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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIGENGOAL. Am Anfang war ein nettes Histörchen am Rande der Rußland-Reise der österreichischen Regierungsdelegation. Einige Herren hatten beim Besuch des großen Sportstadions in Leningrad ihre Künste als Fußball-amateure erprobt. Ergebnis: eine in Gips verpackte Schulter des Chefs des Bundespressedienstes. Man lächelte — warum sollen Politiker und hohe Beamte einmal nicht die Fesseln der Konvention sprengen! Das Lächeln gefror aber, als man in der vergangenen Woche das „historische Ereignis“ im Rahmen der Wochenschau in allen Kinos bewundern konnte und sich die Kommentare des Publikums anhören mußte. „Publicity“ ist gewiß eine schöne Sache — solange sie nicht peinlich wird. Das österreichische Volk will gewiß keine „Uebermenschen“ an verantwortlicher Stelle wirken sehen. Es hat sehr viel über für echte „Volksmänner“. Es will aber auch stets mit einem gesunden Gefühl für das, was sich schickt, Formen gewahrt wissen. Und dazu gehört, daß man privaten Launen und Vergnügungen — gegen die niemand etwas einzuwenden hat, haben darf — nicht Publizität gibt wie einer Haus- und Staatsaktion. Oder wollen wir vor der Weltöffentlichkeit absichtlich demonstrieren, daf) wir ein harmloses Völkchen von Heurigensängern, Skifahrern und Fußball-champions geworden sind? Wenn ja, dann „gute Nacht!“, Oesterreich!

STACHELDRAHTGRENZE — KEIN AUSFLUGSZIEL! Die ungarische Volksdemokratie hat eine eigene Auffassung von „gutnachbarlichen Beziehungen“, die ihre Sprecher von dem neutralen Oesterreich unablässig fordern. Auch nach dem letzten Moskaubesuch unserer Regierungsdelegation wiederholte Budapest den Wunsch nach erhöhten Kontakten mit Oesterreich. Das war aber offensichtlich im Sinne marxistisch-leninistischer „Dialektik“ gemeint, denn gleichzeitig wurden im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet auch Gewehrsalven hörbar: sobald sich auf österreichischem Hoheitsgebiet entlang der im Zickzack verlaufenden Stacheldrahfgrenze Menschen zeigen. Die Schützen sind aber nicht etwa irgendwelche betrunkene Rekruten, sondern das Zielschiefjen auf lebende Objekte geschieht auf Befehl und wird durch den diensthabenden Offizier freundlicherweise manchmal auch angekündigt. Und die Antwort Oesterreichs? Es geschah lange Zeit nichts. Unsere Zollbeamten versehen ihren Dienst, auch wenn Schüsse um die Köpfe pfeifen, sie stapfen mutig weiter — im Finanzministerium in der Himmelpfortgasse hält man offensichtlich nichts von zuviel Fahrzeugen für mindere Organe — und schauen zu, daß die Touristen, die ihren Oesterreichtrip gerne mit einem netten Nervenkitzel beschließen wollen, doch weifergehen, bevor es kracht. Und das ist die Kehrseite der Medaille. Unsere Sommergäste aus dem goldenen Westen möchten Bilder fürs Familienalbum haben, die sie todesmutig, im Hintergrund mit Stacheldraht und Wachtfurm zeigen, daß die Zuhausegebliebenen erschauern. Für die ungarische Grenzmiliz gilt das als versuchte „Einmischung“ und Grenzverletzung, die sofort zu ahnden ist. Die Leidtragenden sind unsere Beamten, um die sich bei dem mörderischen Unfug am wenigsten jemand kümmert. Das soll jetzt anders werden. Das Innenministerium hat nach langem Zuwarten endlich eine Warnung an die Ausflügler und Andenkensammler erlassen, und auf den Tisch der mutwilligen Herren in Budapest flatterte eine geharnischte Note. Nichts weiter — vorerst. Aber es muh nicht dabei bleiben.

FANFANI BESUCHTE DE GAULLE. Der neue Stil der zwischenstaatlichen Gespräche in Paris zeigte sich auch diesmal: Der Ministerpräsident und Außenminister Italiens, dem bis vor kurzem niemand die Phantasie und Entschlossenheit auf außenpolitischem Gebiet zutraute, kam fast ohne Begleitung, um den Mann einsamer Entscheidungen zu konsultieren und um, wenn möglich, sein Konzept mit den neuerlichen Tendenzen der französischen Außenpolitik in Einklang zu bringen. Einigkeit bestand indessen bei den Gesprächen in Paris in der letzten Woche vor allem darüber, daß weder Italien noch Frankreich länger gesonnen ist, die Amerikaner über die „gemeinsame“ NATO-Politik allein bestimmen zu lassen. Aber es zeigte sich noch mehr. Der arabische Nationalismus sei eine Realität, und es sei notwendig, mit den arabischen Staaten, aber auch mit der Sowjetunion über die Probleme des Nahen Ostens die Verständigung zu suchen, was die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Förderung und sozialen Besserstellung dieser Gebiete in sich schließe. Diese Fragen müßten im Rahmen der Vereinten Nationen behandelt und entschieden werden — meint Italien — und nicht auf einer „Gipfelkonferenz“. Man weiß, daß gerade und allein in diesem Punkt eine Differenz in den Auffassungen bestand und noch besteht, denn de Gaulle zieht die Exklusivität des „Gipfels“ dem breiteren Forum vor, während Italien ein solchermaßen zu entstehendes Vorrecht Frankreichs, Sprecher der europäischen NATO-Staaten zu werden, mit gemischten Gefühlen sehen würde. Da jedoch die Gipfelkonferenz inzwischen in weitere Ferne gerückt zu sein scheint, war eine Einigung in Paris auch in dieser nicht unwichtigen Kompetenzfrage leicht: Die beiden Regierungen sind übereingekommen, von nun an regelmäßig Gespräche zu führen und ihre Außenpolitik nach Möglichkeit aufeinander abzustimmen. Und das war das wichtigste Ergebnis, denn hier zeigten sich ernst zu nehmende Anfänge einer erwachenden europäischen Zusammenarbeit in Weltfragen, die nicht nur die „Großen der Welt“ angehen.

DAS OSTEMBARGO. Ab 15. August treten neue Verbotslisfen in Kraft. Dies ist das Ergebnis mehrmonatiger Verhandlungen im NATO-Aus-schuß für den Handel mit dem Ostblock, dem auch Japan angehört. Unter Führung Großbritanniens haften sich mehrere Länder seit längerem dafür eingesetzt, die Verbots- und Kontrollisten der 15 beteiligten Länder den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen im Ostblock anzupassen. Gegen heftigen Widerstand der Amerikaner wurden wesentliche Lockerungen erzielt. Liste I der verbotenen Waren, die 180 Positionen umfaßte, wurde praktisch um 60 Prozent eingeschränkt. Die Quofen-kontrolle (Liste II) fällt weg, die Meldekontrolle (Liste III) bleibt für 30 von bisher 63 Positionen bestehen. Wie das eingeschränkte Ostembargo sich auf das Geschäft mit China auswirkt, läßt sich noch nicht übersehen. Westdeutschland tritt für eine Anpassung ein, wie sie, zum Mißfallen Amerikas, im Frühjahr 1957 einseitig bereits England vollzog. Am Abbau der für China geltenden noch schärferen Embargovorschriften sind vor allem Großbritannien, Japan und in geringerem Maße Deutschland interessiert... Weder die wirtschaftlichen noch die politischen Auswirkungen dieser beträchtlichen Lockerung für den West-Ost-Handel der NATO-Staaten lassen sich heute bereits ersehen.

NEHRUS BEVORSTEHENDER LETZTER KAMPF.

Im indischen Bundesstaat Kerala erhielten bei den Wahlen im April vergangenen Jahres die Kommunisten die Mehrheit. Seither hat dieses Gebiet an der Südküste, deren Bevölkerung in großer Armut lebt, aber ein beachtliches Bildungsniveau aufweist — in Kerala gibt es von allen indischen Teilstaaten die wenigsten Analphabeten —, eine kommunistische Regierung. In der Umgebung des Ministerpräsidenten Nehru spricht man nicht gerne über Kerala, und auch in der Welt war man lange im unklaren darüber, wie es in diesem Staat, dessen kommunistische Regierung auf demokratischem Wege an die Macht gelangte, seither aussieht. Letzte Woche brach Nehru endlich sein Schweigen und beklagte sich bei einer Pressekonferenz bitter über die „brutalen politischen Morde“, die sich in Kerala am 26. Julf ereigneten, da Kommunisten sieben Mitglieder der Kongreßpartei ermordeten und viele andere schwer verletzten. Nehru fügte hinzu, er wisse, daß ein Großteil der Bevölkerung in Kerala angesichts des wachsenden Terrors „sich unglücklich fühle“ — er sagte aber nicht, was er dagegen zu tun gedenkt. Der Zentralregierung in New Delhi steht freilich .ein wirksamer Weg offen: über Kerala den Ausnahmezustand zu verhängen und damit auf legalem Wege das Heft in die Hand zu nehmen. Wie lange noch übt Nehru Geduld? Sein Zögern ist einerseits damit zu erklären, daß er, der prominenteste Neutrale der Weltpolitik, auf seine Freunde in Moskau Rücksicht zu nehmen und sich damit ihm vielleicht als bevorstehend erscheinenden Friedensaufgaben gegenüber unbelastet und „offen“ zu halten wünscht. Es gibt aber noch eine andere, näherliegende Erklärung: Nehru hat erkannt, daß ihm die letzte und vielleicht größte Auseinandersetzung seines Lebens bevorsteht, von deren Ausgang das weitere Schicksal der jungen indischen Demokratie abhängt. Es widerstrebt ihm, mit dieser Entscheidungsschlacht zu beginnen, bevor es nicht wirklich brennt, ja er möchte die Bürde des Kampfes gegen die Kommunisten gerne einem Nachfolger überlassen, der freilich noch nirgends sichtbar ist. Kluge Beobachter Indiens erklären auf diese Weise Nehrus ausweichende Haltung und große innenpolitische Müdigkeit — die zu einem Zeitpunkt offen zutage tritt, da die kommunistische Unterwanderung der indischen Gewerkschaften und Kommunalverwaltungen fast Tag für Tag neue Tatsachen schafft.

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