6630048-1956_32_11.jpg
Digital In Arbeit

Rechenschaftsbericht in Sachen Mozart

Werbung
Werbung
Werbung

Am „idomeneo“ sollt Ihr ihn erkennen. Mozart und seine Entwicklung während der letzten zehn Jähre, der eigentlich dramatischen seines Lebens. Ein herrliches Relief breitet sich aus, aus dem die Figuren nur erst zaghaft hervortreten, noch kaum rebellieren gegen die Gesetze der guten alten seria. Noch gibt es die Rampe, an diie „man“ sich stellt, um die Bra-vouraria zu singen, günstige Gelegenheit, geläufige Kehlen und freilich auch anima zu zeigen. Schuh vertiefte noch seine Regieleistung vom Jänner dieses Jahres. Nun, zehn Jahre hatte auch das Salzburger Festspiel Zeit, sich zu entwickeln, vor allem am Mozartschen Bühnenschaffen zu zeigen, wie tief und echt dieses Werk dem Grund- und Lehrgedanken dieses Festspiels entspricht, ihn eigentlich erst gebiert. '

Ist der Weg, der. Mozart nahm, von „Idomeneo“ des Jahres 17S1 bis hin zur „Zauberflöte“ des Todesjahres, mit den dramme giocosi „Le Nozze di Figaro“ und „Don Giovanni“, dem deutschen Singspiel, „Die Entführung aus dem Serail“ dazwischen, kongruent, im Geistigen und damit im Sinnbildbaften, mit dem Weg der Salzburger Fes-tspiclinszenierungen? Was es bisher, über die letzten Jahre verstreut, an neuen Begegnungen mit diesen Opern in Salzburg gegeben hatte, wird nun in kurzem Zeitraum nebeneinander präsentiert, als Ergebnis der letzten zehn Mozairt-Jahre Salzburgs, als ein großartiger Rechenschaftsbericht, mit dem sich nur noch ein Festspiel messen kann, das von Glyndebourne. Dort, im mittleren England, regiert Carl Ebert, und neben ihm gibt es nur einen Mozart-Regisseur von ähnlichem Wissen um Mozarts geistige Welt in Verbindung mit reicher Erkenntnis aus dem Bemühen um seine lebendige Verwirklichung: Oskar Fritz Schuh. Gleich Ebert stammen auch von ihm, dem Mozart-Regisseur Salzburgs, nicht weniger als vier Inszenierungen. In Glyndebourne führt jetzt schon der Sohn Ebert das Vermächtnis weiter, in Salzburg hat Schuh einen Gegenspieler in Herbert Graf, dem seit einigen Jahren die Felsenreitschule „gehört“, die Schuh einst für die Oper entdeckt hatte. Etwas entscheidend Wichtiges ist in Salzburg noch dazu anders geworden: „Figaro“, zuletzt in deutscher Sprache gegeben, „Giovanni“ und die „Zauberflöte“ waren Furtwänglers unwieder-holbarer musikalischer Konzeption unterworfen. Mit Dimitri Mitropoulos, der Giovanni-Musik geradezu kammermusikalisch nuancierte, Solti, dessen diesjährige „Zauberflöre“ noch aussteht, und Karl Böhm, der nun den italienischen „Figaro“ als ein musikalisches Konversationsstück aus dem Geiste der Sprache interpretierte, die den Geist auch der Musik bestimmt, sind Wandlungen in die Gesamtkonzeption dieser drei Aufführungen gekommen, die mancherlei Probleme mit sich bringen. Am glücklichsten gelang der „F i g a r o“ natürlich, weil er völlig neu gestaltet worden war, der einzige „aktive“ Beitrag des Mozart-Jahres. HteT zeigte Schuh sein ganzes psychologisches Können, keineswegs im Sinne des Stückes von Beaumarchais, den er gleichsam ins Modern-Analytische

übertrug, hauptsächlich erkennbar an der Gestalt de Cherubino, der nicht mehr froh und frech in den Krieg zu ziehen vorgibt, sondern weinerlich sich ins Kissen drückt, wenn Figaro ihm vorgaukelt, was ihn nun bevorsteht. Sondern durchaus im Geiste der Musik, zumal erkennbar an Rezitativ, das niemals zuvor das feimverästelte Spiel so schwerelos getragen hatte. Neu für Salzburg waren Christa Ludwig als Cherubin, die vor allem ein berückend ausdrucksfähige Legate zeigte der sehr jugendliche, dennoch imposante Graf des Dietrich Fischer-Dieskau, und Gskai Czerwenka als Bartolo, ekle großartige Leistung, aus det der Mayrsche Ochs verschmitzt hervorlugte.

„Idomeneo“ und „Giovanni“! Nun, da sie, die viel gemeinsam haben und die soviel trennt, nebeneinander gehört werden, möchte man einmal mehr ihre Schauplätze getauscht sehen. Nun, gerade angesichts der Deutung von Mitropoulos, wirkt der Raum der Felsenreitschule noch unerreichbarer für die Musik, wird ihre dramatische Tiefe noch mehr ein episches Relief, das bei aller zum Teil sehr treffender Anordnung der Regie Herbert Grafs die Menschen Mozarts zurückführt in die Historie, da sie noch Figuren waren. Aber, daß diese Aufführung, in einer kaum anderswo anzutreffenden Besetzung, in die sich Fernando Corena als stämmigpolternder Leporello und Leopold Siraorieau als Bel-kantist erster Ordnung (Ottavio) sehr gut einfügten, eine echte FestspieTattraktion bedeuten, daran ist freilich nicht zu deuteln.

Ganz im Lot des inneren Gleichgewichts erwies sich wieder das Singspiel die „Entführung“, und man freute sich aufrichtig, im räumlich sympathischen, akustisch freilich weniger erfreulichen Landestheater Salzburgs den Lieblingen Mozarts so nahe sein zu können. Schuh ist klug genug, dem harmlosen Spiel sein volles Recht zu lassen, er begnügt sich mit formvollendeter Disposition, dämpft das Laute, macht Kammermusik, aus der Georg Szell, der nun an die Stelle Böhms getreten' ist, allerdings gerne dramatisch ausbricht, aber er tut es im Sirme einer Straffung, daß das Spiel noch lebendiger wirkt. Auch hier ein Wechsel auf der Szene: Rudolf Schock als Beimonte, in der etwas routinierten Geste des stürmischen Liebhabers überzeugender als im lyrischen Schmerz. Daß Schock, wenn man es so ausdrücken will, gleichsam noch eine Helge-Röswaenge-Karriere vor sich hat, bewies wieder sein Idomeneo, eine sängerische Glanzleistung ersten Ranges, Weniger Glück bat Salzburg mit der llia, die nun Hildegard Hille-brecht heißt, in kurzen Wochen, nach-Hilde Güdens Absage die Riesenrolle studiert hat, und. man muß es sagen, zu schwer wirkt, kein echter Gegensatz ist zur Hektra der Goltz. Aber das Problem stellt Mozart, und es ist offenbar heute kaum mehr lösbar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung