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Rechtsstaat im Zwielicht

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Die Justiz als tragende Säule des Staates hat ihre Aura der Unantastbarkeit eingebüßt.

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Die Justiz als tragende Säule des Staates hat ihre Aura der Unantastbarkeit eingebüßt.

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In schroffem Kontrast zur allegorischen Figur der Ju-stitia steht das Bild, das die heimische Justiz zur Zeit abgibt: Die in sich ruhende Frau mit Waage und Schwert in Händen will so gar nicht zu jenem arg gezausten - und dementsprechend unwirsch reagierenden - Wesen passen, das nun seit geraumer Zeit schon für Aufregung in den österreichischen Gazetten sorgt. Die entsprechenden Schlagworte sind bekannt: Kurdenmorde, Mekis-Lingens-Prozeß und - zuletzt vor allem - Briefbomben.

Drei Säulen sind es nach der Lehre Montesquieus von der Gewaltenteilung, auf denen der moderne Staat ruht: Exekutive, Legislative und Judikative. Der dritte Bereich ist vielleicht der sensibelste: An Mißstände in Begierung, Verwaltung und Parlament ist der Bürger gewöhnt; sie sind wohl unvermeidlich gewissermaßen die Kehrseite der demokratischen Medaille. Der Justiz indes haftet die Aura des Unantastbaren an; von ihr wird erwartet, über parteipolitischem Hickhack, Klüngelei und wechselseitigen Abhängigkeiten zu stehen.

Diametral im Gegensatz dazu steht eine von der Politik instrumentalisierte Justiz, eine, die sich von übergeordneten Interessen in Dienst nehmen läßt. Die Vorgänge um die Kurdenmorde bieten exakt dafür deprimierendes Anschauungsmaterial. Daß ein solches Zusammenspiel auch für die Politik kein Buhmes-blatt darstellt, macht die Sache für die Justiz nicht besser. Hier wurde dem - idealisierten -Bild Justitias von den drei genannten Anlaßfällen am deutlichsten Hohn gesprochen.

Demgegenüber nimmt sich die Causa Mekis-Kalal-Lin-gens recht harmlos aus: „Eine unappetitlich schummrjge Bar-Geschichte von drei Männern und einer Blondine”, wie Paul Yvon im „profil” bemerkte. Daß die Angelegenheit nun nochmals - nach den Freisprüchen - verhandelt werden soll, ist aber dennoch geeignet, beim Beobachter zumindest Zweifel zu wecken: Ist es tatsächlich so, wie Wolfgang Fellner in „News” und sinngemäß auch Andreas Unter-berger in der „Presse” mutmaßten, daß „Österreichs Justiz ... den Prozeß ... wiederholt, weil ihr der Freispruch nicht paßt”? (Zitat Fellner). Dazu kommt, daß der Fall die Justiz durch die Person des Staatsanwaltes Wolfgang Mekis ohnedies in besonderer Weise betrifft: nicht obwohl, sondern gerade weil Mekis nur „ein kleiner Fisch in einem ganzen Justiz-Schwarm, den rotes Licht an die Wand des Aquariums lockt”, ist - und daran erinnert, daß „die Kriminal-Chronik ... da ganz andere Kaliber” kennt („profil”).

In der öffentlichen Wahrnehmung wurden beide Komplexe natürlich zuletzt von den neuesten Entwicklungen bei den Briefbomben-Ermittlungen in den Schatten gestellt. Daß Ingenieur P. mittlerweile

- durchaus nicht wider Willen

- zum Medien-Darling avancierte, ist nur eine Facette dieser unheimlich-schillernden Causa. „Ein Kasperltheater” nannte es Helmut Zilk mit altersweiser Ironie, die ihm die zeitliche Distanz zum eigenen schrecklichen Unglück offenbar erlaubt. Man könnte sich der Formulierung bei bloß formaler Betrachtung anschließen, doch die Sache selbst ist dafür wohl zu ernst. Immerhin steht die Aufklärung einer Verbrechensserie zur Disposition, die wie nichts anderes in der Zweiten Bepublik durch breitenwirksame Verunsicherung ebendiese Bepublik zu unterminieren und deren politisches System zu destabilisieren droht.

Man mag gute Gründe haben, diese Bedrohung in den Bepräsentanten des Systems selbst zu sehen. Eine politische Klasse, so werden manche argumentieren, die den Fragen und Sorgen der Bürger nicht gerecht zu werden imstande ist; die in unverantwortlicher Weise bei zentralen Themen (Budget, Währungsunion, Sicherheitspolitik, ...) Verschleierungstaktik betreibe; eine solche Führungsgarnitur bereite den Boden für jene, die mit Gewalt und Haß das System hinwegzufegen trachten.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Freilich muß zweierlei sofort einschränkend hinzugefügt werden: zum einen wird einer allzu billig-populistischen Sichtweise von Politikern („die da oben”) von selbsternannten Volkstribunen in Medien und auch Politik gehörig Vorschub geleistet. Wer aber Politik ausschließlich als machtpolitisches Taktieren wahrnehmen will und deren Vertreter pauschal disqualifiziert, reißt den Graben zwischen Bürgern und Politikern unnötig noch weiter auf und fördert jene Verdrossenheit, die zu bekämpfen er vor-gibt. •

Zum anderen aber können noch so beklagenswerte Mißstände des Systems niemals ein Handeln legitimieren, das das System selbst buchstäblich in die Luft zu sprengen sich anschickt.

Umso wichtiger ist es für die Glaubwürdigkeit des Systems, daß es denen, die es fundamental bedrohen, effizient und entschlossen Paroli bietet. Diese Glaubwürdigkeit ist sein größtes Kapital - geht sie in den Augen der Öffentlichkeit verloren, ist das System im eigentlichen Sinne des Wortes diskreditiert.

Vor diesem Hintergrund hält sich der Unterhaltungswert der zuletzt von Justiz und Exekutive gebotenen Szenen in Grenzen, selbst wenn die überraschenden Wendungen und unglaublichen Verwirrungen einem Boulevard-Dramatiker alle Ehre machten. Auf dem Spiel steht vielmehr der Bechtsstaat, der, wenn er sich nicht zu schützen weiß, jenen in die Hände spielt, die ihn erst gar nicht für schützenswert erachten.

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