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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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FENSTER AUF! Dar; Oesterreich eine „Brücke zwischen Wes) und Osi“ sei, gehört zu den beliebtesten Redewendungen unseres politischen Wortschatzes. Die Wirklichkeit schaut leider anders aus. Nicht nur der Politik hat der bekannte Vorhang 60 Kilometer vor Wien Grenzen gesetzt, auch der Kultur und Wissenschaft sind — oder waren zumindest durch lange Jahre — Schranken in ihrer Wirksamkeit gesetzt. Das führte so weit, dal; man sich allmählich an diesen Zustand gewöhnte und bald überhaupt vergafj, zu überprüfen, ob nicht doch ein gewisses Tauwetter das Oeffnen des ost-seitigen Fensters unseres Hauses erlaube. Das soll in Zukunft anders werden. Das Fenster nach Osten aufzulun, ohne die Sicherheifsketfe gegen unerwünschten Besuch bei der Haustür zu entfernen, den Blick für die Fragen der alten Schicksalslandschaff, die der Osten zu jeder Zeit für Oesterreich war, neu zu schärfen, hat sich die unter Leitung von Ministerialrat Dr. Alfred W e i k e r t stehende „A r b e i t s g e m e i n-schaft Ost“ zum Ziel gesetzt. Diese Arbeitsgemeinschaft dient allen Instituten und Institutionen, die sich mit Ostfragen beschäftigen, als Dach. Sie will alle Initiativen fördern und koordinieren, die auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Wirfschaff ihren Beitrag dazu leisten, dafj nicht neben der politischen Grenzlinie auch noch durch unsere Trägheit oder falsche Aengstlichkeit eine neue Scheidewand des Nichtwissens entsteht. Das für die. erste Etappe in Aussicht genommene Arbeitsprogramm ist realisfisch. Es soll das Fundament legen, auf dem daTin der Bau zu errichten ist. Eine Vortragsreihe, in der erstmalig auch Wissenschaftler aus den östlichen Nachbarstaaten über einschlägige Fragen ihres Faches zu Worie kommen sollen, macht den Anfang. Hand in Hand damit geht eine Bestandsaufnahme der in Oesterreich erreichbaren Ost-publikafionen und der Aufbau einer übersichtlichen Kartei. Quellenhefte zur Ostkunde werden in vier Reihen aufgelegt, die Herausgabe einer repräsentativen Zeitschrift vorbereitet. Der nach wie vor in Oesterreich vernachlässigten Erlernung slawischer Sprachen soll nicht zuletzt durch Aufklärung entgegengewirkt werden. Noch andere Projekte, wie der Austausch besonders qualifizierter Studenten und Fachdozenten, sind in Vorbereitung. Das wiederhergestellte Palais Palffy auf dem Josefsplatz in Wien soll ein Zentrum für alle werden, die sich noch nicht damit abgefunden haben, dafj die Welt hinter Hainburg und Eisenstadi zu Ende ist. Angst vor „trojanischen Pferden“ haben Dr. Weikert und sein Mitarbeitersfab nicht. Mit Recht. Den,n wohin kommen wir„ wenn, wie D.okvor Bazillen hat...

EIN RECHT WELTLICHER „OSTERSPAZIER-GANG“ schmückt die Seiten 1 und 2 der „Arbeiter-Zeitung“: eine Absage an das „Rückwärtsschauen“, ein Bekenntnis zum „Glauben an die Entwicklung“. Auf Seife 3 aber nimmt F. K. den italienischen Film „Das Dach“ zum Anlafj einer Betrachtung über Wohnen und Wohnbau. Der Scblufjsafz „Sozialisten — das sind die, die Wohnungen bauen“ ist zwar genau, so richtig oder nicht nichtig wie etwa die Behauptung: „OeVP-Leufe — das sind die, die in die Kirche gehen“, aber einige Absätze vorher stehen Sätze, die man in dieser Form in dieser Zeitung noch nicht gelesen hat:

„Der Film, über den wir sprechen, ist alles andere als ein sozialistischer Film. Es kommi kaum ein Wort von Politik vor, und das Ganze ist nicht unmittelbar politisch gemeint. Die Dichtung wurzelt moralisch viel eher im Religiösen; das Dach, die Mauern und Türen sind heilig, weil sie die durch das Sakrament der Ehe geweihte Familie bergen. Diese Beziehung zum Dach birgt die glückliche Lösung der Handlung, denn sie ist die Basis des italienischen Grundrechtes, das den Hausfrieden schützt — und sie gibt selbst dem gesetzwidrig erbauten Haus Schutz vor der Polizei.“

Die Ehe als Sakrament, die Familie sakramental verbunden und geheiligt: das sind wahrhaftig österliche Erkenninisse auf sozialistischer Seile, die mit Genugtuung vermerkt seien. Das wäre ein Dach, unter dem man Zimmer an Zimmer wohnen könnteI

IN UNGARN. Für alle überraschend traf die Nachricht während der Karwoche in den westlichen Hauptstädten ein, wonach an der Spitze einer Regierungs- und Parteidelegation der neue sowjetische Regierungschef selbst nach Budapest flog, um an den Feierlichkeiten am 4. April teilzunehmen. Der Anlafj — 13. Jahrestag des Einzugs der Sowjeftruppen in Ungarn — schien mit Recht nicht gewichtig genug, um diese Demonstration zu rechtfertigen, und so gaben sich manche der Hoffnung hin, Chruschtschow werde in Budapest den Abzug der sowjetischen Einheiten aus Ungarn und noch andere „Richtlinien“ seiner neuen Politik in diesem Räume ankündigen. Der Staatsakt in der Budapester Oper, die grofje Militärparade und die Großkundgebung auf dem Budapester Heldenplatz sind nun vorüber, die sowjetische Delegation bereist gegenwärtig das Land, wobei nicht nur ihr oberster Chef, sondern immer wieder auch die Mitglieder der Delegation — so etwa der Erste Stellvertretende Ministerpräsident Koslow oder Aufjenminister Gromyko — auf Marktplätzen, in Fabrikhöfen und in den Höfen von Kolchosen vor den dort versammelten Menschen das Wort ergreifen. Ein seltsamer Spektakel, ge-wifj, besonders wenn man auch nur versucht, sich ähnliches, etwa eine Good-will-Tour mit amerikanischen Sfaatsführern, in europäischen Städten und Kleinstädten vorzustellen

— aber es wäre verfehlt, darin nicht den sehr realen Kern zu erblicken, der vielleicht im gegenwärtigen Zeitpunkt interessanter ist als die mehr oder weniger rhetorisch verwässerten Erklärungen und Botschaften an die amerikanische Adresse. Chruschtschow mufj heute

— und das ist in diesem Ausmafj bestimmt ein neuer Zug der sowjetischen Innen- und Aufjen-politik — den Kontakt zu den breiten Volksmassen suchen, er will ein konsolidiertes Ungarn oder zumindest äufjere Beweise einer solchen forfgeschritfenen Konsolidierung vielleicht weniger den westlichen Verhandlungspartnern von morgen, sondern vielmehr der sowjetrussischen Oeffentlichkeit von heute gegenüber aufweisen. Er braucht diese „Publicity“, um den Ungarn zu zeigen, dafj sie keine Aenderung von Moskau her zu erwarten haben, und damit den regimefreuen Kommunisten den Rücken zu stärken — und er braucht sie, um seinen Gegnern in der Parteiführung zu Hause zu beweisen, dafj ihr Hauptangriffspunkt — die wunden Stellen im vorgelagerten Feld von Warschau bis Budapest —, was das letztere betrifft, bereits überholt ist. Um diese Wirkung zu erzielen, ist Chruschtschow die mühsame Reise quer durch die ungarische Tiefebene wohl werf. Die Tatsachen, die hier offenbar werden, scheinen uns wichtiger als alles andere, was er in Budapest hätte ankündigen können ...

BURGERKRIEG IN INDONESIEN. Dschungelkrieg in Sumatra, nach den letzten Berichten auch in Cdebes. Kampf von Mann gegen Mann, Ueberfälle auf Strafjen, Bahnen, abgelegene Provinzstädfe. Das blühende Inselreich, von den Holländern grofjartig entwickelt und betreut, verwandelt sich von Monat zu Monat mehr in einen „Balkan des Ostens“. Gegen die Regierung des indonesischen Staatspräsidenten Sukarno haf sich bekanntlich die „Partei der jungen Obersten“ erhoben, die einen westlicheren Kurs verfolgen will. Vieles ist undurchsichtig. Regierung und Aufständische berichten von ihren Erfolgen. Einen wirklichen sichtbaren Erfolg haf in der letzten Zeit der grofje englische Versicherungskonzern Lloyds davongetragen, der Sukarno zwqn.g,- diebeschlqanahmtonchiffe der höllän-udischen Gesellschaft' KPM, eine ansehnliche Flotte von 40 Schiffen, freizugeben. Die ebenso überstürzte wie ungerechte Beschlagnahme des holländischen Gutes durch die indonesische Zentralregierung haf bekanntlich viel dazu beigetragen, den bewaffneten Konflikt auszulösen. Politische Doktrinäre, weit links stehend, haben Sukarno zu diesem Schritt bewogen, der die wirtschaftlichen Grundlagen des Landes erschüttert haf. Nicht nur der Westen, sondern vor allem auch Indien sehen mit Sorge nach Sumatra und auf die indonesische Republik. Wird diese kommunistisch, dann verschärft sich der rote Ring um den indischen Staat, in dem eben wieder schwere innere Konflikte aufbrechen. Diesmal ist es der Druck von rechts, der zunimmt. In offener Rebellion gegen die Regierung haben strenggläubige Hindus in der heiligen Stadt Benares, dem religiösen Zentrum des Landes, einen Tempel eingeweiht, der den „Un-berührbaren“ den Eintriff verweigert. Kasten-bewufjte Oberschichten, wenn man sie so nennen darf, fühlen sich durch die Regierung Nehru ihrer uralten Vorrechte beraubt. — Die innere Beziehung zu Indonesien ist durch die verwandte Struktur aller asiatischen und teilweise auch afrikanischen Staaten gegeben: es ist sehr schwer, einen Weg der Mitte zu gehen, wenn Hunger und Reichtum, Fanatismus ungebildeter Massen und halbgebildeter „Intellektueller“ aufeinanderstoßen. „Der königliche Weg der Mitte“ isf hier dornig, ein Kreuzweg. Bei dem jede Links- oder Rechtskurve eine Katastrophe auslösen kann. Das zeigt heufe das Regime Sukarno in Indonesien.

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