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Randhemerkungen zur woche

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MIT DEM ABZUG DER BESATZUNGSTRUPPEN AUS ÖSTERREICH beginnt eine neue Entfaltung det innenpolitischen Lebens in unserem Lande. Verdeckt durch die Angst, durch die Angst vor fremden Eingriffen und vor einem nahen Kriege, verdeckt durch starre Positionen der großen Parteien und Organisationen, die 1945 zunächst als Notstandshilfen für kurze Zeit empfunden wurden, werden nunmehr die inneren Räume unseres Volkes sichtbar, so, wie sie wirklich sind. In diesen Lebensräumen ist es, und das sollte heute offen gesagt werden, zu erschreckend wenigen echten Differenzierungen gekommen, zu vielfarbigen lebendigen Ausformungen des inneren Lebens unseres Volkes. Ruinen und Reste überalterter politischer und weltanschaulicher Formen, die überlebt sind, haften zäh auf dem flachen Boden, auf dem Neid, Ehrgeiz und Geschäft ihre Spiele treiben. Zwei Weltkriege, drei innere Katastrophen, die Ablöse von vier Generationen haben erstaunlich wenig das Gesicht unserer „Oeffentlichkeit“ gewandelt und damit beigetragen zur Oeffnung wirklich neuer offener Horizonte in der innenpolitischen Entwicklung unseres Landes. Man täusche sich doch nicht: die wirtschaftliche Konjunktur läßt uns allzu oft hinwegsehen über die ungelösten inneren Probleme, über die zähe Verhaftung in alten Vorurteilen und Positionen; nicht nur der Kampf um Schule und Ehegesetzgebung zeigt, wie wenige Schritte wir innerlich oft wirklich hinausgekommen sind über die Engpässe vergangener Jahrzehnte. — In eben diesem Zeitpunkt, in dem die vier Besatzungsmächte uns verlassen, tut es gut, einiger verdienstlicher Bemühungen um eine Auflockerung der erstarrten inneren Fronten in Oesterreich zu gedenken, die ohne direkte und indirekte Einwirkung unserer Gäste nicht zustande gekommen wären. Soeben ist die letzte Nummer des „Wiener Kurier“ erschienen. Das Presseorgan der amerikanischen Besatzungsmacht, stellt also zeitlich als vorletztes Blatt, nach dem früheren Ausscheiden des französischen und englischen Elements, und vor dem Ende des russischen Organs, sein Erscheinen ein. In früheren Jahren hat der Pressekrieg der Besatzungsmächte untereinander zu manchen unerfreulichen Stilblüten geführt. Gerade deshalb gebührt heute dem „Wieder Kurier“ ein Wort des Dankes: er hat sich bemüht, in die Enge, die Eintönigkeit, die dürre Parteilichkeit der österreichischen Presse seit 1945, eine gewisse Auflockerung zu bringen. Das gelang ihm nicht zuletzt durch die ehrliche Art, in der er seine politische Herkunft bekundete, oft trocken und vielleicht wenig einfallsreich, aber anständig seinen weltpolitischen Standort vertrat, sehr zum Unterschied von der Verwaschenheit und Verblasenheit mancher österreichischer Organe. Das Ausscheiden des „Wiener Kurier“ hinterläßt eine Lücke, die das innere Vakuum sichtbar macht: den Leerraum im inneren Leben Oesterreichs, der durch rührige Spekulanten und Geschäftemacher nicht geschlossen wird. Dasselbe gilt für ein zweites Phänomen, das sich der Anteilnahme einer breiten österreichischen Oeffentlichkeit erfreuen durfte: der Sender „Rot-Weiß-Rot“: wir freuen uns, daß es wieder einen gesamtösterreichischen Rundfunk gibt, und wünschen ihm eine reiche innere und äußere Entfaltung; dürfen wir hoffen, daß er einen Teil des Geistes und der Lebendigkeit, der Freimütigkeit und Beweglichkeit adoptieren wird, die bisher vom Sender Rot-Weiß-Rot betreut wurden? Es wäre großer Schaden, wenn eine gewisse timide, graue, bürokratische Art mit ihrem Mehltau, ihrer Anmaßung und ihrem Widerwillen gegen jede Kritik, unser Rundfunkwesen sterilisieren würde. Dürfen wir hoffen? Noch ist dem Sender Rot-Weiß-Rot selbst eine Frist gewährt, bis zum Ende dieses Jahres. — Den Erscheinungen auf der einen Seite entsprechen Vorgänge im gegnerischen Lager. Noch ist es nicht möglich, die Verformungserscheinungen bei den „Nationalen“ und ihren linken und rechten Flügeln und Verbindungstruppen so scharf anzuvisieren, wie es morgen nötig sein wird, soll Oesterreich ein gewisses Maß echter Freiheit sich erkämpfen. Ein kleines Blinkzeichen, das nicht unbeachtet bleiben sollte, bildet aber die einstimmig vollzogene Selbstauflösung der „Nationalen Liga“. Diese eigentümliche Verbindung von „alten Kämpfern“ der rechtsradikalen Observanz mit nationalbolschewistischen Elementen gibt durch ihre Selbstauflösung Köpfe frei, deren Infiltration hier und dort morgen nicht unbeachtet bleiben sollte. — Im österreichischen inneren Leerraum beginnen nunmehr, nach dem Zurücktreten einiger von außen kommender Mächte, langsam neue innere Gruppierungen ihr Gewicht zu entfalten: werden diese, jenseits der alten Rechten und Linken, zu einer neuen Mitte sich finden? Die Sommermonate werden vielleicht bereits einige Anhaltspunkte bringen, in welcher Richtung sich das stille Ringen unter und hinter den großen Fronten entwickeln wird.

WER HAT DICH, DU SCHÖNER WALD - nun, wer kennt nicht die Frage Eichendorffs? War wir aber noch immer nicht kennen, ist das genaue Ergebnis der sogenannten „Waldbestandsaufnahme“, ein Wort, das allgemach zu einem Zauberwort der Optimisten und Pessimisten geworden ist. Wir wissen wohl, wer den schönen Wald aufgebaut, und wer ihn während der vergangenen Jahre abbaute. Im Mai 1953 verlautete noch nichts über die Waldbestands-aujnahme — damals ist bei der Aufstellung der Nutzung unserer Forste für das Jahr 1952 gegenüber dem Vorkriegsjahre 1935 eine Erhöhung des Gesamt-holzeinschlags um 220.796 Festmeter (und gegenüber dem Siebenjahrdurchschnitt 1946/52 eine Erhöhung von 171.845 Festmeter) festgestellt worden. Für das Jahr 1953 taucht nach den amtlichen Ziffern der Erhebung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft ein Mehreinschlag von 830.773 Festster auf. Für das vergangene Jahr 1954 schließlich verzeichnet man einen Mehreinschlag von rund einer Million Festmeter. Das sind Ziffern, die zu denken geben. Im Mai 1954 hat es schon geheißen: „Ein abschließendes Urteil über das vieldiskutierte Thema der Uebcrschlägerung kann derzeit nicht gegeben werden, da zunächst die Ergebnisse der Waldbestandsaufnahme abgewartet werden müssen ...“ Ein Jahr später, int Mai 1955. heißt es nur lakonisch (Statistische Nachrichten, X/5, S. 188): „Da die neue Waldbestandf auf nähme noch nicht abgeschlossen ist, kann das Verhältnis der Holznutzung zum errechneten Holzzuwachs ... nur mit Angaben der Forststatistik 1935 gegeben werden.“ Abgesehen davon: in all den Jahren fällt eines auf (selbst 1952, als der Gesamteinschlag rückgängig war): der Einschlag der Privatwälder steigt beharrlich. Er war damals, 1952, um 2,2 Prozent höher und betrug für 1954, während die Staatsforste eine Abnahme von 2 Prozent angeben, ein Mehr von 15 Prozent. Es ist sehr zu beachten, daß 1954 vom Gesamteinschlag der Privat-v.hlder 57 Prozent auf Besitztümer u nt er 50 tut entfielen: Hier wird das Problem des Kleiuforstes und die Existenznot unserer 1626 Bcrgbauern-gemeinden sichtbar.

ALS DAS AMTLICHE UNGARN den Tod des Historikers Julius Szekfü in Form einer respektvoll gehaltenen Traueranzeige bekanntgegeben hatte, empfand nur die kleine Schar jener, die Szekfü noch als treuen Mitarbeiter des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (zwischen 1909 und 1925) gekannt hatten — den Widersinn. Anders freilich die „Gutinformierten“! Sie wissen von Verrat und noch einmal von Verrat zu berichten: von dem jungen Historiker, der es wagte, von entscheidenden Verdiensten des Jesuitenordens um die Kultur- und Gesellschaftsbildung im Ungarn des IS. Jahrhunderts zu sprechen; der die Unhattbarkeit der These einer hauptsächlich protestantisch orientierten pseudoliberalen Geschichtsschreibung von der „nationalen Dekadenz“ dieses lateinisch sprechenden Jahrhunderts nachwies: der Maria Theresia als Beschützerin der ungarischen Leibeigenen gegenüber ihren Herren erkannte... Aber das Sündenregister geht noch weiter. Derselbe Historiker, schon alt und krank geworden, weigerte sich, den Kommunismus als den Ursprung allen Uebels anzusehen! Wie man sieht, ein Historiker, der einen kühlen, illusionsfreien Blick bewahrt, der zur nüchternen Prüfung der Quellen und der Tatsachen mahnt, hat die meisten Chancen, zum öffentlichen Aergemis zu werden. Dieses Schicksal aber wurde in Ungarn Julius Szekfü zuteil. Man übersah bei ihm ,'oloß“, daß er nicht von ungefähr auf die immer bedenklicher werdende, tatsächliche Dekadenz der herrschenden Klassen der letzten Jahrhundertwende, auf ihre völlig verfehlte Nationalitätenpolitik, auf den scheindemokratischen, weil einseitig zentralistischen Parlamentarismus und anderseits auf die Dringlichkeit der vielleicht noch möglichen friedlichen Sozialreform und der inneren, seelischen Erneuerung, Selbstbesinnung hinwies. Das Ende der dreißiger Jahre brachte Szekfü zur Ueberzeugung, daß diese Frist nunmehr abgelaufen war. Ungarn wählte damals den anderen Weg, der die bekannten Ergebnisse zeitigte. Mögen die Kommunisten diesen schonungslosen Kritiker ihrer Wegbereiter als den ihren nennen (während sie seine Bücher verbannen .. .); diese zynische Umkehrung der Tatsachen ist für alle ein Grund mehr, mit schlechtem Gewissen vor Szekfüs Bahre zu stehen.

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