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Entheimatete Figuren zwischen den Kontinenten.

Die erste und die letzte Geschichte handeln vom Meer: "Landgang" erzählt von einem jüngeren Mann, einem Lyrikredakteur, der nach einer Bootsfahrt mit seiner Schwester irgendwo an der Atlantikküste zusammenbricht: Thrombose, Koma, schlechte Prognose. Der Hafenmeister nimmt an seinem Schicksal merkwürdig innigen Anteil, er vertieft sich in die Gedichte aus der Post des Kranken. Als dieser aus dem Koma erwacht, finden sich die beiden in seinen ersten - lyrischen - Sprechversuchen.

Die letzte Erzählung spielt, getreu dem Untertitel des Buches "Deutsch-amerikanische Geschichten", an der Nordsee: Ein Dozent macht einen Ausflug mit seinen US-Studenten, man unternimmt, die Flut im Nacken, eine Wattwanderung, ein krankes Mädchen verletzt sich, ein Familiengeheimnis wird aufgedeckt.

Rätsel ungelöst

Meist aber bleiben die Rätsel in Gregor Hens' Erzählband ungelöst: Warum hat die Lieblingstante, die immer von einer Lebensversicherung geredet hat, ihren Neffen keine Polizze hinterlassen, dafür aber den Polizeibericht über den Selbstmord der Mutter? Ist der Verlobte, auf dessen Tagebuch die junge Journalistin gestoßen ist, ein gefährlicher Perverser, oder hat er rein literarische Phantasien? Das will Jamie in "Crimes of Passion" bei einem Zwischenstopp in Wien mit einem Freund von früher besprechen, statt dessen verrät sie es dem lüsternen Kellner im Café Engländer und haut ab nach Rom.

In Transfer Lounge geht es, was nahe liegt, ums Reisen, ums Unterwegssein, um Wendepunkte und Weichenstellungen, um Todesfälle, Gewalttaten gar, aber auch um unspektakuläre Existenz-Ausschnitte, um Menschen, die nach langer Zeit heimkehren, andere, die ihrer Familie entkommen wollen. In der Titelgeschichte erpresst ein junger Deutscher, der in Kanada lebt, seine Eltern, die ihn zu Weihnachten bei sich haben wollen. Aber er überspannt den Bogen, bis zum Schluss alle als Verlierer dastehen.

Der Kölner Gregor Hens, der sich mit dem Roman "Himmelssturz" einen Namen gemacht hat und seit Jahren an der Ohio State University lehrt, beschreibt vor allem Milieus, die er gut kennt: quasi entheimatete Figuren, Akademiker, Übersetzer, Presseleute zwischen den Kontinenten.

Amerikanische Storys

Es sind im besten Sinn "amerikanische" Stories, kurz, prägnant, atmosphärisch dicht und mit einem trockenen Klang, der Nachhall stellt sich erst mit Verzögerung ein. Ihnen fehlt jeder Germanistenballast. Wenn eine Geschichte "Heinrich-von-Kleist" heißt, dann ist damit ein Zug gemeint, aber der Prinz von Homburg kommt doch vor: Den hat der Ich-Erzähler einst im Theater von Düsseldorf gesehen und sich "noch in der Pause für Zivildienst entschieden". Die deutsche Klassik als angewandte Lebenshilfe - in allen Lagen nützt sie nicht. Es passiert ein (glimpfliches) Zugsunglück, und weil die Freundin, die den Erzähler auf dem Bahnhof in Berlin erwartet hat, Stunden später längst wieder zu Hause ist, fährt er gleich mit einer Abteilbekanntschaft mit, die ihm von ihrem Filmskript erzählt: Darin gehe es "um die Nanosekunden, in denen wir unsere Geschichte aus den Augen verlieren und von dem berührt werden, was wir als unsere eigene Natur bezeichnen".

Transfer Lounge

Deutsch-amerikanische Geschichten von Gregor Hens

marebuchverlag, Hamburg 2003

143 Seiten, geb., e 18,50

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