Reinhard Kaiser-Mühlecker - © Foto: APA / dpa / Arne Dedert

Reinhard Kaiser-Mühlecker: „Wilderer“

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Reinhard Kaiser-Mühleckers neuer Roman „Wilderer“ ist erneut im oft archaisch anmutenden Milieu der österreichischen Provinz angesiedelt. Er bietet ein Wiedersehen mit Jakob Fischer, dem (Anti-)Helden aus „Fremde Seele, dunkler Wald“.

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Reinhard Kaiser-Mühleckers neuer Roman „Wilderer“ ist erneut im oft archaisch anmutenden Milieu der österreichischen Provinz angesiedelt. Er bietet ein Wiedersehen mit Jakob Fischer, dem (Anti-)Helden aus „Fremde Seele, dunkler Wald“.

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Er hält das Metall gegen seine Schläfe und drückt ab: nur ein leeres Geräusch. Seit Jahr und Tag. Als „falle bei einem Würfel (…) niemals die Zahl, auf die man wartete“. Nein, seine Stunde ist noch nicht gekommen. Das Schicksal hält noch viel bereit für Jakob Fischer, die ­Hauptfigur in Reinhold Kaiser-Mühleckers neuem ­Roman „Wilderer“.

Seit Jugendtagen führt Jakob den Hof der Familie, im Haus leben drei Generationen. Das Anwesen liegt unterhalb einer Autobahnbrücke, irgendwo im oberösterreichischen Alpenvorland. Jakob Fischer ist kein Neuer im literarischen Kosmos des vielfach ausgezeichneten Autors. Er und sein älterer Bruder Alexander haben schon im Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“ (2016) ihren Auftritt: Alexander entzieht sich der bäuerlichen Welt, zuerst als Mann der Kirche, dann als UNO-Soldat, schließlich als Ministerialbeamter. Jakob hingegen reiht sich nahtlos in jene Linie Kaiser-Mühlecker’scher Helden, die an den Brüchen und Bürden ihres archaischen Milieus zu zerbrechen drohen: am landwirtschaftlichen Strukturwandel, am Fluch alter Familiengeschichten, am Generationenkonflikt. Die Großmutter der Brüder erbt und hortet das ominöse Vermögen ihres Mannes („Judengeld“); nichts ­davon fließt in den Hof. Der Vater ist ein Hasardeur, sein Glücksrittertum erzwingt den Abverkauf von Ackerland und Vieh.

Göttliche Fügung

Der Roman „Wilderer“ knüpft an diese Vorgeschichte an. Das Verhältnis zwischen den Brüdern ist abgekühlt, Alexander nimmt nur eine Nebenrolle ein. Wie er hat auch Halbschwester Luisa einst das Weite gesucht; sie kehrt nun sporadisch zurück, nervt und unterminiert das Gefüge, das keines ist. Im Zentrum der Geschichte steht Jakob. Er wähnt sich als „Unter­geher“, als Versager, und meidet die Dorfgemeinschaft. Den abgewirtschafteten Hof führt er ohne Perspektive, ohne familiären Halt: „Kein Geisterhaus, aber zwischen den einzelnen Wesen gab es irgendwie keine Verbindung, oder nur eine, die immer neu hergestellt werden musste, und immer über etwas Drittes, und meistens über Dinge.“ Jakob fühlt sich ans „Fenster des Daseins“ verbannt; hier sitzt er und wartet, „ohne gegen sein Schicksal aufzubegehren“. Denn Jakob glaubt an göttliche Fügung, und nicht an „Mindset“: Dieses Wort hört er häufig im Radio, „und dass man das verändern konnte, wenn man daran arbeitete“.

Jakobs Fatalismus wird noch befeuert durch etwas anderes, gegen das selbst der stärkste Wille nicht ankäme. Eine dämonische Kraft in den Tiefen seiner Natur, eindrucksvoll versinnbildlicht am Leitmotiv des Wilderns. Der Hofhund tut es, einmal von der Kette gelassen; die Otter und Graureiher am Fischteich tun es. Und auch der Mensch.

In dieses umfassende Dunkel fällt plötzlich ein Hoffnungsschimmer. Katja, eine Künstlerin, gerät durch ein Stipendium ins Dorf, und durch eine Sinnkrise auf Jakobs Hof. Der wehrt ihre Hilfsangebote und Annäherungsversuche zunächst ab: „Keine legt mich je wieder aufs Kreuz.“ Doch sehr bald arbeitet diese „Anpackerin“ nicht nur mit im Stall, zuverlässig und beständig, sondern „wildert“ auch in Jakobs Leben herum. Verliebt ist er nicht in sie, aber er lernt Katja lieben. An der Seite dieser Frau glückt einfach alles. Die beiden ziehen einen florierenden Biobetrieb hoch, heiraten, bekommen einen Sohn. Und Fortuna bleibt ihnen gewogen. „Sein Selbstbild stimmte nicht mehr mit den Fakten überein.“ Bis, ja bis alles eine ganz andere Wendung nimmt. Der Großvater hatte gut reden: „Die Liebe geht (…), die Hektar bleiben.“ Die Zeiten haben sich geändert. Und Jakobs Nachtseite, jenes namenlose Wilde, so Mächtige in ihm bahnt sich wieder seinen Weg.

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