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Religiöse Romane

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Madame J. Roman. Von Robert Morel. Verlag Styria, Graz. 336 Seiten. Preis 60 S.

Dieses Buch versetzt einen in nicht gelinde Wut. Wut über eine Frau, eine „christliche“, eine, die es immer gut mit sich selber meint und die Mitmenschen quält. Eine Frau, die „keinen Sinn für die Maße anderer Herzen hat“, die in Gedankenarmut und Gefühlskälte eine Frau „Jedermann“ ist: mittelmäßig, kleinlich, unterwürfig und unendlich eitel in allem, was sie tun muß — von der Erziehung des Kindes bis zur Hausarbeit und zur Katholischen Aktion, -ü Aber leider ist diese Bürgerin gar niemand anderer als jedr von uns. Morel hält Gericht: „Die Geschichte von Juliane Ailon steht nicht vereinzelt da, sonst würde ich mich nur im Gebet und vor allem nicht in der Oeffentlichkeit dafür interessieren. Wir selbst sind luliane Ailon ... Und wenn wir ihre Mitschuldigen; oder ihre Richter sind, so sind wir dieser Doppelgänger von Juliane Ailon, nicht mehr und nichts Besseres.“ So geht die Wut des Lesers über die Beschränktheit einer Bürgersfrau in die Wut auf den Lesenden selbst über. Und es ist äußerst spannend, diesen bald merklichen, bald heimlichen Uebergang lesend zu erleben an einem spannenden Roman.

Das Lamm. Roman. Von Francis M a u r i a c. Drei-Brücken-Verlag, Heidelberg. 230 Seiten. Preis 9.50 DM.

Da ist ein junger Mann mit dem seltsamen und auserwählten Sinn für momentane Begegnungen: er muß sich immer in Schicksale einschleichen, die ihn im Grunde nichts angehen: aber gerade darin liegt seine Sendung. So wird er zu einem Lamm, das die Sünden der Mitmenschen trägt und in Klarheit verwandelt. Daß er in Mauriacs Roman gerade in ein Priesterseminar eintreten will und ihm unterwegs wieder einer der Menschen begegn-t. dessen Leben er ordnen muß und dabei selbst tödlich verunglückt, das ist nur die „Story“ des Romans mit allen ihren Mauriacschen Verwicklungen und Grausamkeiten. Wer Ohren hat zu hören, der höre: ob er selbst nicht allzuoft an solchen göttlichen Augenblicksaufträgen vorübergeht — im Jenseits muß er dann mit Leon Bloy weinen über alle Unterlassungen während der irdischen Laufbahn. Klugheit ist die Kunst, den direkten Weg des Bürgers mit den Umwegen eines göttlichen Gesandten zu vermitteln ... *

Um die neunte Stunde oder Nikodemus und Simon. Von Edzard S c h a p e r. Verlag Jakob Hegner, Köln. 170 Seiten.

Wenn man den Namen Edzard Schaper auf einem Buche liest, greift der Kenner immer zu. Hier ist es zum ersten Male, daß man enttäuscht wird: weil Schaper, der Romanschriftsteller erlesenster Qualität, ein biblisches Geschehen dramatisiert. Das ist ihm durchaus nicht gelungen. — Die Geschichte des Nikodemus und die des Simon von Kyrene werden fast „wie's im Büchel steht“, ohne viel eigene Phantasie erzählt. Nach jedem der beiden Teile kommt ein Epilog, in Prosa: diese verraten dann ,.Schaper“, aber sie genügen nicht, um das Ganze schmackhaft zu machen. Nikodemus ist „der gesegnete Feigling“ — lesenswert! Simon hat den „Gehorsam des Augenblicks“ — erlebenswert! — Schade! Schaper soll bei der Prosa bleiben.

Weltraum ohne Tränen. Roman. Von Edward H y a m s. Uebersetzt aus dem Englischen von Eberhard Gauhe. Verlag der Arche, Zürich. 247 Seiten.

Natürlich würden wir Menschen verträglicher, wenn wir in einem Weltraum ohne Tränen, ohne Angst leben könnten. Wir wären freundlicher, menschlicher miteinander Das ist in diesem Roman beschrieben — aber wie! Denn daß die Angst und die Tränen verschwinden, daß die Sicherheit des Lebens giwähn wird, hängt nicht immer an sichernden Wirklichkeiten, sondern manchmal wirklich hur an einem „blinden Glauben“, an einem Phantasiegebitde. In diesem Roman hängt die „Welt ohne Tränen“ an einem halben Kinderwagen und dem aus drei Kugeln bestehenden Hauszeichen eines englischen Pfandverleihers. Diese beiden nächtlich und im Suff aufgegriffenen Attribute werden von einem Seeoffizier auf ein fremdes Schiff so montiert und bemalt, daß es am nächsten Morgen wie ein neues Radargerät aussieht. „998“ heißt es künftig und geht seinen Weg über ganz Europa und wird rings um England aufgebaut, weil es die Eigenschaft haben soll, Luft und See aus der Ferne von Angreifern säubern zu können. England ist im tiefen Frieden — durch säuberlich machinierte Phantasie der Politik. Wer über sich selbst und über Europa mit gutem englischen Humor und menschlichem Sarkasmus lachen will, soll dieses Buch lesen. Es ist eine Säuberung unserer Angst, und die Tränen sind nicht geweinte, sondern gelachte! *

Judas. Von Lanze delVasto. Uebersetzung aus dem Französischen von Jean-Pierre Wilhelm. Schwann-Verlag, Düsseldorf. 270 Seiten. 12 DM.

Judas als Patriarch aller Ketzereien: die seltsamsten und gewöhnlichsten Fälschungen über Christus sind hier zusammengetragen und — Wunderwerk! — zu einer wahrhaftigen Dichtung geworden. Alles was uns und die alten Zeiten beim Anblick Christi und beim Hören Seiner Botschaft einfallen kann, erlebt in diesem Buche „Judas“. Also nicht nur der biblische, sondern der ewige, unsterbliche Judas in jedem Menschen. Geistreiche und besinnliche, mutige, verschreckte und sich aus dem Glauben ausgestoßen fühlende Leser sollten diese Meditationen meditativ lesen und — genießen.

Männer im Meer. Roman. Von Ahmad K a m a 1. Uebersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Schnack. Verlag der Arche, Zürich. 283 Seiten.

Griechen als Schwammtaucher im Golf von Mexiko — drei verschiedene und verschieden interessante Gegebenheiten sind ineinander verflochten. Im Mittelpunkt steht die Geschichte zweier Brüder, die der ältere der beiden selbstbiographisch erzählt: wie er sein Jugendlieb Evee seinem jüngeren Bruder Pavlo verheiraten will, weil er Pavlo liebt. Er liebt ihn mit einer wehen, argen, grausamen Liebe, mit der er alle seine Mitmenschen, die Schiffsgenossen auf dem Taucherschiff und die eigene Mutter und alle rings um ihn quält. Erst als er ausgetobt hatte, konnte er nachgeben: seinem Herzen, das aus lauter stürmischer Güte sich nicht gestattete, die geliebte Jungen-liebe zu lieben. Ein spannender Roman, bei dem man Psychologie und Schwammtauchen lernt.

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