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Requiem und Zeitkritik

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„Nun singen sie wieder“ ist eines der frühesten Stücke von Max Frisch, das im März 1945 auf die Bühne gelangte. Zu Unrecht findet es in seinem Gesamtwerk wenig Beachtung. In diesem Versuch eines Requiems, das derzeit im Volkstheater aufgeführt wird, gibt es keine reichlich fragwürdige „Dokumentation“ wie in so vielen heutigen Stücken, die sich mit dem Krieg beschäftigen, die Auseinandersetzungen werden hier, vom Wirklichen ausgehend, in metaphysische Bereiche gerückt.

Nicht die Überlebenden des letzten Krieges singen wieder, sondern die Todgeweihten, die Geiseln, „wenn sie schießen hören oder sonst wenn Unrecht geschieht“. Das gibt den Gefühlsakkord an, auf den die Szenen gestimmt sind. Herbert tötet und läßt töten, er will damit Gott heraus- fordiern, sich zu erkennen zu geben. Karl, der auf seinen Befehl mordete, weiß nun, daß Gehorsam nicht von der Verantwortung befreit, wie sein Vater, der Oberlehrer behauptet. Als Folge seiner Gewissensregung erhängt er sich. Einige junge Flieger von der Gegenseite, die auf Einsatz warten, setzen sich diskutierend mit den Problemen des Krieges auseinander.

Ein bitter-schwermütiges „Umsonst“ wird zur Conclusio. Die Überlebenden freilich wollen wieder alles aufbauen, sprechen von Rache. Aber die Toten, die wir an einem ins Geheimnisvolle gerückten Ort wiederfinden, klagen nicht mehr an. Der Hauptmann meint, ihr aller Tod sei umsonst gewesen. Ergreifend wirkt der Pope, der erschossen wurde und nun Brote austedlt. Es sind die Brote einer Liebe, die weiß, daß sie umsonst ist und die dennoch nicht verzweifelt. In diesem Requiem ist Max Frisch ein Dichter, der das „Umsonst“ des Todes, des Lebens, der Sterne aussagt, abfer die Verzweiflung abwehrt. Man denkt an Salomons Wort, wonach alles eitel ist und Haschen nach Wind. Aber der Sohn Davids sagt auch, man könne „Gottes Werk nicht wissen, das er tut überall“. In dunkler Stimmung verfangen, ist diese Demut Frisch versagt. Trauer durchweht das Stück.

Das Volkstheater bietet unter der Regie von Erich Margo eine schlichte, ergreifende Wiedergabe. Das Unbestimmte jener Orte, die nichit Intien- räume sind, deutet der Bühnenbildner Wolfgang Vollhard mit abstrakten Mitteln an. Heinz Petters gibt dem Karl tiefste Verstörung, Helmut Lex verteidigt eiskalt die Mordbefehle, Viktor Gschmeidler als Oberlehrer, Regine Felden als Karls Frau, Rudolf Strobl als Hauptmann beeindrucken durch Verhaltenheit der Figurenzeichnung. Gustav Dief- fenbacher hat als Pope die ruhige Ergebenheit in das Geheimnisvolle des menschlichen Schicksals. Den schwermutvoll getragen wirkenden Gesang der Geiseln schrieb Robert Leukauf.

Den 24jährigen Martin Sperr sehen manche Kritiker als Kronprinzen der deutschen Dramatik an. Sein zweites Stück, „L andshuter Erzählungen", das derzeit im Theater in der Josef - stadt aufgeführt wird, gilt im Vergleich zu seinem ersten Bühnenwerk berechtigt als „kerniger, beherrschter“. Es vermittelt einen fiktiven Einblick in die Zustände dieser niederbayTischen Kleinstadt während der Konjunktur vor zehn Jahren.

Da wird der Konkurrenzkampf zweier Baufirmen schamlos und erbittert mit allen Mitteln geführt. Laiper ist ein Unternehmer vom alten Schlag, der sich den neuen Gegebenheiten nicht anzupassen versteht, Grötzimger, zugezogen, emporgekommener Maurerpolier, bedient sich moderner Arbeitsmethoden und reißt die großen Aufträge an sich. Sorm, Laipers Sohn, will nun beide Firmen durch die Heirat mit Gröt- zingers Tochter Sieglinde vereinen, die von ihm ein Kind erwartet. Nur

Laiper widersetzt sich hartnäckig diesem Plan, ja, er enterbt den Sohn, worauf ihn der Junge im Handgemenge erwürgt.

An Niederträchtigkeiten ist da zusammengetragen, was sich nur Zusammentragen läßt, von der Vertuschung dieses Mordes bis zu recht kräftigen Bekundungen von Antisemitismus und Hitlerei, wobei das reichlich abgegriffene Schema „Vater widersetzt sich der Heiratsabsicht seines Sohnes“ zum Handlungsagens wird. Die geschickte, bühnenwirksame Zeichnung der Gestalten sei anerkannt, doch der Handlungsgang wirkt schleppend, die Szenen nach dem Mord sacken durch Unbeholfen- heit völlig ab. Fazit: Eine derart krasse Einseitigkeit im Anhäufen von Gemeinheiten, wobei der junge Autor die Konvention der Mittel von einst, antiquierten Realismus, einsetzt, überzeugt nicht, läßt uns gleichgültig. Hier zu packen, bedürfte es der Dämonie Strindbergs oder der blitzenden Facetten Stemheimschen Hohns.

Michael Kehlmann sänftigt in der Aufführung die Realistik der Szenen. Das mundartliche Idiom wird von einigen Darstellern nicht beherrscht. Georg Bucher als Laiper und Fritz Muliar als Grötzinger geben vollgültige Typen der Korruption. Gretl Elb legt die Rolle von Laipers Gattin auf forcierte Komik an. Das junge Paar wird von Franz Messner und Kitty Speiser anspruchslos dargestellt, Guido Wieland zeichnet strichscharf einen Neonazi. Die milieugerechten Bühnenbilder schuf Gottfried Neumann-Spallart.

Bourgeoises Theater bevorzugt jene finanziell begnadeten Herrschaften, die über einen Butler und fünf Rolls- Royce verfügen. Franęotse Sagan weiß, daß derlei auch im Kollektivzeitalter ein Publikum in Abendtoilette schätzt wie ein Souper im Nobelrestaurant So ist die Hauptgestalt in ihrer vor zwei Jahren entstandenen Komödie „Das ohnmächtige Pferd“, die derzeit vom Thalia- Theater, Hamburg, im Akademietheater aufgeführt wird, ein alternder englischer Lord, der wegen seines Namens und seines gewinnenden Äußeren einst von einer jungen Dame mit sagenhaften Reichtümern geheiratet wurde. Seine Langeweile angenehmen Nichtstuns und „unbewältigter Verzichte“ durchbricht ein Abenteurerpaar, dessen weiblicher Teil, Coralie, mit ihm schließlich kurz in den Park geht, worauf die überraschend Erschienenen wieder verschwinden. Die Pfauenfedern des Dialogs werden diesfalls mit einigen Schwierigkeiten von der Philosophie, ansonsten ohne Schwierigkeiten aus erotischer Erfahrung bezogen, Victor de Kowa bietet als Lord Chesterfield sehr viel Charme dividiert durch Affektation Gisela Peltzer ist eine kapriziöswendige Coralie mit etwas Herz, Friedei Schuster wirkt als Charmeursgattin distinguiert.

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