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Religiöse und geistige Strömungen in Israel

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Zwei Komponenten beiwirken in Israel ein regeres geistiges Leben, als es in manchen anderen Ländern anzutreffen ist. Die Mehrzahl der Einwanderer aus Mittel- und Westeuropa sind Intellektuelle, die vor ihrer Einwanderung einen akademischen Beruf ausgeübt haben. Der Grundstock der Einwanderer aus Osteuropa hat in seiner Jugend eine strenge rafabinisch Erziehung und Bildung genossen, und viele von ihnen haben mit dem Rabbinatsdiplom in der Tasche den Boden Israels betreten. Von diesen beiden Bevölfeerungselementen werden die Grenzen des kulturellen Lebens in Israel abgesteckt. Auf der einen Seite findet sich das zum Großteil liberale Judentum der deutschen Großstadt und auf der anderen Seite steht ein religiös-orthodoxes Element, für das es überhaupt keine Scheidung zwischen dem geistigen und dem religiösen Bereich gibt.

Diese Verschiedenheiten zwischen west- und osteuropäischem Judentum finden nun in Stadt und Land ihren Ausdruck. Der Tal- mud-Thora-Sdiüler denkt, wenn er auf europäischen Universitäten nicht auch abendländische Bildung genossen hat, selbstverständlich anders als der liberale deutsche Jude. Mit einem Scherzwort wird der deutsche Jude In Israel als „Jeqeh“ bezeichnet. Das Wort als solches ist unverständlich und böse Zungen deuten es als die Anfangsbuchstaben von Jehudi qasche hawanah (i. e. Ein Jude, der schwer begreift). Diese Interpretation des Wortes Jeqeh hat sicherlich darin ihren Ursprung, daß das Gedächtnis des Ostjuden durch das bandweise Auswendiglernen von Bibel und Talmud samt Kommentaren dermaßen geschult ist, daß er alles, was er ein oder zweimal liest, tatsächlich für immer behält, wobei er sogar in vielen Fällen auch die Seitenzahl auswendig weiß, auf der r d&s betreffend Zitat gelesen hat. Der Jude europäischer Bildung kommt von den Voraussetzungen unserer Hochschulen und unseres wissenschaftlichen Forschens her. Sein Gedächtnis ist nicht so geschult wie das des Ostjui en, dafür nimmt er aber die Problemstellung des europäischen Denkens in sich auf und behält diese auch nach seiner Einwanderung nach Israel bei. Sein geistiger Horizont ist wesentlich weiter als der des Juden, der aus der Einschließung des Ghettos kommt. In vielen Fällen haben aber auch west jüdische Typen noch lebendige Verbindung zu dem Inhalt ihrer Tradition und noch mehr zu den ewigen Werten, die diese Tradition geschaffen haben. Sie interpretieren mit den Augen eines modernen Lesers aus der geistigen Situation unseres Jahrhunderts heraus ihre Tradition und finden in dieser Interpretation den Weg zu neuer Übung ihrer Religion. Nur vier Namen, deren Träger weiten Kreisen bekannt sind, sollen in diesem Zusammenhang genannt werden: Prof. Martin Büber, Ernst Simon, der große Philo®- und Poseidoniosforscher Jizchak Heinemann und der bekannte Kenner des Chassidismus , Dr. Horodetztky.

Die beiden Extreme europäischen Forschen unid Wissens und innerjüdischer Gelehrsamkeit sind die beiden Pole, zwischen denen sich das geistige Leben an der hebräischen Universität in Jerusalem entfaltet. Die Mehrzahl der Professoren haben an deutschsprachigen Universitäten studiert. Berlin, Wien, Leipzig, Frankfurt am Main, Prag, Stockholm waren die Hohen Schulen, am denen sich ein großer Teil der Professoren der hebräischen Universität schon als Lehrer bewährt haben. Deutsche Wissenschaft in all ihrer Genauigkeit und Pedanterie, gibt den Forschern in Jerusalem eine solide Grundlage für die dem jüdischen Geiste eigene Synthese. Auf der anderen Seite stehen auf den Lehrkanzeln derselben Universität Tälmudgelehrte ans galizischen oder russischen Rabbinerseminaren. Wie die Lehrer, so auch die Schüler. Im Ausgleich dieser beiden Elemente, sieht nun die hebräische Universität ihre Hauptaufgabe. Auch für d'as westliche Judentum wird die Tradition seines

Der Chassidismus ist eine religiös-mystische Bewegung. Das Wort selbst heißt einfach „Frömmigkeit“.

Volkes Gegenstand der Forschung. Der Maßstab exakter Wissenschaft wird an die Werte der Tradition angelegt. Unter dem kritischen Auge Gerschom (früher Gerhard) Scholems wurde das weite Gebiet der jüdischen Mystik, da bisher nur Gegenstand unernster Kritik oder verzückter Verehrung war, einer Analyse unterzogen und durch ihn erstmalig auf die Ebene wissenschaftlicher Forschung gestellt. Scholem hat sein Lehenswerk in dem Buche Major Trends in Jewish Mysticism (Schocken books, New York, 1946) zusammengefaßt. Ungefähr dasselbe Gebiet erstellt für Martin Buber das geistige Fundament zur modernen Aktualisierung der jüdischen Glaubensgebalte. Nicht wissenschaftliche Analyse, sondern Bezug der jüdischen Religiosität auf die Existenzprobleme des Menschen in dieser Zeit ist das zentrale Anliegen Bubers. Buber sieht hier auch einen Weg für die Klärung der Frage nach der Aufgabe des Menschen und besonders des Juden in dieser Welt.

Damit stehen wir aber bereits bei der Behandlung der religiösen Probleme und Strömungen. Das Judentum der Tradition und namentlich das Judentum des Chassidismus sieht sieh selbst als jener Träger der Verheißung, der durch sein Leiden und sein Hingabe an den geschichtlichen Prozeß des dauernden Werden and Entwerdens seinen

Teil zum Bestand wie auch zur Erlösung des Komos beizutragen hat. Die Gottheit erscheint irgendwie eingefangen in die Unreinheit dieser Welt und hat zu ihrer eigenen Befreiung den Menschen geschaffen, in dem ihre Kräfte wirksam sind, sie zu befreien. Die Aufgabe des Menschen ist nach dieser Lehre eine kosmische Erfüllung seines Menschseins im tiefsten Sinn des Wortes, ist Dienst am Kosmos, ja höchster Dienst an der Gottheit selbst. Der Jude und das Volk Israel sind in der Zerstreuung, um die Gottheit aus ihrem Verbanntsein in den profanen Bereich in dieser Welt zu erlösen. „Heimkehr in das heilige Land“ heißt Erfüllung der Aufgabe in den profanen Ländern. Nun soll Israel von Zion aus den restlichen Teil seiner Aufgabe wirken. Sehr verschieden von dieser hohen Religionsphilosophie ist die konkrete Situation im täglichen modernen Leben. Die chassi di sehen Juden im engsten Sinne des Wortes haben in den Städten mit alten jüdischen Siectungen (Jerusalem, Tibetrias, Safed) ihre eigenen Wohnbezirke. Daneben leben die übrigen orthodoxen Juden, die nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtbevölkerung darstellen. Der überwiegende Teil des religiösen Judentums hat zur Tradition eine Beziehung, die noch Erbe ist, die aber dauernd abnimmt. Im wesentlichen ringt der Mensch in Israel — soweit er nicht areligiös ist, was man nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung aussagen kann — um die Klärung eines Hauptproblems: wie ist im Rahmen der großen Weltaufgabe des Judentums die Rüdekehr nach Zion zu verstehen? Letztgültige theologische Antworten wurden auf diese Frage noch nicht gegeben. Man sucht die heutige Situation aus der Tradition zu begreifen und kommt daibei immer wieder, auf den verschiedensten Wegen, zu der einen Lösung: Das in Israel, in Palästina geeinte Volk soll Brücke zur Welt sein, zum Wirken der Juden, zur Erfüllung ihrer Aufgaben in ihr.

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