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Rede an die tänger

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DA GIBT ES diese seltsamen Menschen unter uns, die nicht auf ihre Leistung achten; mit allem, was sie tun, sind sie eifrig — aber ohne Absicht ist ihr Werk: sie spielen.

Darin gehen sie auf: sinnvoll zu sein, zu leben und zu handeln, ohne einen Zweck zu verfolgen.

Sie machen keine Geschäfte, aber sie schaffen nahe an Gott in dessen sechs Schöpfungstagen — schöpfen die Welt aus, um des siebenten Tages, um der göttlichen Ruhe willen.

Nicht um die Welt zu beschreiben sind sie Könnende — um sie zu verklären, sind sie gesandt.

Alles ist ihnen Symbol — nichts ist einschichtig und nur für sich; jedes Ding und Geschehnis weist mit sich hinaus ins Unsichtbare, um es hereinzuholen in unsere Welt.

Sie sammeln keine Pänomene zu großen Haufen in Summen; sie tun immer und in jedem einzelnen das Ganze.

Seele und Ich gelten ihnen wenig, denn sie suchen das Universale: das eine, auf das alles sich hinwenden läßt, um lebendig zu sein, durchsichtig und schön. Der Kosmos ist ihre Grenze — Nachbarschaft Gottes im All.

Alle Erlebnisse sind um des Lebens willen.

Das sind Künstler — Seltsame unter uns, denen die ganze Schöpfung Spiel ist, Spiegel, Teppich und Fenster . . .

Spieler sind sie: Mit großem, mit heiligem Ernst arbeiten sie ohne Absicht. Sie spielen: nach genauen Regeln, gekonnten Regeln, die sie wählten und einhalten; ohne Falsch; und ohne das Spiel zu verderben.

TÄNZER! Ihr’ Verfünkfenes i’ euch selbst;’ ganz bei euch und allein, fast’ ohne Anschaün. fast ohne Oeffentlichkeit. als gäbe es keinen anderen und nichts mehr als euch.

Und doch ist alles, was ihr tut, ins An- schaun gewendet — sei es Gestalt und Gehalt oder sei es Ausdruck aus innen. Tänzer, ihr Spielende nach genauen Regeln der Choreographie. So wie für den Priester der Ritus, nach dem er die Zeremonien des Gottesdienstes zu feiern hat, so ist für euch das Gesetz des Meisters: Die Spielregeln einer geheimen Liturgie müßt ihr einhalten, so wie der Priester.

Als Spielende seid ihr Kinder; nur Kinder verstehen noch diese Urliturgie des Menschseins. Ihr seid Kinder der Natur: Von euch selbst,- vom Ich abgelenkt, wollt ihr nichts als das Anschaün ohne Absicht. Und kommt dann der Applaus, diese Verführung zum Ruhm, dann sollt ihr aufwachen wie Kinder, die man des Spieles wegen lobt: ein wenig geniert, wie überrascht im Heiligtum, beschämt von Zudringlichkeit.

Spielende Kinder seid ihr in der Freude an der Bewegung. In den Betrachtungen über das Marionettentheater hat Kleist die Schule der Bewegung gedeutet: Zuerst bewegt sich der Mensch im naiven, unkontrollierten Charme des Körpers. Die Bewegungen sind richtig, weil sie gewachsen sind; sie sind schön. — Wer will dieses Kinderspiel des Charmes nachahmen? Niemals wird es gelingen, bewußt so schön zu sein wie im unreflektierten Tun. Eine lange, bange Schule braucht der Mensch, um seinen Körper so bewegen zu lernen.’daß er wieder natürlich wird. Man muß jenseits des Wissens um Hand und Fuß und Raum und Schritt wieder anlangen: hinaussteigen und übersteigen muß man durch hartes, beharrliches Lieben — bis in die sammelnde Seele des Körpers. — So sind es drej Bewegungen: die natürliche, die reflektierte und die transzendierte . .. Ist das nicht genau so beim Gebet?

Als Kind fängt man von selbst richtig an: Man weiß, wo Gott wohnt, wie Gott ist und was Er tut. Man spürt Ihn, den großen „Vater unser". — Später wird man bewußt; in bewußter Führung und bewußtem Gehen haben wir das Bekenntnis zu einem Gott, die Konfession. Hier ist die gleiche Gefahr wie beim bewußten Tanzschreiten: Viele Beter kommen nie über diese Gefahr hinüber, sie bleiben stecken in sich selbst und finden die natürliche Seele des Gebetes nicht mehr, die sie einst hatten, und finden die geistige Seele nicht, die sie erreichen sollen. Erst wer — beim Tanz wie beim Gebet — so sehr weiß, was man tanzt und was man betet, daß das Wissen „vergessen" wird — der ist Tänzer, der ist Beter.

DAS IST DIE FREUDE des Beters: aus dem Wörtlichen heraus, über das Bewußte hinweg, in die Stille des Gottes der Stille gelangt zu sein.

Ihr Tänzer — so seid auch ihr! Um des Gottes willen betet der Beter; um des Tanzes willen tanzt der Tänzer: Die Ruhe in der Bewegung sichtbar, spürbar, greifbar zu machen, ist euer Jubel und Ruhm. Wir, die euch zuschaun, wollen im Grunde nicht dieses Hin und Her und Auf und Alf, die viele Bewegung geübten Könnens. Wir wollen das, was dazwischenliegt und aus euch in uns überspringt, schauen: die Ruhe — so wie der Beter die Stille Gottes erfahren und erleben will.

Ist das nicht doch das Gegenteil von dem, was ihr immer tut, übt und ersehnt, ihr Tänzer? Hat nicht das kleine Negermädchen recht, wenn es nicht in den Himmel Christi will, weil dort die „ewige Ruhe“ sei und sie doch „die Füße voll Tanz" hat? Was macht-sie dort mit: diesen Füßen Völl Tanz? Ewige Rühe und ewiges Bewegtsein — das ist in Gott das gleiche, und von allen Künstlern kann uns der Tänzer solches Paradox am ehesten deutend zeigen, daß es ist. Der Tänzer macht die bewegte Ruhe sichtbar — wie der Beter die tönende Stille Gottes erfährt.

Ihr seid Lehrer der Freude! Garanten einer unerhörten Hoffnung für die Menschen und für die Beter: In eurem Tun beginnt das anscheinend Unmögliche, das Unwahrscheinliche in Bild und Gleichnis wirklich zu werden.

ES IST SCHWER, sehr schwer, in einer Welt zu leben, die dem Gesetz der Schwerkraft unterworfen is Ihr Tänzer müßt in allem Drehen und Wenden, in Sprung und Spitze den eigenen Körper überlisten. Ihr möchtet die Schwerkraft überwinden; ihr möchtet schwere Materie verklären. Zarathustra, der alte Könner, hat in seinem Tanzlied den Mädchen es verraten, die bei seinem Herannahen Stillständen: „Laßt vom Tanz nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber kam zu euch mit bösem Blick. Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel; der aber ist der Geist der Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? .. . Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhöchsten, großmächtigen Teufel, von dem sie sagen, daß er ,der Herr der Weit’ sei!“ — Denn der Teufel sitzt in der Schwere; teuflisch-besessen ist die Materie vom .Geist der Schwere’, wenn sie sich nicht verklären und erlösen läßt, wenn sie nicht vom Heiligen Geiste vergeistigt sich hinübertragen läßt in das verheißene zweite, das himmlische Jerusalem.

„Schwer heißt dem Menschen Erde und Leben“ — so singt Zarathustra — „und so will es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muß sich selber lieben: — also lehre ich . . . Man muß sich selber lieben mit einer heilen und gesunden Liebe: daß man es bei sich selbst aushalte und nicht umherschweife."

Seht, Tänzer, das sollt ihr vor uns tanzen: die Ueberwindung der Schwere; die Ueberwin- dung des Geistes der Schwere; die Ueberwin- dung des Teufels, der hinabzieht ins unbewegte Leben ohne Stille, ohne Ruhe.

Seht, Tänzer, das wollen wir von euch lernen: daß ihr es bei euch selbst aushaltet, das wollen wir lernen — denn tanzend seid ihr Versunkene in euch selbst, die nicht fliehen können; ihr seid freudetrunken an eurer eigenen Bewegung — verklärend die Materie eures Leibes; überwindend die Schwerkraft; auf zeigend zum Anschaün die gestillte Ruhe in jeder Bewegung.

Und dazu wieder Zarathustra: „Wer einst fliegen lernen will, der muß erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen — man erfliegt das Fliegen nicht!“ Der Tanz ist die größte, die heilste Bewegung vor dem Fliegen. Sehnsucht nach dem Fliegen aber ist, Sehnsucht aus dem Schweren hinweg ins Geistige zu gelangen; nicht um die Materie zu leugnen, sondern um sie mitzunehmen in die geistige Welt — sie zu verklären, damit sie dem Geiste dienend untertan sei, ohne den Geist zu behindern.

TÄNZER, nach eurem Können kommt nur noch das Fliegen. Die Lust der Luft, des atmenden Raumes, des Ueberschreitens aller Zwischenräume, ungehemmt. Darum ist rings um eure Bewegung die klingende Luft, der tönende Raum, die Musik. Der geformte Atem, der symphonische Hauch begleitet euren Tanz — diese Vorstufe zum Hinausflug und zum Geist. Musik um euch: Disziplin und Freiheit; Mathematik und Klang.

OH, SO IST der Heilige Geist, das Pneuma; der Hauch, der Atem in der Dreieinigkeit Gottes. Atem, der. den Vater und den Sohn verbindet; jauchzende Liebe zwischen dem Ersten und dem Anderen in der Gottheit — das ist der Dritte in der heiligsten Dreieinigkeit, der Heilige Geist.

Den Vater können wir uns vorstellen: denn wir kennen Vaterschaft auf Erden. Den Sohn können wir uns vorstellen, denn Er wurde Mensch, lebte und starb wie ein Mensch. Aber vom Heiligen Geiste verstehen wir nichts. Von Ihm haben wir nur Bilder und Gleichnisse.

Erstes Bild des Heiligen Geistes: die Taube. — In solcher Gestalt ließ Er sich auf den Christus herab, als dieser im Jordan sich taufen ließ. Die Taube ist das Tier des Liebesspieles, des spielenden Tanzschrittes um ein anderes Tier: sie erfliegen einander, sie er- tanzen einander; um der Liebe willen, um der Fruchtbarkeit willen spielen sie Spiele, tanzen sie ihre Tänze: So ist der Heilige Geist: er ist das Liebesspiel der Gottheit. Er ist der Tanz der Ewigkeit zwischen Vater und Sohn; Er ist der ewige Flug, der fruchtbare Liebesflug zwischen beiden . ..

Das zweite Bild: der Wind. — Der große, unsichtbare Tänzer, der alle einhüllt und alles durchdringt. Er tanzt als leises Säuseln in den Blättern der Bäume, tanzt mit den Blumen auf den Wiesen und den Aehren auf goldenen Feldern. Die Vögel sind wie sichtbar gewordener Wind und wie sie tanzen! Wind tanzt wild im Sturm und reinigt mit Leidenschaft. S o ist der Heilige Geist: überall und unsichtbar, alles durchdringend; innen in den Herzen und im Geist; außen im All überall; fegend und reinigend, gebraucht und immer im Ueberfluß da . . .

Das dritte Bild: das Wasser. — Aus der Erde tanzt das Wasser hervor als kleine, plätschernde Quelle; Wasser spielt mit den Steinen und Felsen im Bach und Fluß und Strom; Wasser spielt im Meere — ob als kleines schwingendes, schwankendes Wellengekräusel oder als sturmgepeitschter Orkan aufbrausend, wild, verzehrend. In leiser und lauter Gewalt tanzt das Wasser an Ufern und mit sich selbst. S o ist der Heilige Geist: quellend, sanft und hart und lebendig und klar und reinigend und belebend — ein Tanz durch die Menschen, ein Tanz in der Gottheit, ein gewaltiger Tänzer mit sich selbst…

Das vierte Bild: die feurigen Zungen vom ersten Pfingstfest. — O Tanzjubel des Feuers! Im abendlichen Kamin, um den wir sitzen und träumen, nimmt — wie beim Kriegsrat der wissenden Indianer — das Feuer die Leidenschaften von uns: es beruhigt; es reinigt die Atmosphäre; es besänftigt; es macht friedvoll. Behütetes Feuer macht still. Aber wenn es wild auflodert, ungehemmt sich ausbreitet, alles verzehrt, alles aufbraucht im Brand, o wie es tanzt um sich selbst! Wie es leuchtet! Wie es wärmt! Wie es alles sichtbar macht, was in seinem Umkreis ist. S o ist der Heilige Geist: der Feuertanz der Gottheit, der auf diese Erde kam, und was soll er anderes als daß er brenne und alles in Brand stecke mit sich selbst, daß wir auf- leuchtend in den Lichttanz der Ewigkeit ge- langen — denn „Gott ist Licht!"

TAUBE UND WIND, Wasser und Feuer — ihr Tänzer, das sind die Bilder vom Heiligen Geiste. In allen ist Tanz. Und wenn ihr tanzet, sehen 1 wir diese Bilder, die in den Heiligen Büchern nur i Worte sind. Dort verstehen wir Begriffe; hier, in eurem Tanz, schauen wir lebendige, gestaltete Bilder und — ahnen den Heiligen Geist. Denn j ihr tanzt wie die Tauben, ihr tanzt w i e der Wind und w i e das Wasser tanzt ihr und wie das Feuer! Uns wurde geoffenbart, daß der Heilige Geist ist wie Taube und Wind, wie Was- ser und Feuer. . . Ihr steht für Ihn, Tänzer! und j Er steht in euch! Wie brauchen wir euch, ihr Tänzer, um zu verstehen, wie es mit dem unbekannten, mit dem unverständlichen Gottgeist Christi und des himmlischen Vaters , bestellt ist: wie Er ist und wie Er tut.

Ihr könnt uns leibhafte Vorstellung geben von c dem, wohin wir berufen sind, wir Christen- c menschen — berufen durch den Geist Christi in r den Tanz der Ewigkeit, in den Tanz des dreieinigen Gottes hinein.

Ach, wenn wir euch sehen und darin t den Geist Gottes schauen, braucht das f kleine Negermädchen keine Angst vor der Ewig- j. keit zu haben. Es ist nicht langweilig für deine i kleinen „Füße voll Tanz“: In Gott ist die Hei- . mat des Tanzes; Gottes Geheimnis ist deutbar am Tanz. Tanzet, ihr Tänzer, tanzet und lehret uns Gottes Geheimnis ahnen.

NICHTS IST ohne Hebung. Lange Jahre, r mühsame. Zeiten, viele Stunden Tag um Tag braucht die Einübung ins Tanzen. Einübung ist e Askese.

Ihr übt euch ein, Tänzer, in die B e w e g u n g, c in den Rhythmus, in die Richtung.

In die Bewegung: Damit eure Kraft in die Regeln des tänzerischen Könnens geformt werde. In den Rhythmus: damit ihr mit Bewegung und Kraft die Zeit einfanget. In die Richtung: damit Bewegung und Rhythmus den Raum erobern. In Kraft, Zeit und Raum hinein sollt ihr die Verklärung tragen — mit Bewegung, mit Rhythmus und mit Richtung müßt ihr sie euch untertan machen: lange, langsam und in harter Geduld euch einübend in sie.

Ist nicht eure Hebung das gleiche wie die Askese des religiösen Menschen? Der Beter übt sich in die Kraft Gottes ein — in die Liebe. Lange und langsam und voller Mühe.

Der Beter übt sich in die Zeit ein — nur im Rhythmus des Betens gewinnt er die Stille.

Der Beter übt sich in den Raum ein: die Weite, die Grenzenlosigkeit, der unergründliche Raum, der allseitige Raum, die Leere von allem einzelnen — ist Gott selbst.

Der Beter muß die Liebe lernen — die Kraft Gottes; er muß diese Stille lernen — den Rhythmus der Zeitlichkeit; er muß die Allgegenwart des göttlichen Lebens erlernen — den unendlichen Raum, in den der Beter berufen ist…

So geht die große Prozession der Hebenden, der Asketen, in den Jüngsten Tag aus Jem Jetzt jeden Augenblicks.

TÄNZER, ihr spielenden Kinder, ihr Kinder mit der Freude an der Bewegung. Lehrt uns die Freude, damit wir Hoffnung haben, den Geist der Schwere zu überwinden. Lehrt uns die Stufe vor dem Fliegen — den Hauch der Musik und den Hauch des Heiligen Geistes!

Unter lauter Geschäftigen wollt ihr spielen. Unter Betriebsamen wollt ihr feiern. Unter lauter Schwerfälligen wollt ihr fliegen. Unter all den Flüchtigen wollt ihr es bei euch selbst aushalten. Unter lauter Gelangweilten wollt ihr lange weilen in Ruhe und Stille. Immer seid ihr jene, die schon die sechs Arbeitstage des Schöpfers hinter sich haben. Mit dem großen Tanzsprung kommt ihr auf die Bühne und wagt es, vom Ende der Welt, von der verheißenen Verklärung her das Ganze uns sichtbar zu machen. Tänzer, wir brauchen euch, wenn wir Gott erlernen wollen: an euch sehen wir, was es heißt, ein Geschöpf zu sein und einen Gott zu verehren, der im siebenten Tag ruht: Ihr seid die Zeugen des göttlichen Müßigganges im ewigen Tag …

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