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Elizabeth Bowen garantiert höchstes Lesevergnügen.

Wo immer wir unbewußt empfinden, leben wir." Und wenn wir über die Versionen, unser Leben zu leben, mehr erfahren wollen, dann führt kein Weg an den faszinierenden Studien Elizabeth Bowens vorbei.

1899 in Dublin in gesicherten Verhältnissen geboren, wird sie nach dem frühen Tod ihres Vaters gemeinsam mit der Mutter von der Verwandtschaft in Südengland herum- und abgeschoben. Nach dem Ersten Weltkrieg beginnt sie ein Kunststudium, bricht ab, verschreibt sich der Literatur und der literarischen Bühne in London. Bereits die erste Erzählung erregt Aufsehen, in ihrem Heim trifft sich die Elite der Avantgarde. Dem gekonnt fließenden Wechsel von Innen- und Außenansicht verfallen, präsentiert sich das aus 27 Büchern bestehende Gesamtwerk. Tatsächlich existierende Häuser werden als Vorlagen benutzt, Interieurs dienen als Gleichnisse für das Gefühlsleben ihrer Bewohner. Bowen ist weniger perfektionistisch als Woolf und Murdoch, aber zynischer, und entwickelt trotzdem - voll Humor und verständnisvoller Wärme für die Schwächen ihrer Helden - ihr Pandämonium der englischen Klassengesellschaft. Als letzter Roman Bowens vor Ausbruch des 2. Weltkriegs hat "Kalte Herzen" das brüchig gewordene Gefüge des Großbürgertums zum Thema, den Zerfall bis dahin geltender Normen, die Zerstörung schützender Fassaden.

Frostiges Umfeld

Ein den eigenen Gefühlen misstrauendes kinderloses Ehepaar wird durch eine testamentarische Verfügung gezwungen, die jugendliche Halbschwester des Mannes, Portia, für ein Jahr bei sich aufzunehmen. Die Geschichte setzt im Jänner ein, der klimatisch bedingten Kälte entspricht das frostige Unvermögen, sich mit der unschuldigen und unerfahrenen Sechzehnjährigen auseinander zu setzen. Die Begeisterung Portias für dieses ihr unbekannte Leben, die Gäste - allesamt Männer, die soziale Bindungen aus egozentrischen Gründen pflegen - wird von Anna und Thomas völlig missverstanden. Portias überschwängliche Liebe ängstigt, ihre Naivität provoziert, ihr Hunger nach "Normalität" konfrontiert die Angepassten mit ihrer Lebenslüge.

"Unschuldige sind so rar, dass zwei von ihnen selten aufeinandertreffen. Wenn sie sich treffen, liegen ihre Opfer überall verstreut."

Portia, die mit ihren Eltern auf dem europäischen Kontinent von (billigem) Hotel zu Hotel vagabundierte, weiß nicht, was schicklich ist, wie man sich benimmt, was tatsächlich erwartet wird. Annas junger Freund Eddie, ein von der Gesellschaft wegen seiner Skurrilität geduldeter Außenseiter, wird zum Vertrauten, der versucht, ihr die undurchsichtigen Gesetze des Anstands und der Klasse zu erklären "Sie (Anna) tut die nettesten Dinge aus niederen Beweggründen [...] Seit ich sie kenne, bin ich um einige Grade schlechter geworden." Er verrät Portia ebenso wie die gefühlskalte, sich wegen ihrer Falschheit allerdings schämende Verwandtschaft, die mit bitterem Sarkasmus ihre Einsamkeit bekämpft. Subtile Grausamkeit schützt die Ruhe, die Anna und Thomas weiterhin wünschen. "An angenehmen netten Menschen prallt immer alles ab."

Das überraschende offene Ende lässt dem Leser jede Freiheit, sich mögliche Varianten vorzustellen. Klar ist nur, dass das geradlinig denkende, sich verzweifelt als dazugehörig wünschende Mädchen nach einem aufschlussreichen Sommer alle Beteiligten zu weitreichenden Konsequenzen zwingt.

Jahrzehntelang vergessen scheint Elizabeth Bowen nun in England endlich den Rang einer der führenden Autorinnen des 20. Jahrhunderts einzunehmen. Dass der deutsche Sprachraum dieses Genie fast früher wiederentdeckt hat, liegt mit an den liebevoll ausgestatteten Büchern des Schöffling Verlags und vor allem an der kongenialen Übertragung von Sigrid Ruschmeier, die den sarkastischen Ton, die farbige Vielfalt, die lichtvolle Schärfe der Bowenschen Sprache wunderbar ins Deutsche übersetzt hat.

Kalte Herzen

Roman von Elizabeth Bowen

Deutsche Erstausgabe

Verlag Schöffling&Co, Frankfurt 2004

471 Seiten, geb., e 25,60

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