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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIN ANGENEHMES LÜFTCHEN politischer Zusammenarbeit, das man im harten Alltag eines Kampf- und Wahljahres doppelt wohltuend empfinden mhtjte, erfüllte dieser Tage den großen Sitzungssaal des Innenministeriums, in den Minister Helmer die Journalisten zu einem kardialen Gedankenaustausch eingeladen hatte. Zur rechten Hand des Ressortchefs saß Staatssekretär Grubhofer, wörtlich und sinnbildlich rechts und links postierte sich ein wahrhaft imposanter Generalsfab von mini- sterialen und anderen Fachleuten. Kein Wunder, dafi sich in diesem milden Klima auch so hitzige Streitthemen sachlich abwickeln liefjen wie etwa die Position der Sicherheitsdirekforen, die Staatssekretär Grubhofer loyal auch gegen Angriffe eigener Parfeikreise zu verteidigen wußte, oder die Koordinierung der kriminalpolizei- l’ichen Recherchen in Stadt und Land in der gleichfalls auszubauenden, im allgemeinen aber die lokalen Stellen nur beratenden und unterstützenden Abteilung 13 des Innenministeriums, die Spionageabwehr im Schnittpunkt Wien, das in dieser Hinsicht das schwierige Erbe der Schweiz des zweiten Weltkrieges angetreten hat, die unpopuläre Sache des friedlichen und kriegsfallvorbeugenden Zivilschutzes und anderes mehr. Das wieder in neuem Glanze erstrahlende Interieur des alten Adelspalastes nickte beifällig zu den interessierten Fragen und fachkundigen Antworten der bunf gemischten Konferenz. Wir nioken mit.

OSPIRRN, ZUASPIRRN, EISPIRRN — ob die klassische Polizeimaxime, mitunter die Ultima ratio der öffentlichen Sicherung des staatsbürgerlichen Subjekts und Objekts, wirklich die effektivste und zuverlässigste Patentlösung auch für den Schutz unserer wertvollen staatlichen Sammlungen ist? Oesterreichs Unterrichtsminisfer meint: nein. Er meint das auch noch im Augenblick, da zwei vieldiskutierte Vorfälle, die „Fliegenden Teppiche” vom Stubenring und die expo-angeknabberte Mozart-Handschrift, die Oeffentlichkeit aufgescheucht haben. In einer Pressekonferenz im Unterrichtsministerium standen dieser Tage die Museumsdirektoren freimütig Rede und Antwort. Die’ Statistik solcher Vorkommnisse sei für Wien beruhigend. Totalen Schutz gebe es nicht: die modernste Sicherung finde immer wieder ihren modernsten Meister. Was nicht ausschließen soll, demnächst dies und jenes irrt Zusammenwirken des bestehenden Sicherungsdienstes mit Innenministerium und Polizeidirektion zu verbessern. Millionen dafür hinauszuwerfen, lohnt sich auch nach unserer .Meinung nicht; sie sind besser irr der Auffüllung und Vermehrung unseres ohnehin duroh Krieg und Verarmung zusammengeschmolzenen Schatzes angelegt.

DULLES BEI DEN VERBÜNDETEN. Der zeitweilige Rücktritt John Foster Dulles’ ist im Zusammenhang mit seiner anstrengenden Europareise zu sehen; kurz zuvor sprach er mit Senator Fulbright, seinem schärfsten Kritiker im Senat, lief) sich gegen Pocken impfen und flog nach Europa. Nie noch wurde dieser bedeutende Mann seinen Freunden so unbequem wie jetzt. Die USA fordern von ihren europäischen Verbündeten Vorschläge und Mitarbeit bei einer aktiven Politik mit Rufjlaod. In Paris sprach sich Dulles schwer mit de Gaulle und Debrė. Die. Franzosen sind voll Mißtrauen gegen Amerika, von dem sie ein allzu frühes Engagement mit den Russen fürchten, und gegen England, dessen Wirtschaftspolitik ihnen ebensowenig wie MacMillans Moskaureise behagf. De Gaulle wies wieder auf seine altbekannten Forderungen hin: Frankreich müsse als Atommacht und Führungsmacht im Gremium der westlichen Alliierten anerkannt werden. In Bonn landete Dulles knapp am Rande des rheinischen Karnevals, dessen Hauptschlager ihm vielleicht ein schmales Lächeln entlockt hat: „Es dreht sich alles, alles, alles um den Dalles”. Um den Geldbeutel. Der amerikanische Staatssekretär ist seit langem nicht mehr der Upber- zeugung, wenn er sie je gehegt haben sollte, dafj sich alles um ihn drehe. Asien und Afrika haben ihn erschüttert, jetzt gibt ihm Europa, das verbündete Westeuropa, bittere Pillen. Mehr als „Konsultationen” lassen sich im Augenblick nicht erreichen: vielleicht ein genauerer Terminkalender über die Verhandlungen der nächsten Monate, zuerst der Wesfmächte, dann mit Rußland. In der Zwischenzeit fliegt MacMillan zu Chruschtschow, und der Berliner Oberbürgermeister in die Vereinigten Staaten. Soeben hat der frühere Abrüstungsbevollmächfigte Eisen- howers, Stassen, ein neues Projekt einer Einflechtung in Europa vorgelegt, das eine sehr breite Zone in Europa aus dem Rüstungs- und Atomwaffenraum lösen soll. Ein von Spannungen und Aktivifäf erfüllfer Frühling sfeht also der Welf bevor.

DAS GRIECHISCH-TÜRKISCHE GESPRÄCH. Es bedurfte einer langjährigen, geduldigen Vorbereitung beiderseits, bis das Genfer Treffen vom letzten Wochenende zustande kam: die Begegnung des griechischen Ministerpräsidenten Kara- manlis und seines Außenministers Averoff mit ihren türkischen Kollegen Menderes und Zorlu. Der griechische Botschafter in Ankara, Pezma- zoglu, von Haus aus ein Bankier, und befreundet mit allen namhaften wirtschaftlichen und politischen Persönlichkeiten der Türkei, hat ein Hauptverdienst an dieser Begegnung, die den alten Zankapfel Zypern aus der Welt schaffen soll. Der griechisch-türkische Vergleich sieht vor: Griechenland verzichtet auf den direkten Anschluß der Insel an das Mutterland, die Türkei verzichtet auf die Teilung Zyperns. Zypern soll ein selbständiger Staat werden, in dem Griechen (80 Prozent der Bevölkerung) und Türken gleichberechtigt sind. Offen scheint nur noch ein Punkt zu sein: die Türkei will Bürgschaften, daß auch in Zukunft Zypern nicht an Griechenland angeschlossen wird. Der in Aussicht stehende Vergleich wird nicht zuletzt ermöglicht durch Erzbischof Makarios, der seinerseits erklärt hat, auf den „Anschluß” zu verzichten. Nun hat London das Wort. Wird es, wie seinerzeit in Irland, Palästina und Indien, am alten schlechten Rezept der Teilung festhalfen oder wird es hier das Tor öffnen für eine bessere Zukunft, nicht zuletzf für eine gesunde Zusammenarbeit zweier tapferer, leidsfarker und freiheitsliebender Völker an der Ostflanke des Mittelmeeres? Griechenland hat einst Briefmarken gedruckt zu Ehren Lord Byrons, der für Griechenlands Freiheit sein Leben einsetzte. Es ist an der Zeit, sich Lord Byrons in einem neuen Sinne zu erinnern…

DE GAULLE ZWISCHEN SCHWARZ UND SCHWARZ. Die Bilder gingen in diesen Tagen durch die Weltpresse: De Gaulle und seine zwölf Bundesbrüder, bei der Gründungssifzung des Exekutivrates der neuen französischen „Gemeinschaft”, der Communautė, die an die Stelle der nicht mehr lebensfähigen „Union Franęaise’ getreten ist. Staatspräsident de Gaulle legte Wert darauf, daß links und rechts von ihm ein Farbiger saß. Der Exekufivrat bestehf aus dem Präsidenten der Republik, den Pariser Ressortministern für die der „Gemeinschaft” gemeinsamen Sachgebiete, und den zwölf Ministerpräsidenten der zwölf Republiken. Wem es noch’ nicht aufgefallen isf: hier kehren, wiedergeboren, Regierungsformen und Verwalfungs- reformen wieder, die im alten Zwölfvölkerstaat an der Donau vorbildlich und erstmalig entwickelt wurden. Gemeinsame Angelegenheiten der zwölf Republiken sind: Außenpolitik, Verteidigung, Geldwesen, Wirtschafts- und Finanzpolitik, und die Bewirtschaftung kriegswirtschaftlicher Rohstoffe. Wie die „Gemeinschaft”, der Zwölfvölkersfaaf mit den beiden elliptischen Zentren Paris und Zentralafrika (was wieder an den Dualismus Oesferreich-Ungarn denken läßt) fOnktiöhieren wird, kann erst die Zukunfj lehren und die Praxis, fn ihr wird sich entscheiden, ab die zentrifugalen Kräfte stärker sind als die zentripetalen: Altösferreichs Kämpfe im 19. und frühen 20. Jahrhundert stehen hier wieder im Tor: hier in einem eurafrikanischen Experiment,’dessen Gelingen Europa und Afrika eine unersetzliche eigenständige Schwerkraft, ein spezifisches Eigengewicht im Streit der Weltschwergewichte geben könnte.

MARIA THERESIA IN INDIENI Man kennt den erstaunlichen Erfolg des Maria-Theresien-Thalers. Seit zweihundert Jahren schenken die Völker Afrikas ihr Vertrauen dem Bilde der Kaiserin. Mehr als 350 Millionen Maria-Theresien-Thaler bezeugen diesen Glauben an die große Mutter. Nun hat am 8. Februar in Indien Frau Indira Ghandi, die Tochter Nehrus, die Leitung der Kongreßpartei übernommen. Der Vergleich mit Maria Theresias schwierigen Anfängen ist nicht aus der Luft gegriffen. Auch Indien, der Vielvölkerstaat, steht in einer Krise größten Ausmaßes. Wird es seine Einheit, wird es sich gegen den Druck der militärisch weit überlegenen großen Nachbarn, China und Rußland, selbständig behaupten können? Nehru selbst, der Staatsführer ist müde und überarbeitef; seine Partei, die Kongreßpartei, ist sei) vielen Jahren von Krisen, Abfällen und Unterwanderungen erschüttert. Sozialisten und Großindustrielle ringen in ihr um die Führung in der Zentralleitung, während in den einzelnen Bundesstaaten noch ganz andere, radikale Einflüsse hochdrängen. Zerfällt aber die Staatspartei in miteinander kämpfende Gruppen, dann isf der Zersetzung Tür und Tor offen. Es ist also verständlich, daß die Inder mit ihrem stark ausgeprägten Sinn für das Lebendige und Organische, eine Frau an die Spitze berufen, der man sowohl Energie und Einsafzfreude wie die hohe Kunst des Verhandele und Vermiftelns zutrauf. Frau Indira Ghandi (sie isf mit einem Sohne Ghandis verheiratet) haf zudem bereits zwei bedeutende Vorgängerinnen: die Engländerin Annie Besant und die Inderin Sarojini Naidu. Beide haben jahrelang in englischen Gefängnissen verbracht; die Besant im ersten Weltkrieg, die Naidu um 1925. Merkwürdig, wie stark Frauen in der Führungsgruppe der großen Völker der Mutter Asien hervortreten. In China stehen sich bekanntlich zwei berühmte Schwestern gegenüber; die eine als Gattin Tschiangkaischeks, die andere als präsumtive Präsidentin der Kommunistischen Partei Rotchinas…

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