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RANDEBMERKUNGEN

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AUCH EINE WEIHNACHTSBESCHERUNG. Kurz vor Abschluß des vorweihnachtlichen „parlamentarischen Räumungsverkaufes“ wurde- dem österreichischen Staatsbürger noch ein übler Streich gespielt. Statt dem Christkind erschien noch einmal der Krampus und legte Kohlen in die Schuhe. Wer es noch immer nicht erraten hat: wir sprechen von der von Abgeordneten beider Regierungsparteien getragenen Initiative, die vorliegende Novelle zum ASVG (so jung und schon novellierungsbedürftig?) zu ergänzen und künftighin für die Ausstellung eines jeden Krankenscheines 3 Schilling zu kassieren, während die Rezeptgebühr 2 Schilling betragen soll. Für eine solche Regelung gibt es bestimmt Argumente. Wir alle wissen, daß die Wartezimmer unserer Aerzte von mehr Patienten als wirklichen Kranken überfüllt sind. Die totale Krankenversicherung hat ihre eigene Versuchung. Ein Beispiel dafür bot England, wo nach der Einführung des staatlichen Gesundheitsdienstes plötzlich die Masse der Engländer sich um — neue, kostenlose — Brillen bewarb. Aehnlichen Auswüchsen will man eine finanzielle Sperre entgegenstellen. Daß daneben die Krankenkassen ein ganz gutes Geschäft machen, steht auf einem anderen Blatt. Aber um das alles geht es ja gar nicht so sehr. Was böses Blut mächt und was klugerweise zu verhindern gewesen wäre, ist, daß die krankenversicherten Oesterreicher, und das ist die Mehrzahl, sozusagen im Schatten des Weih-nachtsfesies überfallsartig mit einer neuen Schmälerung — und mag sie auch geringfügig sein — überrascht werden. Man erträgt vieles hierzulande. Nur eines mach' den Oesterreicher kratzbürstig: Wenn man ihn für dumm verkaufen will. In einer kritischen internationalen Situation wie der gegenwäifigen mufj alles unterlassen werden, was geeignet ist, das Vertrauen der Bevölkerung auch in kleinen Dingen zu seiner Regierung zu stören. Dar} man dieser Seife des Falles zuwenig Augenmerk geschenkt hat, trifft uns noch härter als die Verdoppelung der Rezepfgebühr.

MIT DEM RECHENSTIFT ALLEIN darf, so erklärte der Bundesminister für Unterricht in der Budgefdebatte, die Beurteilung des Kulturetats nicht vorgenommen werden. Die Kürzung dieser Sparte um ein Drittel wird schwere Folgen nach sich ziehen. Im Jahre 1949, als von einer Hochkonjunktur nicht geredet werden konnte, betrug der Anteil des Kulturetats am Gesamtbudget noch 11,8 Prozent (was damals schon als unzureichend empfunden wurde); der neue Voranschlag weis! der Kultur nur noch 10,67 Prozent zu. Die Unterrichfserfordernisse der Mittelschulen erfahren eine Minderung um mehr als fünf Millionen. Die ohnehin bescheidenen Bauvorhaben für Schulen kann man im nächsten Jahre nicht durchführen. Schon jetzt ist es den Mittelschulen unmöglich, etwa auf dem Gebiete der Physik, die Fortschritte der Forschung nur einigermaßen zu demonstrieren. In Graz hausen alle Mittelschulen zu zweit in einem Gebäude. Die „Anlagen“ für Hochschulen werden von rund 26 Millionen auf 16,6 Millionen absinken. Wie man das soziale Werk der Stipendien für ein Jahr mit 1,2 Millionen führen will, bleibt eine Rechenstiftakrobatik. Die Oesterreichische Akademie der Wissenschaften, ein Institut von Weltgeltung, das mehrere bedeutsame Werke in Angriff genommen hat, soll für ein Jahr mit 1,2 Millionen auskommen. Es ist weiterhin fraglich, ob angesichts der Herabsetzung der Förderungsbeiträge die Privatbühnen in Wien und die eine besondere kulturelle Sendung, erfüllenden Institute in den Bundesländern ihren Betrieb im vorgesehenen Ausmaß weiterführen werden können. Oesterreich Ist außerstande, eine anerkannte Aktion wie „Das gute Jugendbuch“ im nächsten Jahre fortzusetzen. Die Leihbüchereien werden — wenigstens auf dem wichtigen Fachbuchseklor — bald Herbarien gleichen. Wenn man die obengenannten Beträge mit den Gesamtausgaben des Budgets von 26 Milliarden Schilling vergleicht, dann klingen die Worte Dr. Drimmels noch zahm: rf.Wir müssen uns auf das leidenschaftlichste dagegen verwahren, Kullur zu einer Museums-anqelegenheil zu machen.“ Museum klingt gelinde; man könnte auch Panoptikum sagen. Unter diesen Umständen ist die Wiederholung der Forderung durch die Arbeitsgemeinschaft für Kunst und Wissenschaff nach einem Gesetz zur Steuerfreiheit der Spenden für kulturelle Zwecke nur zu begrüßen. Man soll wenigstens denen nicht auf die Hände klopfen, die geben, wo andere die Hände in den Hosentaschen haben.

VOR EINEM „ERDRUTSCH“ IN DER BUNDESREPUBLIK! Eine bemerkenswerte Analyse der Ergebnisse der westdeutschen Gemeindewahlen dieses Herbstes bringt die „Kettelerwacht“. Das Organ der westdeutschen katholischen Arbeiterbewegung kommt zum Ergebnis, daß die deutschen Wähler ihre Entscheidung von 1953 bei den Bundestagswahlen nunmehr überprüft und der Politik des Bundeskanzlers ihr Mißtrauen ausgesprochen haben. Das Blatt geht in seiner Interpretation der ^ Wahlergebnisse sogar noch weiter und meint, in den Wahlziffern geradezu eine Aufforderung an die SP zu sehen, sich auf die Uebernahme der Macht nach den Wo^sn 1957 vorzubereiten. Die CDU-Blätter sind derzeit noch nicht gewillt, den in den Zahlen dokumentierten und eindeutigen Sachverhalt wahrzunehmen. Tatsächlich sind aber die Ergebnisse der Gemeindewahlen (die in der Bundesrepublik jetzt den Charakter von Vorwahlen für die Bundestagswahlen haben) ein Zeichen dafür, daß die CDU (nicht die taktisch erheblich besser operierende CSU in Bayern) von den Randschichten verlassen wird, die sie bisher, weil ihnen die SPD zu verdächtig schien, gewählt hatten. Nun hat aber die CDU ihre ganze Aktivität der Außenpolitik gewidmet und die Ordnung der innerdeutschen Verhältnisse (insbesondere im sozialen Bereich) völlig dem Zufall überlassen. Von der groß angekündigten Sozialreform sind nur Bruchteile in Beratung gezogen worden. Wohl ist die Bundesrepublik als Ganzes zu Reichtum gekommen, aber die Verteilung dieses Reichtums wurde nicht im Sinne der christlichen Sozialprinzipien gefördert, so daß neben einem saturierten Bürgertum eine durch das Konsumverhalfen dieses Bürgertums geradezu provozierte Unzufriedenheit entstanden ist, die der SPD Chancen gibt, das Kleinbürgertum, vor allem so weit es evangelisch ist, zu gewinnen. Dazu kommt die unzulängliche psychologische Vorbereitung der deutschen Wiederbewaffnung, durch die es die SPD (welche das Wehrkonzept der Regierung Adenauer, wenn sie allein an der Macht sein sollte, zu einem guten Teil würde übernehmen müssen) gelungen ist, als die „Friedenspartei“ vor den Massen zu stehen. Jedenfalls scheint es so zu sein, daß die CDU fast in keinem Bundesland mehr über einen gewichtigen Stimmenvorsprung verfügt. Auch da, wo die SPD (auf Landesebene) bisher an der Macht war, konnte sie als Regierungsparlei ihren Stimmenanteil relativ steigern: In Hessen von 1954 auf 1956 von 42,6 Prozent auf 47,1 Prozent (die CDU dagegen fiel von 24,1 auf 21,1). Sogar in Rheinland-Pfalz fiel die CDU von 51,1 (1953) auf 41,1 Prozent zurück, während die SPD ihre Stimmen von 27,2 auf 39,5 Prozent steigern konnte. Was der CDU fehlt ist, neben einem Programm für die Massen, ein eigener Parteiapparaf. Die CDU Ist organisatorisch eine Wählerparlei. Mehr nicht. Dazu kommt, daß sie über keine Massenorganisation verfügt. Dagegen hat die SPD die Genossenschaften und den DGB fast zur Gänze hinter sich. So steht die CDU am Beginn eines für sie und für die Gestaltung der bundesdeutschen Politik entscheidenden Wahljahres, mit nur zwei Kraftreserven da: Dem Nimbus des Kanzlers und einem Teil des gläubigen evangelischen und katholischen Kirchenvolkes. Wenn Führung und Organisationsweise der CDU keine entscheidende Wandlung erfahren, war die politische Vormacht der Christen in der Bundesrepublik eine Episode. Was sicher bleiben wird (als eine gleichsam unverlierbare Substanz), ist das Sechstel der Wähler, das auch dem Zentrum eine Position zwischen den Fronten gesichert hat, Ihm aber nicht die Chance gab, Institutionell wirksame christliche (und vor allem soziale) Politik in Deutschland zu machen.

ENGLANDS HEIMKEHR NACH EUROPA! Anfang Dezember 1955 wurden die Mitgliedsstaaten der Montan-Union auf diplomatischem Wege verständigt, dafj Großbritannien mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen innerhalb *!es Commonwealth nicht daran denken könne, sich an der von jenen sechs Staaten geplanten Schaffung eines gemeinsamen, von infernen Zollschranken befreiten europäischen Marktes zu beteiligen. Um so größer die Ueberraschung, als wenige Monate später der britische Schatzkanzler eine Erklärung abgab, in der dieses selbe Projekt warm begrüßt und die Bereitwilligkeit des Vereinigten Königreichs, der in Aussicht genommenen Freihandelszone beizutreten, zum Ausdruck gebracht wurde. Die damit angekündigte radikale Abkehr von der traditionellen Handelspolitik der Konservativen war freilich nicht, wie es manchen scheinen mochte, das Resultat einer plötzlichen Eingebung, sondern die langsam reifende Frucht gründlicher Untersuchungen des Umsfands, daß, sehr Im Gegensatz zu dem rapid wachsenden Umfang britischer Exporte nach dem europäischen Kontinent und sogar nach Nordamerika, die Ausfuhr britischer Produkte nach den Ländern des Commonwealth Im Sterling-Bereich, trotz den Ihnen gewährten Zollpräferenzen, seif Beginn der fünfziger Jahre fast stationär geblieben war. Das war noch vor der Suezkrise. Jetzt, unter dem Eindruck der politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeifen und Gefahren, die mit dem anglo-französischen Eingreifen In Aegypten entstanden sind, hat die Londoner Regierung einen Schritt unternommen, der über die Frage eines gemeinsamen britisch-kontinentalen Markfes noch weit hinausgeht. Mif dem von Aufjenminister Lloyd vorgelegten Plan zur Umwandlung der NATO In eine tatsächlich, wenn auch nicht formal, als Föderation konstituierte Gemeinschaff der Nationen hat Großbritannien einen Weg eingeschlagen, der es, in völliger Abwendung von einem durch Jahrhunderte festgehaltenen Prinzip, unlösbar mit der Völkerfamilie des kontinentalen Europa verbinden würde. Dieser Weg ist reich an Hindernissen, gewiß: aber der Preis, um den es hier gehf, ist der höchsten Anstrengung werf.

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