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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE SUDETENDEUTSCHEN IN WIEN. Es lohnte sich, in diesen Tagen besinnlich durch Wien zu gehen. Die alte Stadt erlebte die zahlenmäßig wahrscheinlich größte friedliche Invasion ihrer Geschichte. 300.000 Sudetendeutsche waren hier zu Gast und gingen, da das Wetter weit besser war als sein „Ruf”, in Gruppen durch die Innenstadt und sahen vom Kobenzl, Kahlenberg und Leopoldsberg hinüber in die Lande ihrer alten Heimat: stille, alte Leute, aut deren Gesichtern man noch den Widerschein des großen Friedens des alten Reiches spürte, und junge Paare, die sich bereits in einer neuen Welf eingewurzelt haben. Der Wiener kann sich einer gewissen Erschütterung nicht erwehren: dieses Volk, in der Mehrzahl auch heute noch ein Volk kleiner, strebsamer Leute, zog einst in hellen Scharen nach Wien, aber auch in andere Städte unseres kleinen Oesterreichs und durchblutete hier, auffrischend, die aft werdenden Körper der Städte, Stände und (Sundes-) Länder. War es einst das deutschsprachige Oesterreich, so ist heute die ganze westliche Welt Siedelraum der Sudetendeutschen geworden. Für drei Tage aber sind sie eingekehrt in der Stadt, die einst Zentrum ihrer Hoffnungen, Wünsche und bisweilen auch Aengste war. — Für Wien selbst und für Oesterreich ergibt sich aus dem ungestörten, politisch entgifteten harmonischen Verlauf dieser Sudetentage in Wien die Prognose und Verpflichtung für die Zukunft: mehr und entschiedener noch als bisher das latent vorhandene, nur immer noch zuwenig erschlossene Klima des Ausgleichs, der Versöhnung, einer herzhaften und unpathetischen Menschlichkeit hier zu stärken und in eben diesem Sinne politisch Wien, durch vereintes Bemühen von Bundesregierung und Wiener Landesregierung, als Konferenz- und Tagungsort der Weltöffentlichkeit vorzustellen.

EIN MANN, DEN MAN NICHT VERLiEREN SOLLTE. Seit neun Jahren gibt es wieder Wiener Festwochen. Sie werden von dem Amisführen- den Stadtrat für Kultur und Volksbildung betreut, aber ihre Programmierung und Durchführung bedeutet für diesen und seinen Stab (der ja auch noch andere Aufgaben hat!) eine immer größere Arbeitsbelastung. Obwohl ihr Profil sich von Jahr zu Jahr immer deutlicher abzeichnet und auch ihr internationales Ansehen im Steigen ist, will es Hofrat Hans Mandl immer noch besser machen und sucht, bereits seit Jahren, nach einem Intendanten, der zugleich künstlerischer Leiter und Manager sein soll. Während der letzten Wochen und Monate waren Verhandlungen mit Sektionschef Dr. Egon Hilbert, derzeit Leiter des Oesterreichischen Kulturinstitutes in Rom, im Gang. Aber diese Gespräche haben noch zu keinem Ergebnis geführt. Wir wissen nicht, warum. — Auch die Salzburger Festspiele brauchen, nach dem Rücktritt ihres hochverdienten Präsidenten, Baron Puthon, an ihrer Spitze eine sowohl „musische” wie organisatorisch begabte Persönlichkeit. Die eine Funktion (Wiener Festwochen) scheint uns die andere (Salzburger Festspiele) nicht auszuschließen. In der Hand eines Mannes vom Rang und der Arbeitskapazität Egon Hilberts würden sie diesem ein ebenso weites wie verantwortungsvolles Arbeitsfeld eröffnen. — Man weiß ferner, daß Dr. Hilbert vor kurzem ein in , jeder Hinsicht verlockendes Angebot nac.i Westberlin erhalten hat, und man könnte sich gut denken, daß Dr. Hilbert, der in diesen Tagen seinen 60. Geburtstag begeht, beim Unterrichtsministerium um seine Pensionierung ansucht, um, der „Stimme seines Herzens’ folgend, sich wieder der Kunst, speziell der Oper, zu widmen. Wenn Egon Hilbert aber nach Berlin geht, so hat ihn Wien, hat ihn Oesterreich für absehbare Zeit verloren. Und das wäre schade.

WIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN... In den Wahl-Wermutbecher der ersten Regierungspartei fallen einzelne Freudentropfen. Sie fallen in einzelnen Wiener Bezirken, was die OeVP im Hinblick auf die bevorstehenden Wiener Landtagswahlen besonders angenehm empfinden mag. Trotz ihres günstigen Gesamtsfimmen- ergebnisses (+ .21.776 Stimmen) haben die Sozialisten in 6 Wiener Bezirken Schlappen erlitten; sie haben Stimmen im 1., 6., 8., 9., 15. und 18. Bezirk verloren. Und trotz ihres im ganzen nicht sehr erfreulichen Gesamtstimmenergebnisses (— 22.916, das sind — 5% Prozent gegenüber früher) hat die Volkspartei in zwei Wiener Bezirken Stimmengewinne erzielt, in Döbling und — im Arbeiterbezirk Favoritenl Noch überraschender ist die Antwort auf die Frage: Was wäre geschehen, wenn... ja, wenn die Wiener am 10. Mai auch Landtag und Gemeindevertretung gewählt hätten? Hier nun ergibt sich das Kuriosum, daß die OeVP zonenmäßig „geschickt verloren", die Sozialisten aber sehr „ungeschickt gewonnen” hätten. Das hätte folgende Neuverteilung der Mandate zur Folge gehabt: OeVP: 36 (derzeit 35), also: 4- 1, SPOe: 57 (derzeit 59), also: — 2, FPOe: 4 (derzeit 0), also: + 4, KPOe: 3 (derzeit 6), also — 3. Obwohl Wiener Gemeinderatswahlen in der Regel ein leichtes Stimmenplus für die Sozialisten gegenüber den Nationalratswahlen bringen, rauchen, wie man hört, schon heute die Rechenstifte im Wiener Rathaus vor Eifer, wie man der Tücke dieser Wahlarithmetik im Herbst wird wirksam begegnen können. Wenn... ja,

schon wieder wenn . . . wenn es im Herbst dann nicht neue Ueberraschungen gibt.

WELTPOLITISCHE HINTERGRÜNDE und Perspektiven der: Genfer Außenministerkonferenz beleuchten zwei Beiträge dieser Ausgabe der „Furche". Bleibt noch die Chronik der äußeren Ereignisse der ersten Verhandiungsperiode festzuhalten. Nach längeren Auseinandersetzungen einigten sich die Großmächte, miteinander an einem runden Tisch Platz zu nehmen, vor dessen freibleibendem Drittel an zwei Separattischen die beiden deutschen Delegationen sitzen. Dabei erhielten die Bonner Vertreter als „Berater” der Westmächte, die DDR-Männer als „Berater" der Sowjets Mitsprache. Zur Ueberraschung der Sowjets legte der amerikanische Außenminister Herter einen westlichen „Gesamtplan" für die Wiedervereinigung Deutschlands und die europäische Sicherheit vor. Dieser sieht die Wiedervereinigung in 30 Monaten vor. Zunächst soll die Einheit Berlins durch freie Wahlen unter UNO-Aufsichf hergestellt werden. Dann soll ein aus 25 Vertretern der Bundesrepublik und zehn Vertretern der DDR bestehender Ausschuß ein gesamtdeutsches Wahlgesetz entwerfen. Dritte Phase wäre die Wahl einer gesamtdeutschen Verfassunggebenden Nationalversammlung und dann einer Regierung. In dieser Periode soll in Mitteleuropa eine Zone begrenzter Rüstungen und Armeestärken festgelegt werden. In der vierten Phase sollte mit der gesamtdeutschen Regierung, die das Recht haben soll, alle fremden Truppen um ihren Rückzug zu bitten, ein Friedensvertrag geschlossen werden. Demgegenüber legte Gromyko den alten, im Jänner veröffentlichen Kremlplan wieder vor: Friedensvertrag mit beiden Teilen Deutschlands; die Frage der deutschen Wiedervereinigung gehöre nicht nach Genf, sondern sei allein Sache der Deutschen. In Genf selbst denkt man an Geheimverhandlungen der Großen Vier, ohne die Beraterkommissionen, ferner an die Gipfelkonferenz, und, vor allem westdeutscher- und französischerseits, mit einigem Unbehagen an die Engländer, denen man eine gewisse Begünstigung der Sowjets vorwirft, wobei nach wie vor sich das Gerücht hält, MacMillan habe sich mit Chruschtschow über eine russische Garantie für die englische Erdölförderung im Irak geeinigt ...

EINE JUNGE REGIERUNG IN HOLLAND. Die Holländer haben nach zweimonatiger Wartezeit eine Regierung bekommen. Professor J. E. de Quay von der Katholischen Volkspartei hat .„ eine Koalition mit den Protestanten und Liberalen zustande gebracht; die Sozialisten gehen in die Opposition. Die Katholische Volksportei besetzt im neuen Kabinett sechs, die liberale Partei für Freiheit und Demokratie drei, die evangelische Antirevo- lufionäre Partei zwei und die evangelische Christlich-Historische Union ebenfalls zwei Posten. Ueberraschend und für Holland ganz ungewöhn lich ist die Tatsache, daß einige ganz junge Leute in die Regierung aufgerückf sind beziehungsweise als einflußreiche politische Mandatare erscheinen. Der neue Wirtschaftsminisfer de Pous ist knapp 39 Jahre alt, der Finanzminister Professor Ziljstra ist 40 Jahre, der Landwirtschaftsminister Marijnen (Katholische Volkspartei) ist 42 Jahre alt! Holland, vorsichtig und seinem Wesen nach sehr konservativ, hafte sich bisher gerne für einen Rat erfahrener alter und älterer Fachleute entschieden. Nun sah man, daß es auch einmal anders versucht werden wollte — nach zweimonatigem vergeblichem Bemühen, eine Regierung zu bilden. Wird man in Oesterreich das holländische Exempel positiv begreifen?

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