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Randhemerkungen zur woche

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DIE EINGLIEDERUNG DER HEIMATVERTRIEBENEN ist eine der schwierigsten Aufgaben, die man auch in Westdeutschland zu lösen hat. Schon vor dem Krieg galt Westdeutschland als ziemlich dicht besiedelt; inzwischen wurde die Wohnraumnot infolge Bombenschäden und Besatzung sehr verschärft. Wohnungsnot, soziale Gegensätze, Verschiedenheit des Lebensstiles, ja selbst der Mundart schienen zwischen Einheimischen und Zugewanderten trennende Mauern aufzurichten. (Lediglich die konfessionellen Unterschiede brachten kaum irgendwo eine Erschwerung der Beziehungen, sondern führten oft sogar zu fruchtbarer Berührung.) Dieser Prozeß der Einordnung und Assimilation ist längst noch nicht abgeschlossen. Obwohl ein großer Teil, in manchen Gegenden bis zu drei Viertel, der heimatlosen Heiratenden sich einheimische Lebensgefährten gewählt haben, wird die harmonische Angleichung an die neue Umgebung wohl erst den Kindern gelingen. Diesem Problem widmet die „Baltische Zeitung“, das führende katholische Blatt Südwestdeutschlands, verständnisvolle und menschliche Worte, die festgehalten zu werden verdienen: „In diesem Jahr kom-men die ersten Kinder von Vertriebenen in die Schule, die ihre Heimat niemals gesehen haben; ihre Sprache hat die gleiche Dialektfärbung wie die ihrer übrigen Spielgefährten. Wenn sie größer werden, dann wissen sie von ihrer Stammheimat nur noch aus Erzählungen der Eltern. Sie werden sich vielleicht immer wieder daran erinnern, daß sie ohne den Krieg auf einem eigenen Hofe oder am Meere aufgewachsen wären, aber dieses Wissen wird von ihnen, im Gegensatz zur älteren Generation, nicht mehr als brennende Wunde empfunden werden, es wird sie eher wie eine Geschichte anmuten, die man nur noch vom Hörensagen kennt. Etwas aber können die Kinder aus der alten Heimat bewahren und weitergeben, die guten Eigenschaften ihres Stammes. Ostdeutsche Zähigkeit und Bedächtigkeit sind Werte, die auch in der neuen Heimat geschätzt werden...“ — und die auch in Österreich vielleicht mehr geschätzt werden sollten als bisher.

IM HAUPTQUARTIER. DES KOMMANDOS DER ATLANTIKPAKTSTREITKRÄFTE, des Generals Eisenhower, ist einer der wichtigsten Plätze am Konferenztisch noch immer leer geblieben. General J uin, der französische Prokonsul in Rabat, findet wenig Gefallen an dem Gedanken, seinen einfluß- und verantwortungsreichen Posten als Generalresident in Marokko räumen -und ihn mit dem allerdings nicht minder wichtigen des Oberbefehlshabers der Landstreitkräfte der Atlantikpaktarmeen vertauschen zu sollen. Seine Politik in Marokko, der Handstreich gegen den widerspenstigen Sultan, hat wohl zu dessen augenblicklicher Unterwerfung geführt, ist aber kaum geeignet, das Land auf die Dauer zu beruhigen. Und es scheint, daß hier wieder ein im Felde bewährter Soldat von bedeutendem Format lange, allzu lange wartet, vom glatten politischen Parkett zu seinem wohlerprobten Metier zurückzukehren *' v“ “i • St;'

DIE ZUNAHME DES FRANZÖSISCHEN GEBURTENÜBERSCHUSSES nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt sich allmählich zu einem bevölkerungspolitischen Ereignis von grundsätzlicher Bedeutung. Um die heutigen Zahlen, ins richtige Licht zu stellen, muß man sich erinnern, daß Frankreich vor 1945 ein stetiges Absinken des Geburtenüberschusses aufwies. Die Särge überwogen die Wiegen. Die Situation schien hoffnungslos. Ab 1946 zeigte sich aber ein völliger Wandel der Lage: die Sterbeziffern sanken auf einen nie dagewesenen Tiefpunkt, während die Geburtenziffern auf das Niveau der' Zeit vor 1905 hinaufschnellten. Zählte man 1938 auf 1000 Einwohner 14,6 Lebendgeburten und 15.4 Sterbefälle, somit einen Sterbeüberschuß von 0,8, so verzeichnete man 1947 21 Lebendgeburten und 13 Todesfälle auf je 1000 Einwohner, somit einen Geburtenüberschuß von 8,0, eine seit mehreren Generationen nicht mehr dagewesene Zahl. Noch erstaunlicher ist, daß sich diese Höhe hielt. Der Geburtenüberschuß betrug 1946 7,4; 1947 8,0; 1948 8,6; 1949 6,9! Bei diesen Zahlen kann es sich nicht mehr um die üblichen Nachholgeburten nach dem Krieg handeln. Völlige Klarheit werden wohl erst die nächsten Jahre brinpen. Aber man kann schon heute den Schluß aus diesen Zahlen ziehen, daß eine vorübergehende Stagnation in der biologischen Entwicklung eines Volkes noch keineswegs zu einem Untergangswahn führen muß. Daß eine familienfreundliche Politik, der Anfang sehr weitgehender familienfördernder Gesetze zu dieser Wende einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, kann heute nicht mehr bezweifelt werden. Außerdem sei daran erinnert, daß Japan in den vier Jahrhunderten seiner völligen Ab-schließung von der Außenwelt seinen Bevölkerungsstand auf gleicher Höhe hielt, während er in den wenigen Jahrzehnten nach der Öffnung des Landes auf das Doppelte stieg. Es gibt im Leben der Völker offenbar auch Ruhepausen und Bewegungsperioden. Nicht minder bemerkenswert ist auch die Abnahme des deutschen Frauenüberschusses von 133 Frauen je 100 Männer im Jahre 1946 auf 112 Frauen je 100 fl*änner im Jahre 1950. Auch das ist ein Zeichen der Normalisierung, das den bevölkerungspolitischen Pessimisten absolut unrecht gibt. ¥

DIE CHRISTLICHE PRESSE IN UNGARN ist ein getreues Spiegelbild der heutigen Lage der dortigen Kirchen mit all den — scheinbaren oder wirklichen — Widersprüchen, die es uns manchmal so erschweren, aus den spärlich herübersickernden Nachrichten sich ein Bild zu machen. Von scheinbarer Widersprüchigkeit kann freilich bei den protestantischen Presseorganen kaum mehr gesprochen werden, seitdem die erzwungenen Ablösungen in den Reihen der kirchlichen wie weltlichen Würdenträger aus einer ausgezeichneten kirchlichen Presse getreue politische Sprachrohre machen konnten. So widmeten diese Blätter neulich breiten Raum — allen voran das kalvinisti-sche Organ „Az Ut“ („Der Weg“) — der rein parteipolitischen Radiobotschaft eines ihrer Bischöfe, Albert Bereczky, an das deutsche Volk. Es mag zunächst vielleicht über' raschen, daß man in den katholischen Zeitschriften — katholische Tageszeitungen gibt es keine mehr — nichts dergleichen findet. Wohl widmen sie der „Friedensbewegung“, .pflichtgemäß immer wieder einen Artikel, indem sie dann allerdings den immer wachen Friedenswillen der Gläubigen und die beständigen Friedensbestrebungen der katholischen Kirche hervorheben; sonst aber halten sie sich von der Tagespolitik gänzlich fern. Daß es mit ihrer Freiheit trotzdem nicht gut bestellt ist, erkennt man dann, wenn sie den Lesern etwa die Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und Religion darlegen oder wenn sie die „Mißverständnisse“ um Fortschrittlichkeit oder Rückständigkeit der Kirche zu klären versuchen. Den größten Raum widmen sie den rein kirchlichen Ereignissen; auch in der Betonung des inneren Lebens und vor allem eines „sozialen Katholizismus“, etwa im Sinne eines Giovanni Spadolini, sind sie alle einig. „Alle“: das bedeutet, außer dem lithographierten Nachrichtenbulletin „Magyar Kurir“, zwei Wochenblätter, und zwar „Uj Ember“ („Der neue Mensch“) und „A Sziv“ („Das Herz“) mit je sechs Seiten, sowie eine Monatsschrift, „Vigilta“, mit 56 Seiten, auf sehr schlechtem Papier gedruckt. „Uj Ember“ muß seit vergangenem Herbst jede Woche einem, augenscheinlich staatlich rationierten, Friedensartikel Raum geben. Noch reservierter als die beiden Wochenblätter — jedoch von beträchtlichem Niveau — erscheint uns die „Vigilia“, redigiert von dem bekannten Piaristenprofessor und Dichter Sändpr Sik. Hier findet man in den letzten Nummern zum Beispiel einen ausführlichen Bericht über das Buch von Prof. W. Koppers „Der Urmensch und sein Weltbild“, ein eingehend kommentiertes päpstliches Rundschreiben und auch eine schöne Novelle von Graham Greene. •>

DAS FEUER. D.AS UM DIE SÜDPERSISCHEN ERDÖLFELDER ZÜNGELT, breitet sich, von der kommunistischen Tudeh-partei geschürt, mit großer Schnelligkeit aus. Diese Partei hat sich geschickt zum Vorkämpfer eines nationalen Postulats gemacht und hat ihre besonneneren politischen Mitbewerber durch Extremismus an die. Wand gespielt. Selbst der Naüonalisten-führer Dr. Mossadeq mußte, zur Regierung gelangt, um sein Leben zu schützen, ins Parlament flüchten. Die im Persischen Golf ankernden britischen Kriegsschiffe können das Eigentum der Anglo-Iranian nicht schützen, da jede Intervention mit der Vernichtung der Ölquellen/ vielleicht auch mit dem Massaker der britischen Staatsbürger beantwortet werden könnte. Teheraner Blätter behaupten, der Konflikt im Süden werde vom Nachbarn im Norden geschürt. Und sie befürchten, militärische Schutzmaßnahmen Englands könnten durch entsprechende Interpretation des russischsowjetischen Vertrages vom Jahre 1921 Persien zum Kampffeld zwischen zwei großen europäischen Rivalen machen, bei dem die Sowjetunion sichtlich am kürzeren Hebelarm stehen würde. Noch ist Korea längst nicht befriedet und schon droht an einer weltpolitisch viel empfindlicheren Stelle ein neuer Konflikt — Grund genug, die Kampfhandlungen im Fernen Osten, soweit es die Lage gestattet, in engem Rahmen zu halten. Die zurückhaltende Haltung Präsident Trumans scheint auf richtiger Erfassung der weltpolitischen Gesamtlage zu beruhen und nun im Nahen Osten ihre Bestätigung zu finden.

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