketen, gleichwertig den russischen, erzeugen kann. Dieses militärische Problem ist für die gegenwärtige Regierung in Washington das wichtigste. Anders stellt sich die Lage für die europäischen Länder dar, wobei eine gewisse Allianz zwischen Frankreich und Deutschland unverkennbar ist. Paris und Bonn möchten einen politischen Preis für die Erlaubnis der Stationierung amerikanischer Rakefenwaffen aut dem Boden ihrer Länder. Bonn steht zudem unter dem doppelten Druck der eigenen Opposition und aller seiner östlichen Nachbarn, die nicht verfehlen, auf das große Risiko hinzuweisen, das Bonn eingehf, wenn es Westdeutschland als Raketenbasis für Amerika zur Verfügung stellt. — Und nun rollt über alle 81 UNO-Mifglieder und über die NATO-Mächte im besonderen die schwere Lawine der russischen diplomatischen Offensive bereits seit zehn Tagen. Bulganin schlägt einen Nichtangriffspakt zwischen Ost und West, zwischen NATO und Ostblock und ein Treffen der führenden Staatsmänner vor, Chruschtschow schlägt einen Freundschaffspakt zwischen der UdSSR und den USA mit einem ausgedehnten kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Unterbau vor. Dulles und Washington wollen sich im gegenwärtigen Moment noch nicht neu mit den Sowjets engagieren, da sie fürchten, als militärisch „Minderwertige" behandelt zu werden. In Paris treffen also echte, schwere Gegensätze aufeinander: das verständliche Interesse der USA, ihren nunmehr leicht verwundbar gewordenen Kontinent durch ein Vorfeld zu schützen, das ebenso legitime Interesse der westeuropäischen Staaten, die politische Verhandlungen bevorzugen, und vor dem Gespenst eines Wettrüstens und Weltkrieges zurückscheuen. Hoffentlich ist Eisenhower körperlich und seelisch' den Auseinandersetzungen gewachsen. Jeder einseitige Entschluß beschwört unabsehbare Gefahren herauf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung