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Reise durch das Elsaß

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Ein Glodsenturm bei der Porte de Cham-perret sendet an hohen Festtagen sein Licht leuchtfeuergleich über die Dächer von Paris. Er ist mit seinen 72 Metern der höchste von Paris und gehört zu einer der heiligen Ottilie, der Landespatronin des Elsaß, geweihten Kirche, die Pierre l'Ermite (Mgr. Loutil) in den Jahren 1936 bis 1938 zum Dank für die Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit Frankreich gebaut hat. Noch war sie nicht geweiht und schon marschierten die Deutschen abermals ins Vogesenland ein. Erst Ende 1946 wurde sie dem Dienste Gottes übergeben. Die aus rosenrotem Backstein aufgeführte, mit schönen Fenstern geschmückte Kirche soll das sakrale Dokument der Verbundenheit des Elsaß mit Frankreich sein. Die leidenschaftliche Teilnahme des Elsaß an der großen Revolution und die beharrliche Resistenz zu Zeiten deutscher Herrschaft sind ihr weltlicher Ausdruck, Dazu kann man in Paris kaum einen Schritt tun, ohne auf banale Zeugnisse der Zusammengehörigkeit zu stoßen. Und doch: Kommt man von einer Reise durch das Elsaß nach Paris zurück, so hat man Rede und Antwort auf die, so scheint's, von Zweifeln eingegebene Frage zu stehen: Wie ist dort die Stimmung? Umgekehrt stößt man im Elsaß auf eine überbetonte Absage an die deutsdie Vergangenheit. Daß Frankreich im Elsaß sein Fleisch und Blut erkennt, weiß alle Welt. Daß die Deutschen um das Land trauern, ist anzunehmen ...

Im Elsaß steht das der Landeshciligen geweihte Gotteshaus auf dem das Land weithin beherrschenden Ottilienberg, der seit jeher die Blicke der Eroberer, die Aufmerksamkeit der Verteidiger, das Auge der schönheitsdurstigen Menschen, das Interesse der Forscher und den frommen Sinn der Christen auf sich gezogen hat. Ein noch nicht enträseltes Zyklopenwerk, die Heidenmauer, umgürtet den Gipfel. Hier und dort Spuren des römischen Altilona, hier und dort Spuren der Hohenburg, aus der die blindgeborene und dann sehendgewordene Tochter des Herzogs Adalrich das heute wieder bestehende Kloster gemacht hat. Hieher wallen in der Pfingstzeit Tausende elrassischer Pjlger. „Ja, der Elsaß ist katholisch“, wird uns erklärt. Wir werden daran erinnert, daß das Land auch während der Reformation größtenteils katholisch geblieben ist und nicht viel unter Religionskriegen gelitten hat. Die Fortsetzung dieser Betrachtung lautete: „Wir sind französische Katholiken. Wenn es nur keinen Combes gegeben hätte! Der Laizismus ist nichts für elsässische Mensdien.“ De Gaulle hat 1944 gegen den Willen der Amerikaner Straßburg verteidigt und damit vor Zerstörung bewahrt. Aber nicht nur dieser Titel macht ihn den Elsässern teuer, sondern auch seine katholische Seele. Dazu ist er Lothringer, also in einem gewissen Sinne Leidensgefährte aus der Zeit der Reichslande.

Wie ein Vorgebirge springt der Fels des Ottilienberges über die Höhen und Kämme der Vogesen hinaus. Man schaut in die Tiefe: sonnendurchglühte Rebengelände und fruchtschwere Felder. Welch von Gott gesegnetes Land! Welch von den Menschen gemartertes Land! — Der Rhein zieht sein silbernes Band durchs breite Tal. Jenseits dunkeln die Forste des Schwarzwaldes und in weiter Ferne, nur an wenigen Tagen erkennbar, versdiwimmen die königlichen Gipfel der Alpen. Man mächte, wenn man in diesem von Natur und Kunst reidi-bedachten Land weilt, an Krieg und Zerstörung gar nicht mehr denken, aber zu dicht stehen hier die Zeugnisse unerhörter Schaffenskraft und die der Vernichtung beieinander. Kirchturmspitzen sonder Zahl verraten die Lage unsichtbarer Ortschaften, die sich in Tälern und Tälchen verbergen. Und immer wieder Ruinen von Wällen, Kasematten und Kasernen aus allen Jahrhunderten. Dazwisdien die Weinberge und prangenden Fluren. Um Bar, das die alten Ruine'n von Landsberg, Andlau und Speß-burg umkränzen, reifte di« Rebe einer gotrgesegneten Lese entgegen. Das tat sie auch um Ammerschwihr. Hier aber ist der uralte Ort wie ausgelöscht. Er hat elf Jahrhunderte überdauert. Dann aber, am 7. Dezember 1944, begannen die Sturmglocken zu läuten, tagelang, wochenlang und verstummten erst, als die Türme in sich zusammensanken. Die alten Gassen sind verschüttet, der Renaissancebau des Rathauses, die um 1500 gebaute Kirche, das einst sehenswerte „Koifhus“, der Schelmenturm mit dem Wappen des heiligen Reiches, die Reste von Befestigungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert bilden nun einen Schutthaufen, eine Ruine Aber auch aus diesen Ruinen blüht schon neues Leben. Welcher Elsässer legte je die Hände.in den Schoß! Sein rheinländischer Frohsinn überwindet Schmerz und Elend.

Man verläßt die Stätten der Verwüstung und steht inmitten der Herrlichkeiten von Kol mar. Sie haben den einzigartigen Rahmen des ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Dam'nikanerinnenklosters von Unterlinden gefanden. „Hansi“ macht den Füh-er. Wer die leidvolle Ära der wilhelminischen Statthalter und dje noch sdimerz-lichere Zeit der hitlerisdien Gauleiter, im Gedächtnis behalten hat, der hat in Hansi die Inkarnation der elsässischen Resistenz gesehen, die nicht erst in diesem Krieg, sondern sdion im, Jahre 1871 geboren worden war. Oberstleutnant Nicolai, der deutsche Nachrichtenchef des ersten Weltkrieges, hat erzählt, daß sich unter den in den letzten sieben Jahren vor dem Weltkrieg von bürgerlichen Gerichten wegen Staatsverbrechen im Deutschen Reich verurteilten 135 Personen 107 Deutsche, hie-von 32 Elsaß-Lothringer befanden. Von 1914 bis 1917 wurden von diesen Gerichten in Deutsdiland 273 Personen, davon 189 Deutsdie und unter diesen 65 Elsaß-Lothringer des Landes- oder Kriegsverrates überführt. Die Zahl der von den militärischen Gerichten Verurteilten sei „beschämend“ hoch gewesen. Sie wie die der Blutopfer nationalsozialistischer Justiz ist unbekannt geblieben. Die diesjährige Ausstellung der Resistenz in Straßburg bot unvollständige, aber beachtenswerte Daten.

Dann steht man vor dem Straßburger Münster. Zutiefst bewegt von dem jahrhundertelangen Kampf, der das Gotteshaus umtobt hat, erhoben von der klaren und eindringlichen Sprache dieses steingewordenen „Gloria in excelsis Deo“ fragt man sich gerade hier, was geworden wäre, wenn.es nicht zur Teilung des Reiches Karls des Großen gekommen wäre. Karl der Große wird von den Franzosen als Erneuerer des weströmischen Reiches und Bannerträger der Idee eines staatlichgeeinten Christentums und damit als ihr König und Kaiser angesehen. Die Deutschen haben Karl den Großen allezeit als ihren großen nationalen Herrscher für sich in Anspruch genommen. Tatsächlich geht die Scheidung der Nationen und die Herausbildung zweier gegensätzlicher Staatsideen auf die Söhne seines Nachfolgers, Ludwigs des Frommen, zurück. Als Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche sich wider den an der Einheit des Reiches festhaltenden Lothar verbündeten, war es kein Bürgerkrieg mehr, sondern sdion ein Krieg der Völker. Der „Straßburger Eid“, der dem Bündnis zugrunde lag, war das erste Dokument französischer Geschichte in romanischer (und altdeutscher) Sprache. Der Vertrag von Verdun schuf dann das Deutschland Ludwigs, das westlich der Rhone gelegene Rest-Gallien Karls und dazwischen, von der Nordsee bis ank die Tore Italiens reichend, das Gebiet Lothars, das von Deutschland und Gallien begehrt wurde und Gallien die Rheingrenze nahm. Hier der Ursprung aller Kriege zwischen Frankreich und Deutschland, hier auch der Ursprung des jahrhundertealten elsässischen Martyriums. Vor dem Portal des Straßburger Münsters steht man also auf Schicksalsbcdcn.

Der Freund, der uns begleitet, erinnert daran, daß dem ersten deutschen König nach dem Interregnum, Rudolf von Habsburg, noch vor seiner Wahl im Portal des Münsters neben Chlodwig' und Dagobert ein Reiterstandbild „zum Zeichen ewiger Dankbarkeit“ der Stadt gesetzt worden sei. Wenn er in Frankfurt zum Richter auf Erden bestellt worden sei, so habe er seine Wahl nicht zum geringsten Teile seinem und seiner Ahnen Wirken als Landgrafen im Elsaß zu danken gehabt.

Das Münster hat während der Belagerung Straßburgs im Jahre 1870, namentlich am 23. August, Schaden genommen. Und wieder wurde im zweiten Weltkrieg der August der Stadt zum Sdiicksalsmonat. Beim Luftbombardement am 11. August wurden Vierungsturm und Kuppel getroffen und zwei Gewölbe des nördlichen Seitenschiffes aufgerissen. Schwere Schäden, doch keine, die sich nicht beheben ließen. Ärger hat der Luftkrieg dem herrlichen Chateau des Rohan mitgespielt, das solange der Sitz des Eürstbisdtofs von Straßburg war und seit 1898 die städtischen Museen barg. In diesem Schloß hat manche Braut ihre erste Nacht auf französischem Boden verbracht. So die Prinzessin Maria Josepha von Sachsen, die dem Dauphin, dem Sohne Ludwigs XV., verlobt war, und v.om 7. auf den 8. Mai 1770 die Erzherzogin Maria Antoinette, die die Gemahlin Ludwigs XVI. werden sollte. Wenige Jahre später weilte Cagliostro in den Mauern des Schlosses, dann ward es Kulisse für die Halsbandaffäre. Und noch eine Erzherzogin sollte hier ausruhen, ehe sie ihrem Gemahl begegnete. Marie Luise, die wenige Tage später Napoleon I. die Hand reichte.

Ein Empfang im Kammerzell-Haus, dem schönsten Holzhaus von Straßburg, ruft in die Gegenwart zurück. Es wird der „Wein der Resistenz“ kredenzt. In den Weinbergen an den Hängen der Vogesen wimmelte es in den Jahren 1943/44 von Deserteuren und Maquisards. Wer hätte es gewagt, Hinzer herbeizurufen? Da übernahmen es die Resistenzler, zu lesen und zu keltern, und siehe da, es wurde ein Wein, dem nicht nur die vulkanische Erde und die sengende Sonne, sondern auch die geschichtliche Erinnerung die Blume des „Weines der Resistenz“ gegeben hat. Bei funkelndem Wein in uralten Römern wird dann von jahrhundertelangen Kämpfen gesprochen. Man erinnert uns an die Verse, die sdion im Sesenheimer Liederbudi von 1771 verzeichnet sind: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt, darinnen liegt begraben so mannicher Soldat.“

Das Kammerzell-Haus und das Chäteau des Rohan symbolisieren den Elsaß. Wenige Schritte von den deutsdien Burgen und deutschen Heimen des ausklingenden Mittelalters steht das graziös-liebenswürdige Frankreich des 18. Jahrhunderts.

Der Gedanke kommt einem in den Sinn, daß gerade der Elsaß berufen wäre, Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland zu sein. Diese Absicht liegt offenbar den kulturellen Veranstaltungen zugrunde, an denen das heurige Jahr so reich war. Immer wieder wird auch betont, daß die Salzburger Festspiele in Straßburg ihre Parallele finden sollen.

Straßburg wußte viele Künstler zu gewinnen — Otto Rlemperer, Charles und Fritz Münch, Edwin Fischer, Georges Enesco, Jehudi Menuhin, um nur ein paar der größten zu nennen. Es ist ehrenvoll für Salzburg, daß es Vorbild für Straßburg sein soll. Aber eine richtige Parallele will sich doch nicht “ergeben. Salzburg heißt Mozart — Mozart als gottbegnadeter Meister und Mozart als Begriff. Natürlich hat auch Straßburg aus eigenem viel zu geben. Vielleicht erinnert man sich dort, daß das nächste Jahr ein Goethe-Jahr besonderer Art ist. Vor hundert Jahren wird der Dichter in Weimar zu Grabe getragen worden sein, in Straßburg hat der Jüngling einen Teil seines Wissens empfangen. Hier in Straßburg war Herder sein Lehrer, der die „Stimmen der Völker in Liedern“ gesammelt hat. Das Geburtshaus des Dichterfürsten in Frankfurt am Main, ist mit allen Häusern des Hirschgrabens bis in die Grundmauern zerstört. So könnte Straßburg zur Ehrung eines Großen aufrufen, der der ganzen Welt gehört.

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