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Randhemerkungen zur woche

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DURCH EINE FREUNDSCHAFTLICHE VERMITTLUNG gelang es unserer Zeitschrift, für ihre letzte Nummer den Vorabdruck eines kurzen Berichtes des österreichischen Botschafters in Moskau über die Jahre vor dem Ereignis vom 15. Mai 1955 zu erhalten, einen Bericht, der sich, wie sich unsere Leser überzeugen konnten, ebensosehr durch Diskretion wie knappe Sachlichkeit auszeichnet. Der österreichische Gesandte in Moskau, eine Persönlichkeit von Format, deren hohe Verdienste von keinem Gutgesinnten in Frage gestellt werden, wird nun in einem Artikel des offiziellen Organs der zweiten Regierungspartei, der er selbst gesinnungsmäßig nahesteht, deswegen in einer Weise angegriffen, die mit den guten Sitten österreichischer Publizistik nicht mehr vereinbar ist. Derselbe Aufsatz wendet sich übrigens auch gegen Dr. Kindermann, dessen „Flug nach Moskau“ eine interessierte, aber geteilte Aufnahme gefunden hat, und der hier apostrophiert wird als „ein Herr Dr. Walter Kindermann, den Herr Raab angeblich als seinen persönlichen Dolmetscher mit auf die Reise der österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau nahm ...“ Man beachte den Tonfall und die Ausdrucksweise. Das Zentralorgan einer Regierungspartei, deren oberster Repräsentant mit in Moskau war, verfällt hier in einen hinterwäldlerischen Ton der Verdächtigung und Denunzierung, der im Interesse des einen und unteilbaren Ansehens der österreichischen Presse bedauert werden muß. Das hier vorliegende Ressentiment stammt aus allerengster Parteioptik — die nicht verschwiegen wird, da besagtes Organ, nachdem es dem österreichischen Botschafter den unziemlichen Vorwurf, diplomatische Geheimnisse auszuplaudern, gemacht hat — ein Vorwurf, der sich durch eine einfache Lektüre erledigt —, gesteht: „Herr Bischoff muß sich eine Anerkennung seiner gewiß löblichen Verdienste um die Verhandlungen in Moskau doch wohl in anderer Weise suchen als durch publizistische Betätigung in der OeVP-Presse.“ Also: wenn sein Bericht in der sozialistischen Presse publiziert worden wäre, dann hätte seine „undiplomatische Geschwätzigkeit“ wohl ein anderes Gesicht? Wozu, zu allerletzt, noch zu bemerken wäre: Die „Arbeiter-Zeitung“ weiß sehr wohl, daß unser Blatt kein Parteiorgan ist — sie weiß das so genau, wie sie sehr wohl weiß, wer „ein Herr Dr. Walter Kindermann“ ist —, sie verfällt hier aber in einen alten, unguten Trick, alle Katholica einfach als „OeVP“ abzustempeln, womit sie weder den Katholiken Kock sich selbst einen guten Dienst erweist. Das aber steht bereits auf einem anderen, alten Blatt, das wir längst gewendet wähnten, in der Sonne der Jahre 1945 bis 1955, der Sonne, die reichlich auf die Massen und Repräsentanten des österreichischen Sozialismut scheint; er hätte es heute einfach nicht nötig, in Gehässigkeiten und Ressentiments zu verfallen, die man wohl den Enterbten und Armen dieser Erde zubilligen mag, nicht aber mächtigen Männern und Kreisen, die heute Verantwortung mittragen für den Weg Oesterreichs in eine bessere Zukunft.

MIT DEM KÜNFTIGEN SCHICKSAL DES SENDERS ROT-WE1SS-ROT haben sich während der letzten zwei Wochen auffallend lebhaft einige Mittags- und Tageszeitungen befaßt. Dieser Sender wird nämlich in absehbarer Zeit von den Amerikanern übergeben werden, und man zerbricht sich nun den Kopf darüber, was zu geschehen hat: ob Rot-Weiß-Rot dem Oesterreichischen Rundfunk eingegliedert oder als selbständiger Sender weitergeführt werden soll. Dieser Sender, während der letzten Zeit stark auf Wien eingestellt, hat hier, besonders auch dank einiger wirkungsvoll geführter Rubriken, viele Freunde, und man würde seinen totalen Ausfall allgemein als Verlust, allenfalls als Verarmung des Radioprogramms bedauern. Als selbständiger Sender könnte er nur mit eigens zu diesem Zweck aufgebrachten Mitteln gehalten werden; man spricht von etwa 15 bis 16 Millionen Schilling jährlich. — In Amerika werden Radiosender ausschließlich durch den Werbefunk finanziert, und so schlägt man auch für den ehemaligen amerikanischen Sendet Rot-Weiß-Rot diesen Modus vor. Trotzdem werden sich wahrscheinlich bedeutende Fehlbeträge ergeben. Hierfür haben sich einige Financiers gemeldet, deren Namen bekannt sind. Denn die vorgesehene Gebührenerhöhung soll ausschließlich dem Oesterreichischen Rundfunk zugute kommen und soll ausschließlich einem bestimmten Zweck dienen: der Verbesserung seines Programms, insbesondere dem Ausbau des anspruchsvolleren „Zweiten Programms“. — Es ist begreiflich, daß die bisherigen Angestellten, Mitarbeiter und an der Uebernahme in der oben angedeuteten Form Interessierten für die Fortführung eines „selbständigen“ Senders Rot-Weiß-Rot plädieren. Aber dies dürfte nicht auf Kosten des Oesterreichischen Rundfunks geschehen, dem in recht massiver Form Parteien- und Proporzwirtschaft vorgeworfen wird. Letzteres mag in gewissem Umfang für die Verwaltung gelten, das Programm des Oesterreichischen Rundfunks wurde von staatlichen und parteiamtlichen Einflüssen weitgehend freigehalten, insbesondere, was die Nachrichten, die kulturellen und künstlerischen Sendungen betrifft. Auch der Vorwurf der „Farblosigkeit“ scheint uns nicht gerecht, wenn man bedenkt, daß es einen freien österreichischen Rundfunk erst seit dem 1. September vorigen Jahres gibt. Man sollte auch nicht vergessen, welchem Druck die verantwortlichen Männer der Ravag, die bekanntlich in der Argentinierstraße liegt, zehn Jahre lang mannhaft standgehalten haben und eine so pauschale Kritik als kränkend empfinden müssen. — Gewiß, das Programm des Oesterreichischen Rundfunks entspricht noch nicht allen Anforderungen, die Koordinierung von sieben Studios ist noch nicht ganz bewältigt, es gibt auch Lücken im Programm, was sich besonders während des letzten Jahres fühlbar machte. Auf zeit-, kultur- und kunstkritische Sendungen wäre mehr Gewicht zu legen, überhaupt der freien demokratischen Kritik mehr Raum zu geben. Ob freilich auf der anderen Seite ein als Werbefunk geführter und von bestimmten Wirtschaftsweisen subventionierter Sender Rot-Weiß-Rot wie bisher frei und unabhängig sein wird, ist sehr fraglich.

DIE ZUKUNFT DER USIA-BETRIEBE beschäftigt außer professionellen Gerüchtefabrikanten die Arbeiterschaft. Nach den offiziellen Erklärungen und gemäß den Bestimmungen des Staatsvertrages hat sie keinerlei Diffamierung der Person oder Gefährdung des Arbeitsplatzes zu befürchten. Was hingegen zuletzt eine beachtliche Bewegung auslöste, war die Frage der Führung der Betriebe, und hier wieder aus den ungefähr 300 Unternehmungen jener, welche voraussichtlich auf keinen Fall verstaatlicht werden. Es gibt solche mit kleinem Arbeiterstand — 30 bis 50 Menschen, nicht mehr —, die den Wunsch geäußert haben, Arbeitsgemeinschaften zu bilden, wo die Arbeiter und Angestellten Mitarbeiter und Mitbesitzer sind. Der Vorschlag zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften — ähnliche Versuche sozialer Volkswirtschaft sind aus dem Auslande längst bekannt — verdient erwogen zu werden und wird eine Betriebsrätekonferenz der in Frage kommenden Unternehmungen nicht nur, wie vorgesehen, einmal, sondern wohl noch öfter beschäftigen. Die Bewegung hält sich, wie aus ihren Kreisen verlautet, von jeder Parteipolitik ferne und beabsichtigt auch in keiner Weise den Betriebsräten und Gewerkschaften Abbruch zu tun. Die entsprechenden Fachverbände haben, soweit bisher Aeußerungen vorliegen, dem Plane einer Betriebsgemeinschaft kein Veto entgegengesetzt. Eines der wichtigsten Probleme — neben der trotz Aenderung der Arbeitgeber in Frage stehenden Absatzmärkte — wird die Kreditgebung sein. Handelt es sich auch um keine besonders großen, laufenden Anschaffungen dienenden Beträge bis 200.000 S, so ist es doch schon rein psychologisch bedeutsam, ob der allgemeine Kreditmarkt die Bestrebungen der Arbeiterschaft unterstützt, ohne jenes berühmt-berüchtigte einundfünfzigste Prozent zu besitzen. Das letzte Wort wird vermutlich der österreichische Finanzminister sprechen. *

DIE GÖTTINGER UNIVERSITÄT hat in diesen Tagen eine Demonstration staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins begonnen, die weit über Westdeutschland hinaus berechtigtes Aufsehen erregt. Der gesamte akademische Senat, an der Spitze der Rektor, ist zurückgetreten, weil sich die Universität — Professoren und Studenten — verpflichtet weiß, gegen eine offensichtliche, grobe Mißachtung der öffentlichen Meinung durch einen parteipolitischen Akt protestieren zu müssen. Diesen Akt setzte der neue niedersächsische Ministerpräsident Hellwege, FDP, gleichzeitig bekanntlich Bundesminister in Bonn, indem er Leonhard Schlüter zum Kultusminister seiner niedersächsischen Landesregierung berief. Schlüter war in den ersten Jahren nach 1945 Polizeimann, wahrscheinlich auch englischer Agent, ist heute Leiter eines Verlages, der ausschließlich Werke alter Nationalsozialisten herausbringt (darunter ein halbes Dutzend radikalster Sorte), ihm wird der Ausspruch zugeschrieben: Die nationalsozialistische Weltanschauung sei die gesündeste des 20. Jahrhunderts. Unentwirrte Fälle von Unterschlagung usw. werden zudem gegen Schlüter vorgebracht. — Ministerpräsident Hellwege sieht im Protestschritt der Göttinger „eine ernsthafte Gefahr für den Gedanken der parlamentarischen Demokratie“, worauf ihm die Professoren mit Recht vorhielten, daß alle Vorstellungen gegen Schlüter vor dessen Ernennung nicht zur Kenntnis genommen wurden, daß Demokratie nicht bedeuten könne, daß Parteimänner sich über alle Gesetze des staatsbürgerlichen Anstandes hinwegsetzen. Inzwischen hat unter anderen die Universität Heidelberg sich mit Göttingen solidarisch erklärt — und, während weit über Göttingen hinaus, die Erinnerung an die berühmten „Göttinger Sieben“ wach wird, an jene Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung durch den König von Hannover protestierten (unter ihnen waren die Brüder Grimm), zogen 3000 Studenten mit Fackeln durch die Stadt, voran ein Transparent: „Mit Rektor und Senat für die akademische Freiheit.“ Gelasse nahm Schlüter diese Kundgebung zur Kenntnis, er vertraut auf seine Bonner Beziehungen: „In drei Wochen ist alles vorbei.“ Worauf der zurückgetretene Rektor, Professor Trillhaas, replizierte: „Der Herr Minister wird sich wundern ...“ — Dieser Versuch eines legitimen staatsbürgerlichen Widerstandes gegen eine problematische parteipolitische Maßnahme über die Köpfe der Bevölkerung hinweg verdient wahrhaftig die Aufmerksamkeit aller freiheitlichen Kreise in allen Ländern der freien Welt ... Nachsatz zum ersten Akt dieser Auseinandersetzung: Soeben wird bekannt, daß Herr Minister Schlüter beurlaubt wurde, daß seine eigene Partei ihm das Vertrauen entzieht ... — Das demokratische Deutschland hat einen Sieg errungen.

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