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Randhemerkungen zur woche

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DER WIENER SCHULJUGEND widmet die Gemeinde Wien ein Buch. „Ein Leben für Oesterreich. — Unser Bundespräsident Dr. h. c. Theodor Körner, der Jugend geschildert von Gustav K. Bienek. Wien 1953.“ Ein schmuckes kleines Bändchen, mit einer lobenswerten Absicht: der Wiener Schuljugend eine lebendige Einiührung in das Wesen der Demokratie zu geben, an Hand eines Holt erzählten Berichtes vom Lebenslaul unseres Bundespräsidenten. Das sich so ireundlich präsentierende Büchlein hat nur einen Schönheitsfehler: es verwechselt Demokratie mit Parteisache. Freiheit, Friede, Fortschritt, Menschlichkeit werden ihm zufolge nur durch den revolutionären Sozialismus, den alten Austromarxismus, vertreten. So deutlich steht das freilich nicht auf jeder Seite zu lesen. Man drückt sich 1953 vorsichtiger aus als 1923, 1933. Um so trauriger für unsere Schuljugend, die nicht auf den ersten Blick die saubere Einkleidung zu durchschauen vermag. Immerhin, im letzten Drittel rückt das Büchlein offener mit seiner Sprache, mit seiner Gesinnung heraus. Hier erfährt nun endlich unsere Schuljugend die Wahrheit über die letzten 15 Jahre: Während das Dritte Reich General Körner wieder aktivieren wollte, mit allen Ehren, halte das laschistische Oesterreich nur Kerker und Ver-lolgung für ihn und Iür mindestens die Hallte der österreichischen Bevölkerung übrig. — „Leidenschaftslos dürfen wir heute auf diese Zeit zurückblicken“, so schreibt das Büchlein auf Seite 71, so glauben wir, müßte es geschrieben werden, wenn es seinem hohen und guten Sinn gerecht werden wollte: unsere Schuljugend in Demokratie einzutühren. Man muß durchaus nicht ein Verehrer der Staatsform der Jahre 1934 bis 1938 sein und kann sich doch zu einiger Objektivität bekennen, die gerade hier not tut. So aber legt man das Büchlein enttäuscht aus der Hand. Wieder einmal hat eine Parteilegende über die Wahrheit gesiegt. Ein kleiner, fragwürdiger Sieg.

DAS ANSEHEN EINER DEMOKRATIE leidet nicht so sehr unter dem so oft als Quelle des Uebels beklagten Parteikampf — dieser hat sehr wohl eine nützliche Funktion —, sondern durch ein jedes Maß vermissen lassendes kleinliches Parteiengezänke. So sind es auch weniger bestimmte Taten oder Unterlassungen der so oll zitierten „Koalition“, die ihren Gegnern die Propaganda erleichtern, sondern es ist die öffentliche Umgangssprache, die so vieles verdirbt, was dann am gemeinsamen Arbeitstisch nur mit Mühe und Ausdauer wieder gutzumachen ist. Was soll man zum Beispiel von der in letzter Zeit wieder stärker aufgefallenen Unsitte halten, daß die politischen Parteien sich Gesetzesbrecher laut und hämisch gegenseitig in die Schuhe, das heißt in die Parteikartotheken schieben? Als man in Graz aul die Untaten eines inzwischen abgestraiten Sittlichkeitsverbrechers kam, bemühte man sich höhnisch von Links nachzuweisen, daß dieser ein besonderer Vertrauensmann irgendeines Kandidaten der anderen großen Partei gewesen sei. Und als überhaupt die Nachricht von dem entmenschten Vater, der seine Tochter sieben Jahre lang von aller Welt abgeschlossen hatte, durch die Presse ging, wies Rechts nicht ohne Schadenfreude auf sein „rotes Herz“, auf seine Funktion, als sozialistischer Vertrauensmann, hin. Und auch der VdU braucht diesmal nicht zu befürchten, zu kurz zu kommen. Als der gemeinsame Raubüberfall eines Arztes und eines Handwerksmeisters vor gar nicht so langer Zeit die Gemüter erregte, wurde nicht vergessen, einen von den beiden als besonderen Vertrauensmann der dritten österreichischen Parlamentspartei vorzustellen. Womit eigentlich allen „Genugtuung“ geleistet wäre und ein für allemal Schluß mit einem ebenso lächerlichen wie unwürdigen „Verbrecherproporz“ gemacht werden könnte.

AM 17. MAI SCHREITET UNGARNS VOLK zu den Urnen, um „wie ein Mann für die Kandidaten der Unabhängigen Volksfront zu stimmen“. Es ist offensichtlich, daß dieser die Veranstalter nicht stören wird. Sie gehen, wie immer, „planmäßig“ vor. In der Wahlproklamation der Unabhängigen Volksfront wird zunächst auf die großen Erfolge der ungarischen Planwirtschaft hingewiesen: heute schon, erst im dritten Jahr des ersten Fünfjahrplanes (in Millionen Tonnen) 1,5 Stahl, 18 Kohle, 4,2 Milliarden Kilowattstunden elektrischer Strom, 5,5 Millionen Sozialversicherte, viermal mehr Hochschüler als im Jahre 1938. Eindrucksvolle Zahlen! Die weiteren Pläne sind noch höher gesteckt. Und stolz wurde eine Neuerung auch im politischen Leben des Landes angekündigt und durchgeführt: die Wahl der Kandidaten in öffentlichen Versammlungen. Was bedeutet das? „Das bedeutet, daß die Teilnahme der Werktätigen an den Wahlen noch mehr ist als das allgemeine Wahlrecht... sie wählen ihre Kandidaten selbst aus. Die Ausbreitung der Rechte der Werktätigen konnte nur in einem Lande verwirklicht werden, wo tiefstes gegenseitiges Vertrauen Volk und seine Führer verbindet.“ („Szabad Nep“, 14. April.) Zeigen sogar die otfiziellen Berichte von diesen Versammlungen, wie es mit diesem Vertrauen in der Wirklichkeit bestellt ist. Die Belegschalt der Betriebe versammelt sich. Aul Geheiß des Parteisekretärs erheben sich die Arme: erster Kandidat Genosse Räkosi. Zweiter: einer aus der Trias Gerö-Farkas-Rivai. Dritter: der Parteisekretär. (Seinen Namen mit nicht er selbst aus, sondern einer aus dem „Volke“!) Auch kommt es vor, daß statt des Parteisekretärs der Fabrikdirektor „kandidiert“ wird. So geschehen bis jetzt schon in Tausenden von Versammlungen. Und während überall in der freien Welt sich die Abgeordneten vor dem Wahlgang alle Mühe geben, es ihren Wählern nur ja recht zu (un, ihnen nur wirklich zu gefallen, sind in dieser verkehrten Welt auch die Beziehungen zwischen Wählern und Gewählten auf den Kopi gestellt. So meinte es auch eine Rednerin in Kunszentmdrton („Szabad Nep“, 13. April): „In diesem feierlichen Moment müssen wir auch daran denken, öb wir das Recht haben, Genosse Räkosi um die Annahme unserer Vertretung zu ersuchen. Unsere Gemeinde schuldet noch dem Staat... Wir müssen zeigen, daß wir uns unserem großen Kandidaten würdig erweisen werden...“

IN EBEN DIESEN TAGEN, in denen in Amerika zuerst der Oberbürgermeister von Berlin, Reuter, dann der deutsche Bundeskanzler Dr. Adenauer hochbeachtliche Sympathiekundgebungen iür Deutschland entgegennehmen konnten, in denen zugleich deutsche Repräsentanten, Experten und Ehrengäste an die letzten ihnen bisher unzugänglichen Konterenztische der internationalen Welt zurückgekehrt sind, hielt es der bekannte deutsche Dichter Wilhelm von Scholz für richtig, in einem offenen Brief an den deutschen Bundespräsidenten Heuß gegen die „beängstigende U eber-fremdung der deutschen Theater und Verlage“ durch ausländische Werke zu protestieren und zu fordern, der deutschen Literatur „den Lebensraum wiederzugeben, der heute den Fremden und allenfalls noch den von ihnen Beeinflußten bei uns gehört“. Dieser „Ueber-fremdung“ könne Einhalt geboten werden unter der Bedingung, „daß für jede Ueber-setzung ins Deutsche eine aus dem Deutschen in die entsprechende Fremdsprache nachgewiesen und verbucht werden muß“. — Wir denken nicht daran, Wilhelm von Scholz iür diese undeutsche, ungeistige Diktion verantwortlich zu machen, der zufolge also nun das Volk der Dichter und Denker seine Geistesprodukte, wie Käse und Kanonen, ans Ausland verkaufen sollte, nach einer Verrechnung, die etwa die Montanunion zu kontrollieren hätte. Wir bedauern nur, daß er sich dafür hergab, diese Proklamation eines Vulgärnationalismus mit seinem Namen zu unterzeichnen, die nicht nur allzu deutlich die Sprache des unseligen Gestern verrät, sondern an sich bereits als Ausdruck einer unheimlichen Schwäche in der innersten geistig-seelischen Dimension gesehen und beobachtet werden muß. Wem es nicht klar ist, was hier geschehen ist, der stelle sich einmal vor: Albert der Große, der größte deutsche Denker des Mittelalters, Friedrich der Große von Preußen (in dessen Bibliothek in Sanssouci kein einziges deutsches Werk stand), Goethe, um von einigen tausend kleineren Im letzten, vergangenen Jahrtausend deutscher Kultur und Geistigkeit zu schweigen, wären in eine tödliche Verlegenheit gekommen — wenn sie überhaupt imstande gewesen wären, einen solchen Gedanken zu fassen: Geist und Kultur, Kunst und Scluifttum als einen Markt- und Markenartikel aufzufassen, der, proportioniert, und als solcher Import- und Exportmaßnahmen allerhöchster Schirmherren untersteht. — Wenn die deutsche Literatur gut ist, das heißt auf deutsch, wenn sie besser wird, wird sie sich einen „Weltmarkt“ erobern (Goethe nannte das anders, er spricht von Weltliteratur), wie sie das zu Zeiten Taulers, Goethes, Kants, und noch Heines, errang Wenn sie schlecht ist oder schwach, wenn sie also weder Weltatem noch Weltweite besitzt — wie eben diese Proklamation selbst —, dann hellen ihr alle nationalen Schutzmaßnahmen nichts. Es verdient beachtet zu werden, gerade von ehrlichen Freunden des deutschen Volkes, daß so etwas überhaupt möglich ist: mitten in einem neuen politischen und wirtschaftlichen Autstieg ein solches Zeichen innerer Schwäche kundzutun, wie eben dieser offene Brief eines deutschen Dichters, der sich selbst und seine Nation mißversteht.

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