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Randhemerkungen zurwoche

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7 + 10 = 17. 25. Oktober 1955: die Frist von 90 Tagen war vorüber, Oesterreich ist wieder frei und souverän. Dieser Tag wurde . auch landauf, landab, gefeiert. In den Theatern, im Rundfunk, in den Schulen. So weit, so gut. Wir alle sind glücklich und freuen uns der wiedergewonnenen Freiheit. Aber da klingen uns ab und zu Stimmen in die Ohren, aus den Zeitungen, aus dem Rundfunk, aus den Schulen, Stimmen, die uns mit dem Brustton der Ueber-zeugung Dinge vormachen wollen, die in Wahrheit ganz, aber schon ganz anders gewesen sind. Stimmen, die uns einreden wollen, dal; wir unsere Freiheit, endlich, nach zehnjähriger Unfreiheit wiedergewonnen hätten. Als hätten die Tage unserer Unfreiheit erst im April 1945 und nicht schon am 11. März 1938 begonnen. Als hätte Oesterreich nicht schon an diesem Tag seine Freiheit — und zwar ganz gründlich — verloren. Als wären Russen und Amerikaner, Engländer und Franzosen in ein souveränes und unabhängiges Oesterreich einmarschiert und noch dazu mit keiner anderen Absicht, als es seiner Souveränifäf und seiner Unabhängigkeit zu berauben. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Oesterreich ist s i e b z e h n Jahre lang unfrei gewesen und durtie in den •rsten sieben Jahren dieser seiner Unfreiheit nicht einmal zu seinem Namen sich bekennen. Und was die darauffolgenden zehn Jahre betrifft, so hätten wir sie niemals durchzumachen brauchen, wären die vorhergegangenen sieben Jahre nicht gewesen ... Vorsicht also, wo solch eine Stimme aufklingt! Sie verfolgt einen ganz bestimmten Zweck. Möglich, dafj sie auch nur unwissend ist und nur das nachredet, was sie einmal irgendwo gehört hat. Aber dann ist sie auch richtigzustellen! Was hiemit geschehen ist.

DER BLINDE „SPIEGEL“. „Eingeweihte“ behaupten, daß der Hamburger „Spiegel“ Deutschlands bestinformierte Zeitschrift sei. Weswegen er offensichtlich auch kopiert wird, um den gleichen Eindruck zu erwecken. In seiner letzten Nummer führt nun der „Spiegel“ seinen höchst erstaunten Wiener Lesern vor, von welcher Qualität seine Informationen sind. Wer den „Spiegel“ kennt, weifj, daß er vor „Antiklerikalismus“ geradezu zerspringt. Diesmal rasen seine Reporter in den Gefilden der österreichischen Kirchenpolifik' herum. Anlaß nach außen hin: Die Neubesetzung der Stelle des Wiener Erzbischofs. Um diese Neubesetzung spielen sich nun angeblich Vorgänge ab, die bestens „bespiegelt“ werden. Freilich begnügt man sich mit Andeutungen. Um so besser haben es nun die Leser, deren Phantasie auf diese Weise reiche Nahrung gegeben ist. Im Mittelpunkt des Kampfes stehen viele böse Intriganten, denen von der Tageszeitung „Neues Oesterreich“, als einem „Sprachrohr der radikalen österreichischen Katholiken“, angeblich sekundiert wird. Wie werden sich manche Redakteure des „Neuen Oesterreich“ über die vom „Spiegel“ vorgenommene Spät- und Fern-faufe freuen. Das „Neue .Oesterreich“ hat nun jede Diskussion über den Nachfolger des Wiener Kardinals als überflüssig erklärt. Man hat dort schon einen Kandidaten. Der es sicher wird. Die anderen, die irgendwo genannt werden, haben keine Aussicht. Uebrigens ist auch der Wiener Vizebürgermeisfer, den man in einem Hohlspiegel gesichtet hat, Anwärter auf den Posten des Kardinals. Oder sollte man sich in Besf-Informiertheit im Namen geirrt haben? Von wem bezieht der „Spiegel“ seine aufregenden Mitteilungen? Beileibe nicht von Feinden der Kirche. Sondern — wie angedeutet wird — von „gemähigten Kreisen“ im katholischen Lager. Daß diese Kreise sehr „mäßig“ in ihrem Wissen sein müssen, ist offenkundig.

DIE INNENPOLITISCHEN SPANNUNGEN IN WESTDEUTSCHLAND nehmen in den letzten Wochen an Heftigkeit zu. Seit dem Sommer sind Streikwellen nicht völlig zur Ruhe gekommen; die Erkrankung Dr. Adenauers, ernster als zunächst zugegeben wurde, und das Zurücktreten des psychisch stark erlebten Drucks aus dem Osten, geben einen breiten Raum frei für innere Auseinandersetzungen. Noch lassen sich die Auswirkungen der Saar-Abstimmung auf die westdeutsche Bevölkerung nicht cbschäfzen: es ist jedoch zu fürchten, dafj dieses Wahlergebnis „für Deutschland und gegen Bonn“ den Auftrieb des Nationalismus begünstigen wird. Das Erscheinen offensiver nationalsozialistischer Literatur und nationalsozialistischer Autoren, wie Rosenberg und anderer, auf der letzten Frankfurter Buchmesse (an defensiver Literatur dieser Art hat es seit 1945 nicht gefehlt), verhängnisvolle Freisprüche von SS-Generalen wie unlängst im Ansbacher Prozeh, wobei Henker freigesprochen wurden, die im April 1945 noch mit Sippenhaftung und Mord gearbeitet haben, mag als Vorzeichen kommender Vorstöße gesehen werden. Ernster jedoch sind Schwächeerscheinungen im demokratischen Lager. Als solche sollen nicht sosehr parteipolitische Aktionen, wie das Ausscheiden des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten aus der Bonner Regierungskoalition, ge-werfef werden, obwohl auch dieses schwer genug in die Waagschale fallen kann, wenn es Dr. Adenauer die absolute Mehrheit kostet, als vielmehr das Cegeneinanderaufmarschieren der großen Interessenverbände. Hier verdient ein Hauptaugenmerk die — wie bereits erwähnt — angekündigte Gründung christlicher Gewerkschaften durch die katholischen Politiker Winkelheide, Even und Voß. Obwohl sich die deutsche evangelische Kirche nachdrücklich gegen diese Bemühungen ausgesprochen hat, obwohl alte katholische Gewerkschafter, wie Arnold und Kaiser, zum Gedanken der Einheitsgewerkschaft stehen, werden diese Bestrebungen vorgetrieben, da offensichtlich starke politische und wirtschaftliche Gruppen dahinterstehen. Zwei Gefahrenmomente werden hier deutlich sichtbar: die. Erweiterung des Spaltes zwischen Protestanten und Katholiken; immer schwerer wird es dem evangelischen Arbeitskreis in der CDU, seine Leute bei der Fahne zu halten. Zum anderen droht, wie bereits in den Debatten um die Steuerung der Hochkonjunktur sichtbar wurde, eine Allianz expansiver Kreise der Großindustrie und des Bankkapifals, die auf rasche Ausweitung des deutschen Einflusses im näheren und ferneren Osten drängen, mit politisch sehr rechts stehenden Kreisen. Oesterreich muh diese Entwicklung mit Sorge beobachten: noch ist es nicht an der Zeit, Alarm zu schlagen. Die nunmehr begonnene Ballung großer wirtschaftlicher Kräfte zur Offensive zunächst zur Eroberung in Deutschland, dann zur Eroberung der Märkte im näheren und weiteren Osten verdient alle Beachtung. Die Versteifung der Beziehungen Bonn—Wien ist nur ein Symptom für den steigenden Druck, den die Bonner Staatsmänner von Seiten des „grofjen Geschäfts“ und seiner politischen Interessenvertretung ausgesetzt sind. Moskau, Peking, Berlin und die Saar berühren dergestalt in ihren Bonner Konfaktanschlüssen direkt und indirekt die Lebensinteressen Oesterreichs, die durch die Erkrankung Eisenhowers ebenso fangiert sind wie durch die Schwächung Frankreichs und die labile innere Situation Italiens. Europa geht also neuen Prüfungen entgegen.

AM GENFER VIERERTREFFEN soll auch über die Belebung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den Ländern des Ostblocks und der freien Welt beraten werden. Zeitweise verlaufet, daß die atlantischen Mächte im Felde der Wirtschaftsbeziehungen den russischen Wünschen einigermaßen entgegenkommen würden, um in anderen Belangen Konzessionen von Moskau zu erhandeln. Dies versprach auch die atlantische Zusammenarbeit zu stärken. Die europäischen Partnerländer der atlantischen Gruppe bezweifeln nämlich, dafj die im COCOM-Abkommen zusammengefaßten Ausfuhrverbote wirksam sind. Ihrer Ansicht nach zeitigen sie mehr Bumerangwirkungen in Westeuropa, ols sie dem russischen Kriegspotential Schaden zufügen. Der Warenaustausch mit Osteuropa bildet nämlich traditionsgemäß einen in manchen Fällen bedeutenden Teil des gesamten Aufjenhandels Westeuropas, und seine Schrumpfung trifft einige westeuropäische Länder empfindlich, jedenfalls mehr als die Vereinigten Staaten. Stellen, die die Einstellung Washingtons zu diesem Problem genau kennen, besagen, dah man dort den rein kommerziellen Warenaustausch mit den Ländern des Ostblocks fördern will, aber die Verbotsliste der COCOM unter den heutigen weltpolitischen Umständen nicht zu kürzen gedenkt. Der Einwand der europäischen Länder, dafj Rußland bis jetzt ziemlich alle industriellen Rohstoffe und Fertigwaren erhalten konnte, die es unbedingt haben wollte, bloß einen weit höheren als den normalen Preis bezahlen und meist auch wegen der zahlreichen Umschiffungen im Schmuggelverkehr eine viel längere Transporfdauer hinnehmen mußfe, wirkt in Washington nichf überzeugend. Ferner erwidert Amerika seinen westeuropäischen Freunden, daß die Ostblockländer nicht einmal die in den zweiseifigen Handelsverträgen niedergelegten Warenmengen beziehen, weil sie nichf genug exportieren können, um die Clearingkonfi im Gleichgewicht zu halten. Wenn also die Verbote gelockert werden sollten, so würden die Länder des Ostblockes dazu übergehen, überhaupt nur strategisch verwertbare Rohstoffe und Fertigwaren zu beziehen, so daß auch dann keine Belebung der gesamten Warenbewegungen erfolgen würde, sondern bloß eine unerwünschte Umschichtung derselben. Unter solchen Umständen sieht Washington keinen Anlaß, an der Genfer Konferenz irgendwelche Lockerungen der Ausfuhrverbote anzubieten oder auch nur sich abringen zu lassen. Es stellt sich nun die Frage, ob ■ die westeuropäischen Partner (und Japan, das dem COCOM-Abkommen ebenfalls angehört) an der Stange gehalfen werden könnten, wenn die Konjunktur nachgeben und Arbeitslosigkeit auftauchen sollte. Amerika würde dann von Fall zu Fall prüfen, ob eine leichte Lockerung des Ausfuhrverbotes aus einem bestimmten Land und für eine bestimmte Menge einer Ware als gerechtfertigt erscheint. Zuständige amerikanische Stellen sollen hierbei die Ansicht vertreten, daß im Falle eines Konjunk-furumschwunges in erster Linie dem Einreißen einer Arbeitslosigkeit in den westeuropäischen Ländern entgegengewirkt werden müßte. Denn von dieser könnte Rußland mehr politischen Nutzen ziehen, als ihm die Ausfuhrverbote militärischen Schaden zufügen.

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