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Randhemerkungen zur woche

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„NOCH EINE FESTSTELLUNG: Die Anhänger der marxistischen Weltanschauung haben bei den jüngsten Wahlen zusammen 2,047.039 Stimmen erhalten, die Gegner des Marxismus konnten mit zusammen 2,273.235 Stimmen um rund eine VierteLmillion mehr Stimmen aui sich vereinigen.“ So zu lesen vor wenigen Tagen in einem Wiener Morgenblatt. „Die Anhänger der marxistischen Weltanschauung“ —■ „die Gegner des Marxismus“? Vergebens sucht man diese Listen und die ihnen zugeschriebene Stimmenanzahl in dem oifiziellen Ergebnis der Nationalratswahlen 1953. Dort steht bekanntlich klar und eindeutig verzeichnet, daß die OeVP 1,781.696, die SPOe 1,818.811, der WdU 473.022 und die als VO getarnte KP 228.228 Wählerstimmen erringen konnte. Kein Wort aber von einer marxistischen Einheitsfront,“kein Wort aber auch von einem antimarxistischen Block. Und das ist gut so. Niemand, aber auch wirklich niemand kann in Oesterreich des Jahres 1953 ein Interesse daran haben, die Sozialisten in einen Topi mit den Kommunisten zu werfen, auf eine gemeinsame Liste mit diesen zu drängen und sich selbst von der Gefolgschaft sehr unsicherer Kantonisten abhängig zu machen. Ganz zu schweigen von der künstlichen Großzüchtung einer Mentalität, die Volk und Staat in zwei annähernd gleichstarke Lager teilt, die .sich entschlossen zum Kampf bis aufs Messer gegenüberstehen. Das zu verhindern mahnen die Schatten der Vergangenheit. Man lasse also solche mathematischen Zahlenspiele, hinter denen keine politische Realität steht.

„UND NUN ERST RECHT'- Originell ist dieser Slogan, mit dem in der VdU-Presse die Enttäusdiung über das Wahlergebnis kommentiert wurde, wirklich nicht. Nun taucht er wieder aui, ausgegeben von einer Partei, die wir doch wirklich gerne als eine neue ansehen möchten. Vielleicht ist es eine Entlastung, wenn derselbe schöne Spruch nur mit einer kleinen Variation in den Tagen nach der Wahl auch in den Leitartikeln der rein kommunistischen Presse, wie auch anderer Blätter aus der Konkursmasse der Volksopposition zu lesen wdr. Nicht so weit aber sollte die Enttäuschung gehen, daß man die Wähler, die man vorher eifrig umworben hat, jetzt in aller Oeffentlichkeit beschimpft. Den schönen Satz zürn Beispiel: „Die österreichische Bevölkerung mästet und wählt ihre Henker gleichzeitig“ sind wir aus der „Prawda“ zu lesen gewohnt, nicht aber im Zentralorgan der dritten österreichischen Parlamentspartei.

NACH DEM; WORT DES DICHTERS wird das Volk der Phäaken am Donaustrand als den realen Lebensgenüssen besonders zugetan geschildert. Etwas muß an diesem Ruf wahr seih — so erweist eine Statistik aus dem Jahre 1953. Darnach haben die Oesterreicher im Jahre 1951 im Durchschnitt 12,8 Prozent ihres Einkommens für Genußmittel ausgegeben. Unser Aulwand für „Unterricht, Bildung und Unterhaltung“ Jst mit 3,5 vom Hundert schon wesentlich bescheidener. Wir hqbenalso mehr als viermal soviel vernascht, verraucht und vertrunken als lür unsere Bildung und Fortbildung ausgegeben. Wobei man sich noch fragen muß, was da alles als ,Unterhaltung“ gilt... Im ganzen erforderten diese eben erwähnten Genußmittel fünf Milliarden Schilling, gleich einem Zehntel des österreichischen Nationaleinkommens. Hollen wir wenigstens, daß ein erklecklicher Teil dieser Riesensumme unseren heimischen Weinhauern und Brauerein, unserer österreichischen Tabakregie zugute gekommen ist und nicht legale und illegale Importe betrifft. Aber in einer Zeit, da Oesterreich sparen muß, um seinen Aufbau zu finanzieren und zu diesem Zwecke in Zukunft noch viel mehr wird sparen müssen — in einer solchen Zeit hat diese Nachricht aui alle Fälle etwas Bedenkliches.

DIE „DEMOKRATISIERUNG“ MARSCHALL TITOS wird gegenwärtig nicht nur von der sozialistischen Internationale, sondern mit besonderem und in vieler Beziehung unverständlichem Eiler auch von gewissen liberal-konservativen Kreisen Englands und der USA betrieben: Vielleicht ist nichts besser geeignet, die ganze Fragwürdigkeit dieser diplomatischen Fleißaulgabe aulzuzeigen als ein Ereignis, das bei der im Trubel des außen- und innenpolitischen Szenenwechsels last unbemerkt stattge-lunden hat: die Verlassungsänderung Jugoslawiens. Marschall Tito hat — sonderbarerweise und ganz offenbar noch immer nach sowjetischem Muster — dem bisherigen kommunistischen Parteiapparat eine noch stärkere staatspolitische Machtposition verschallen wollen und sich im Zuge einer Moditizierung der bisherigen Veriassung von der Nationalversammlung zum Präsidenten Jugoslawiens .wählen“ lassen. Das Wahlergebnis lautete: 495 Stimmen iür Tito, ein weißer Stimmzettel, keine Stimme dagegen. Dieser weiße Stimmzettel aber beunruhigte das jugoslawische Politbüro so sehr, daß es eine — wie in kommunistischen Ländern üblich — besonders hochnotpeinliche Untersuchung über die Identität des „Verräters“ anstellen ließ, der es gewagt hatte, sich der Stimme zu enthalten. Das Ergebnis dieser Untersuchung war negativ und die Vertreter des Politbüros erschienen schuldbewußt bei ihrem neuen Präsidenten, um diesen von ihrer mangelnden Wachsamkeit in Kenntnis zu setzen.' Tito beruhigte sie lächelnd: den weißen Stimmzettel habe er selbst abgegeben — scheinbar aus Bescheidenheit. Ob die Verantwortlichen iür das Protokoll des Buckingham-palastes auch ein Lächeln übrig haben werden?

AM QUAI D'ORSAY beündet man sich in einer überaus schwierigen Lage. Aul der einen Seite droht die Szylla des immer ultimativer werdenden amerikanischen Druckes in Richtung auf die Europa-Armee, aui der anderen Seite die Charybdis der Opposition wichtiger iranzösischer Politiker und Presseorgane gegen die EVG. Aui verschiedenen Wegen versucht die Regierung Mayer, sich aus dieser Klemme herauszuwinden. Da war einmal die Hoffnung, bei England Freundeshille zu finden. Aber die Reise, die Mayer und Bidault nach London unternahmen, endete mit einer bitteren Enttäuschung. Statt einer von den Franzosen erhofften Neuverkündung der „Entente Cordiale“ kam es zur einer Abkühlung der Beziehungen) der Londoner „Economist“ nannte die Franzosen quengelig (petulant). So greiit die Tendenz um sich, durch Verschleppung der Ratir tizierung irgendwie um die letzte Entscheidung herumzukommen. Die Berichterstatter der beiden zuständigen Parlamentsausschüsse, Jules Mach und General Koenig, beide Gegner der Verträge, werden mindestens einen Monat lür das Studium der Dokumente in An-spruch nehmen. Dann kommt ein weiterer Monat für die Beratungen im Ausschuß. Damit wäre man bereits weit im April — und aui 1. April sollen die parlamentarischen Oster-terien beginnen. Ueberdies haben viele Abgeordnete bereits verkündet, daß sie den April in ihren Wahlkreisen zubringen müßten, um sich den Anlang Mai bevorstehenden Gemeindewahlen zuzuwenden. Und dann? Einmal müssen die Würfel fallen. Auch in den Tagen des Frühlingsmonats 1953 endet aller menschlichen Voraussicht nicht die Weltgeschichte ...

DAS ARABISCHE ERDÖL TRÄGT nicht nur den ausländischen Produktionsunternehmungen reichen Gewinn. Es befruchtet geradezu den Nahen Osten, und die Wirtschaft der arabischen Länder zieht aus ihm, wie nur recht und billig, hohen Nutzen. Und dies sollte gelegentlich doch auch ausgesprochen werden. Saudi-Arabien förderte vor dem Kriege nur einige tausend Tonnen jährlich — 1950 waren es rund 40 Millionen. In Kuweit stieg die Erdölgewinnung von sechs Millionen Tonnen im Jahre 1948 auf nahezu 30 Millionen Tonnen im Jahre 1950. Der Irak förderte 1950 acht Millionen Tonnen, für 1955 rechnet man mit 30 Millionen Tonnen. Die Konzessionsgebühren der ausländischen Produktionsfirmen deckten in Saudi-Arabien im Jahre 1951 mit 2,5 Milliarden Schilling weit mehr als djie Hälfte der Staatsausgaben. Jene Länder, die wie Jordanien, Syrien und Libanon selbst über keine Erdölvorkommen verfügen, ziehen aus der Produktion ihrer Nachbarstaaten großen Gewinn, indem sie Transitgebühren für das Erdöl einheben, das in den Pipelines durch ihr Gebiet zu den Mittelmeerhäfen fließt. Diese Gebühren verteuern das durchgeschleuste Erdöl um 15 S je Barrel (zu 35 kg), und Libanon kann durch diese Taxen ein Zehntel seiner Staatsausgaben decken. Diese Mittel ermöglichen den arabischen Staaten großzügige Investitionen, vor allem in der Landwirtschaft, durch Ausbau des Verkehrsnetzes, die Errichtung von Wohnungen, Spitälern, Schulen, Wasserleitungen und Kanalisationsanlagen. Im Irak wurden am Euphrat und Tigris Staubecken in Angriff genommen, die 800.000 Hektar bewässern sollen. Er ist also durchaus kein einseitiges Geschäft, um das der Streit geht, und es ist wohl nicht anzunehmen, daß alle diese Meliorationen in Angriff genommen worden wären, wenn nicht ausländischer Unternehmungsgeist und technisches Können die Erdölquellen endlich aus ihrem jahrtausendelangen Schlummer erweckt hätten.

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