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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE I

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DAS ERSTE WORT. Universitätsprofessor Doktor Wolfgang Denk hat die ihm von der Oesterreichischen Volkspartei und von der Freiheitlichen Partei angebofene Kandidatur für das höchste Amt der Republik Oesterreich angenommen. Das erste Wort, mit dem der überparteiliche Kandidat der Delegation, die ihm die hohe Ehre anbot, antwortete, hat dokumentarischen Charakter. Es gehört festgehalten;

„Meine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten hat mich überrascht und außerordentlich geehrt. Ich empfinde ein Gefühl aufrichtiger Dankbarkeit für das Vertrauen, das die Oesterreichische Volkspartei und die Freiheitliche Partei Oesterreichs in mich gesetzt haben. Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie sehr mich diese Stunde bewegt, denn ich bin mir der Auszeichnung und der großen und verantwortungsvollen Aufgabe bewußt, die mit diesem hohen Amt verbunden ist, ein Schützer des Rechtsstaates und der Verfassung, Wächter der Souveränität und der Freiheit unseres Landes zu sein. Oesterreich war und ist mir alles. Die Wandlungen des Schicksals unseres Vaterlandes habe ich stets tief empfunden und die politischen Entwicklungen, wie wohl jeder Oesterreicher, mit größtem Interesse, teils mit Sorge, teils mit lebhafter Freude, verfolgt. Staat und Volk waren mir aber nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern immer auch ein Gegenstand ernsten Studiums und kritischer Ueberlegung. Ich bin ein überparteilicher, aber kein unpolitischer Kandidat. Während meines Berufslebens als Arzt und akademischer Lehrer war ich stets von dem Bestreben geleitet, den Menschen zu helfen und die Jugend anzuleiten, Helfer ihrer Mitmenschen zu werden. Ich habe diese Kandidatur nicht angestrebt. Sollte mir das österreichische Volk seine Stimme geben, so verspreche ich, auch in meinem neuen Wirkungskreis Helfer des Volkes zu bleiben und alle Pflichten, welche die Verfassung dem Staatsoberhaupt auferlegt, getreulich, nach bestem Wissen und Gewissen, über den Parteien stehend, zu erfüllen."

Erste Worte — vornehme Worte. Ein neuer Ton wird angeschlagen. Man darf wünschen, daß er nach dem 5. Mai zum Tragen kommt.

WAS WOLLTEST DU MIT DEM DOLCHE, SPRICH! Der militärische Mitarbeiter eines bekannten, nicht parteigebundenen Wiener Morgenblattes ist in letzter Zeit schon manchmal durch Initiativen aufgefallen, die kaum mit der eindeutigen politischen Vergangenheit und patriotischen Einstellung seines Herausgebers in Ęinklgng zy bringen sind, Urb. alias ,,Stratego ’ verdolmetscht hier ohne Zweifel die Gedanken ganz anderer Kreise. Zuletzt hat er es auf die Uniform des Bundesheeroffiziers abgesehen. Sie soll schöner und attraktiver werden. Dagegen ist nicht das geringste einzuwenden. Wie stellt sich aber urb. den neuösterreichischen Offizier vor? Natürlich trägt er eine „Tellerkappe". „Fangschnüre” zieren seinen Waftenrock, der durch „Schulterklappen" ergänzt wird. Um die Taille aber schlingt sich eine „silbergraue Feldbinde". Ein „Dolch" baumelt als Seifenwaffe. Ausgezeichnet der Vorschlag. Wie wäre es, wenn man als Uniformfarbe Schwarz wählen würde und unauffällig zwei kleine Siegrunen auf den Aufschlägen, Pardon, Spiegeln, anbringen könnte? Dann wäre der SS-Junker, wie er im Bilderbuch steht, nämlich fertig.

DIE ABLÖSUNG DES SOWJETISCHEN AUSSEN- MINISTERS SCHEPILOW durch Andrej A. Gro- myko nach achtmonatiger Amtsdauer soll wohl einen Schlußstrich ziehen unter die Niederlagen und Presfigeverluste, welche die Sowjetunion in diesem Zeitraum erlitten hat. Zumindest dies teilt die Union mit Asien: das Gesicht muß unter allen Umständen gewahrt bleiben. Sche- pilow erschien als der Mann vorschneller Experimente und schnell eingetretener Debakel. Ein Sündenbock, fürwahrl Nicht seine Außenpolitik, sondern die innere Unhaltbarkeit sowjetischer Herrschaftsformen hat die Lage heraufgeführf, die heute noch ein Weltproblem ist, nicht nur für die Sowjetunion. Immerhin, aller Schein sprach gegen Schepilow: er verlegte das Schwergewicht sowjetischer Machfpolitik nach Asien (er hatte bereits seinerzeit Chruschtschow auf seiner berühmten ersten Chinatour begleitet) und vermochte den russischen Einfluß dort nicht zu vermehren, ja konnte nicht verhindern, daß Asien sich im sowjetisch protektierten Osteuropa, mehr als Moskau lieb sein kann, engagierte (Chinas und Indiens Anteilnahme an Polen, Ungarnl) Das aber war wieder eine Folge der weit aufgerissenen europäischen Flanke. Die Erhebungen in Polen und Ungarn erscheinen in den Augen sowjetischer Machtpolitiker alter Provenienz als ein Dammbruch,. der schleunigst mit allen Mitteln abgeriegelt werden muß durch Härte und Halten. Da berief man also einen Diplomaten alter Molofow-Schule, weltbekannt und berühmt als zäher, hinhaltender Fechter, eben Gromyko, um aller Welt und nicht zuletzt den Anrainern zu zeigen: wir halten, was nur gehalten werden kann. Die Aufmunterungen an Kadar und das ostdeutsche Regime, die Drohungen an Tito und — in der sowjetischen Presse — an Oesterreich stehen auf dieser Linie. Oesterreich muß naturgemäß die nun einsetzende sowjetische Politik mit höchster Aufmerksamkeit beobachten: ruhig, nüchtern, sehr wachsam. Gromyko war, überraschend, als Sonderbotschafter der Sowjetunion beim Staatsbegräbnis des Bundespräsidenten Körner in Wien: eine sichtbare Demonstration des sowjetischen Interesses an Oesterreich. Das sollen wir doch richtig verstehen. Es gilt heute mehr denn je, Oesterreichs Neutralität voll und ganz positiv auszubauen, immer mehr zu festigen, und das heißt auch: richtig einzusetzen im weltpolitischen Spiel. Jede Kleingläubigkeit, jede Feigheit, jede Hysterie und jede Panikmache (wie betrieben durch eine unverantwortliche Schlagzeilenpolifik eines sattsam bekannten Wiener Miffagblaffes, das bereits in der Ungarnkrise Oesterreichs Ruf geschadet hat) sind da zu bannen. Wie Oesterreichs Neutralität gerade in einer Krisenzeit positiv auftreten kann und soll, haben Bundeskanzler Raabs Vorschläge einer Neutralisierung Ungarns und die österreichische aktive Mitarbeit bei der UNO in allen ernstgemeinten Vermitflungsarbeifen gezeigt. Gromykos Revirement demonstriert deutlich die wiederum verstärkte europäische P.olitik Moskaus: Oesterreich hat keinen Grund, deshalb in Angst zu geraten. Wir haben kein „schlechtes Gewissen". Wir haben deshalb nur eines zu tun: das, was unsere Regierung in den letzten Jahren begonnen hat, fortzusetzen: gebührende Aufmerksamkeit dem hohen Interesse der Sowjets an Oesterreich entgegenzubringen und ihm Rechnung zu tragen durch den Aufbau und Ausbau unserer Neutralität. Diese positiv verstanden als ein ehrlicher Mittler- und Maklerdienst zwischen Ost und West, wobei Oesterreich keinen Zweifel lassen darf, daß es sich ebensosehr der westlichen Kultur- und Rechtsgemeinschaft verbunden weiß wie es, in tieferer und aut weite Sicht sinnvollerer Perspektive, sich jeder militärischen und machtpolitischen Blockbildung verwehrt. In dieser Haltung haben wir die Pressekampagne sowjetischer Blätter und ihrer Satelliten gelassen zurückzuweisen und der neuen Phase sowjetischer Europapolitik, die vielleicht ein neues Spiel um Deutschland und um die in Zerfall begriffenen Positionen in Frankreich und Italien eröffnen wird, ruhig enl-

EINE WARNUNG FÜR DIE TORRIES. Im Parlament von Westminsfer ist zum ersten Male seit Beginn der gegenwärtigen Legislaturperiode eine wenn auch geringfügige Kräfteverschiebung eingetrefen. Bei der in der vergangenen Woche im Londoner Wahlkreis von North Lewisham abgehaltenen Ersatzwahl ging das bisher im Besitz der Konservativen befindliche Mandat an die Labour Party verloren. In Anbetracht der soliden Majorität, über die sie zur Zeit noch verfügt, braucht die Regierung Macmillan diesen Verlust nicht tragisch zu nehmen, sie würde aber gut daran tun, die Ursachen des erlittenen Rückschlags einer ernsten Prüfung zu unterziehen. Bei den allgemeinen Wahlen von 1955 hatte der konservative Kandidat für North Lewisham 22.070 Stimmen, sein sozialistischer Konkurrent hingegen bloß 18.834 für sich gewinnen können. Diesmal war die Zahl der für Labour abgegebenen Stimmzettel noch geringer, nämlich 18.516, sie genügte aber, um die Konservativen aus dem Felde zu schlagen, da diese nur 17.406 ihrer Anhänger zur Urne zu bringen vermochten. Der sozialistische Erfolg war also dem Umstand zuzuschreiben, daß mehr als 20 Prozent der konservativen Wählerschaft sich der Stimmabgabe enthalten hatten. Wenn daraus Schlüsse auf die heute in England herrschende politische Stimmung zu ziehen sind — was im Hinblick auf die soziale Gliederung des betreffenden Wahlkreises nicht unberechtigt erscheint —, so wäre es einerseits der, daß d!e Behauptung der sozialistischen Propaganda, das englische Volk habe die konservative Sfaafs- führung satt und sehne sich nach der Rückkehr Labours zur Macht, einer realen Grundlage entbehrt. Trotz all den bitteren Enttäuschungen, die England unter der zweiten Regierung ęhurchill und in erhöhtem Maße unter der Premierschaft Edens erlebt hat, ist die ungute Erinnerung an manche Labour- Experimente der unmittelbaren Nachkriegsjahre noch nicht verblaßt. Anderseits aber hat der Tag von North Lewisham sehr deutlich gezeiat, daß das Fundament der konservativen Machtstellung nicht eine unbegrenzte Tragfähigkeit besitzt. Wenn die Regierung Macmillan nicht bald Beweise dafür erbringt, daß sie es besser als ihre Vorgängerin versteht, einen klaren und zielsicheren Kurs zu steuern, dann ist es fast unvermeidlich, daß die Konservativen bei den nächsten ollgeme'nen Wahlen eine Niederlage erleiden, die vielleicht nie wieder gufzumachen wäre.

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