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Randhemerkungen zur woche

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FÜR UNSERE ÖSTERREICHISCHEN GESETZGEBER BEISPIELHAFT ist das einmütige Verhatten der Juristen Belgiens in dem jetzt laufenden, -für drei Monate Dauer berechneten Prozeß gegen den ehemaligen deutschen Befehlshaber in Belgien, General von Falkenhaus en. Die Gesetzgeber Belgiens hoben es für unvereinbar mit ihrem Rechtsempfinden angesehen, ein rückwirkendes Gesetz zu schaffen, das den General aus formalen Gründen zum „Kriegsverbrecher“ stempeln würde, so daß die Richter in dem großen Prozeß es mit den bestehenden Gesetzen zu tun haben, die keine Rückwirkung kennen. ,

DIE MEDIKAMENTENVERSORGUNG, oder vielmehr die pharmazeutische Industrie, hat unter ernsten Schwierigkeiten zu leiden; die allgemeine Rohstofflage, die Preise und die Tatsache, daß für Marhall-Plan-Bezüge Offerte nur schwer erhältlich sind, machen es ihr fast unmöglich, bei den bestehenden ERP-Vorschriften Einkäufe zu tätigen; überdies sind auch auf den übrigen Märkten Knappheit und Preissteigerungen zu verzeichnen. Wir wissen, was das bedeutet, wenn Medikamente in zu geringer Menge und zu geringer Auswahl vorhanden sind; wir haben es leidet im wörtlichsten Sinne des Wortes am eigenen Leibe erfahren müssen. Aus den Radioapparaten dringt wieder häufiger der Notruf eines Arztes nach dem einen oder anderen lebensrettenden Medikament für seinen Patienten. Es seheint uns, als ob in diesem einen Punkt hinderliche Preisregelungen und Preisgenehmigungsverfahren schnellstens den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werden müßten. Auch behördliche Vorschriften haben sich der Realität zu fügen, wenn es um die G e sundheit, ja um Leben und Tod von Menschen geht.

KRITISCHE URTEILE GELTEN DER WIENER MODESCHAU in Stockholm mit dem ehrlichen Bedauern, daß die Schau dem guten Ruf österreichischen Geschmackes nicht entspricht. „Stockholm Tidningen“ spricht von „großen Erwartungen und Enttäuschungen“, „Wiens internationale Modekultur trat kaum in Erscheinung“, „Die Kleider waren nicht in unserem Sinne vom Schneider genäht, einige waren geradezu schockierend“, zeigten „so eigentümliche Modelle und Details, daß man staunend da saß“. Andere öffentliche Kritiken lauten ebenso ablehnend. Inwieweit sie im einzelnen berechtigt sind, sei hier nicht untersucht. Doch sollen sie unserer Öffentlichkeit nicht vorenthalten Verden. Denn sie sind Anlaß zu Nachdenklichkeit und Selbstprüfung. .Allzuviel brüsten wir uns im Gerede über unsere Kultur, zufrieden mit uns selbst, und allzusehr vergessen wir darauf, daß der ererbte geistige Besitz wachsame Pflege braucht und nicht jeder, der „Kultur“ schreit und sich auf seinen modernen Stil beruft, auch ein Berufener ist.

DIE LAGE VIELER UNSERER KÜNSTLER, schon lange als schwierig bekannt, ist eine verzweifelte geworden. Sie, denen nicht einmal eine Arbeitslosenunterstützung zugute kommt, sehen sich als einzelne vor eine ausweglose Situation gestellt. Die Jüngeren und Energischeren unter ihnen machen sich langsam mit dem Gedanken vertraut, Berufe zu ergreifen, die ihnen wenigstens das tägliche Brot garantieren; andere gehen allen Ernstes daran, eine Auswanderung zu versuchen. Die Not in vielen Wiener Ateliers ist kaum zu beschreiben. In unserer Redaktion erschien jüngst ein bekannter Graphiker, der darüber klagte, daß er kürzlich einen Hilfs-arbelterposten hatte verlassen müssen, weil es sich herausstellte, daß er der verlangten neun- bis zehnstündigen Arbeit körperlich nicht gewachsen war. Man hat schon vor geraumer Zeit den Vorschlag gemacht, die Steuerbehörden mögen den Käufern von Kunstwerken bis zu einer gewissen Summe den Kaufpreis in den Steuervorschreibungen als Freibetrag anerkennen. Es schien damals, als würde dieser Vorschlag, der sehr wohl geeignet wäre, so manchen unserer Künstler vor dem Zugrundegehen zu retten, auf Verständnis stoßen — aber man hat ihn w ohl vergessen. Daß seine Realisierung dem Fiskus großen Schaden zufügen würde, ist nicht wahrscheinlich — das Kunstpublikuro ist ohnehin nicht so groß, als daß die Summe, die es für den Ankauf von Kunstwerken aufwendet, eine schwere Steuerverkürzung darstellen könnte. Aber es ist doch gerade so groß, und günstigere Umstände vorausgesetzt, um den tieftraurigen Verhältnissen auf diesem Gebiete des Kultursektors ab-zuhelfen. t

IN EINEM UTOPISCHEN TOT ALITAREN STAAT, wie ihn George Orwell in seiner düsteren Zukunftsschau ,,J9S4' darstellt, werden die Gegner nicht nur einfach „liquidiert“, sondern „vaporisiert“ — verdampft. Das politische Tabu dieses Zukunftsstaates verbietet nämlich, auch nur die Namen der Verfemten zu nennen und ihrer Existenz überhaupt Erwähnung zu tun. Ob sie nur früher existiert haben oder noch anderswo existieren, ihre Spuren sind aus allen Registern “gelöscht und nicht einmal Anspielungen darauf dürfen mehr irgendwo aufscheinen. Vor kurzem hat in Wien ein Fu ßb alländer spiel stattgefunden. Der Gegner der heimischen Auswahl war die National-mannschaft Jugoslawiens. Dieses östliche Land ist in noch welter östlichen Staaten derzeit wenig beliebt, und auch sein Name wird nur in wenig schmeichelhaftem Zusammenhang genannt. Am liebsten vaporisiert man es. So nahm die Zeitung des russischen Elements, die ansonsten ausführlich über die sportlichen Ereignisse vom Neusiedler- bis zum Bodensee berichtet, von dieser Veranstaltung, der nicht weniger als 63.000 Zuscliauer beiwohnten, einfach überhaupt keine Notiz. Sie existierte nicht, pfutsch, vaporisiert. Das Zentralorgan der linksradlkalen Partei wiederum beschränkte sich auf einen knappen Bericht über den „Großen Sieg unserer Mannschaft“. Unscheinbar im Text versteckt wird dann einmal erwähnt, gegen u)en dieser Sieg eigentlich erfolgt ist. Hier also ging die Rache an .dem Lande Titos und seinen Fußballern etwas glimpflicher ab. Sie wurden nur beinahe „verdampft“.

ELFTAUSEND IM MARTYRIUM, meldet eine neueste vatikanische Veröffentlichung in einer Übersicht über die Verfolgungen der Kirche In den von den Kommunisten beherrschten Ländern Osteuropas. Insgesamt wurden bisher ungefähr 11.0 0 0 Priester und Mönche hingerichtet, eingekerkert oder deportiert, drei Bischöfe hingerichtet, ein Kardinal zu lebenslänglichem und zwei Erzbischöfe zu langjährigem Kerker verurteilt. In Ungarn allein wurden bis Anfang Juni 53 8 Priester hingerichtet, eingekerkert oder deportiert. Ein Bischof wurde von den sowjetischen Militärbehörden hingerichtet. Jeder einzelne dieser elftausend „Fälle“ bedeutet von der Seite der Verfolger Gewalt und Schreckensherrschaft, für die Verfolgten aber Martyrium und damit schließlich Triumph auf einer Ebene, von der die Schergen vielleicht eine dumpfe Ahnung haben. Doch wohl auch für den NichtChristen und den Indifferenten sprechen diese Zahlen über die Kirchenverfolgungen in Osteuropa eine verständliche Sprache, daß es auch heute wieder die Kirche ist. die in vorderster Front die Hauptlast des Kampfes trägt für die Überzeugungsfreiheit und für die Würde des Menschen.

EINE BÖSE AFFARE BESCHÄFTIGT GEGENWÄRTIG einen Untersuchungsausschuß des deutschen Bundestages in Bonn. Ausgangspunkt ist die in einer Wochenschrift erfolgte Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen, als deren Verfasser sich der Führer der Bayernpartei, Abgeordneter Dr. Baumgartner, bekannte und die nichts weniger behauptet, als es seien an zahlreiche Abgeordnete der Bayernpartei „Beträge von 1000 bis zu 20.000 Mark“ dafür gezahlt worden, daß sie bei der Wahl der Bundeshauptstadt nicht für Frankfurt, sondern für Bonn stimmten. Der schwerstbeschul-digte Abgeordnete Aumer, der bereits die Bayernpartei verlassen mußte, gestand vor dem Untersuchungsausschuß, Geld von dem Direktor der Erdölgrube „Gewerkschaft Elverath“, Theodor Teile aus Hannover, erhalten zu haben, aber nicht wegen der Hauptstadtwahl, sondern nur „um den radikalen Flügel der Bayernpartei zu mäßigen“. Als Empfänger von Industriegeldern — über die Titel des Empfanges besteht Widerspruch— werden auch die Abgeordneten Mayrhofer, Donhauser und Aretin genannt. Dr. Baumgartner bemüht sich um die restlose Säuberung seiner jetzt schwer getroffenen Partei. Bestechlichkeit und Korrupt tion grassleren heute wie die Pest. Die Führer der Gemeinwesen werden sich dagegen erfolgreich nur zur Wehr setzen mit Skalpell und Lysol.

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