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Revolution der guten Tat

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Für ein Verständnis des Wirkens Hermann Gmeiners ist eine eingehende Betrachtung seiner Kindheit und Jugendjahre notwendig. Als fünftes Kind der Bauernfamilie Gmeiner in Alberschwende im vorderen Bregenzerwald am 23. Juni 1919 geboren, verlebte er die ersten Jahre seiner Kindheit im Kreise einer gesunden Familie. Nach dem frühen Tod der Mutter im Jahre 1925 — sie starb zwei Tage nach der Geburt ihres neunten Kindes, Anton — kam eine Tante auf. den Gmeiner-Hof. Doch vertrugen sich die Kinder nicht mit ihr, und so baten sie den Vater, nicht mehr zu heiraten. Schon in der Pflichtschule erwachte in Hermann der Wunsch zu studieren; ihm schwebte der Beruf des Arztes vor. Nach Beendigung seiner Schulzeit verdingte sich der junge Gmeiner als Viehhirte und konnte erst im Alter von 17 Jahren auf Betreiben des Direktors der Caritas, Pfarrer Schelling, nach Feldkirch an das Gymnasium kommen. Sein Gönner, dem er täglich mini-strierte, bezahlte sein Quartier und gab ihm ein kleines Taschengeld. Überdies besorgte er ihm auch Freitische bei studentenfreundlichen Familien.

Bald nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde Hermann Gmeiner noch vor Abschluß seiner Mittelschulstudien zur deutschen Wehrmacht einberufen. Seine glückliche Hand in der Menschenführung und seine persönliche Tapferkeit veran-laßte seine Vorgesetzten, ihn auf die Neustädter Akademie zu schicken. Das Ende des Krieges erlebte Lt. Gmeiner in seiner Heimat, wo er nach schweren Verwundungen einen Genesungsurlaub verbrächte. Im Juli 1946 beendete Gmeiner einen Maturakurs in Dornbirn mit der Erlangung der Hochschulreife und ging nach Innsbruck, wo er sich neben dem Studium der Medizin auch der Philosophie und Pädagogik widmete. Im Jänner 1947 bat ihn der Kaplan der Pfarre Innsbruck-Mariahilf um Seine Mitarbeit in der Pfarrjugend. Dieser Antrag kam dem jungen Studenten gelegen, galt sein Interesse doch den verwahrlosten Jugendlichen, elternlosen Heimzöglingen, die nach ihrer Entlassung unvorbereitet ins Leben hinaustraten und dem Einfluß übler Gesellschaft schutzlos ausgeliefert waren.

Vier Thesen

Mit viel psychologischem Geschick wußte Gmeiner diese anfangs mißtrauischen jungen Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. Seine Erfolge drangen bis Wien, und man bewog ihn im März 1948, das Amt des Dekanatsjugendführers zu übernehmen.

Die großen organisatorischen Pflichten dieses Amtes standen von Anfang an im krassen Gegensatz zu seinem Studium. Aber Gmeiner

hatte erkannt, daß sein Platz bei den von der Gesellschaft vergessenen Kindern und Jugendlichen war, und so entschloß er sich, seinem geliebten Medizinstudium, dessen Anfänge einen tüchtigen Arzt erwarten ließen, Lebewohl zu sagen, um sich ganz seiner Aufgabe widmen zu können. Und so formulierte Gmainer vier Grundsätze seiner Kinderdorfidee: „Statt der verlorenen Eltern muß das mutterlose Kind eine Pflegerin bekommen, die bereit ist, ihr Leben lang dem Kind eine liebende und sorgende Mutter zu bleiben. Das Kind muß auch Geschwister bekommen, darum übernimmt die Pflegemutter auf Lebzeiten insgesamt acht bis neun Kinder verschiedenen Alters und Geschlechts. Leibliche Geschwister, die ihre Eltern verloren haben, bleiben beisammen bei derselben Pflegemutter. Die Neumütter mit ihren Kindern brauchen als Neufamilie einen eigenen Herd und ein eigenes Heim. Sie sollen in einem Einfamilienhaus leben. Die Familienhäuser und ihre Bewohner bilden ein Kinderdorf unter einem Dorfleiter, der die gemeinsamen Angelegenheiten der Kinderdorffamilien betreut und regelt. Das Kinderdorf ist in Nähe eines bestehenden Dorfes zu erbauen, wo die Kinder zur Schule und zur Kirche gehen.“

Am Golde hängt...

Um diese Maxime zeitgemäßer Jugendfürsorge verwirklichen zu können, bedurfte es einer großen Summe Geldes, doch fand Gmeiner wenig Unterstützung. So war er also darauf angewiesen, das für das erste Kinderdorf nötige Geld selbst aufzutreiben. Anfang 1949 gründete er gemeinsam mit ersten, ergebenen Helfern die Societas Socialis, deren Anfangsbuchstaben später zu dem nun weltbekannten Begriff „SOS-Kinderdorf“ zusammengefaßt wurden. Mit einem Vereinsvermögen von 600 Schilling suchte er, eine Reihe von Tiroler Gemeinden zum Verkauf eines Grundstückes zu gewinnen. Schließlich wählte Gmeiner aus den Angeboten ein Grundstück in Imst aus, wo er gemeinsam mit dem energischen Bürgermeister Koch, selbst einem Waisenkind und daher leicht für die Idee des Kinderdorfes gewonnen, Mißtrauen und Skepsis einiger Gemeinderäte überwinden konnte und das Grundstück nach Erstellung von Sicherheiten erwerben konnte. Ein Imster Baumeister erklärte sich bereit, den Bau auf Kredit zu errichten. Aber schon damals war die Zahl der Neider und Feinde groß. Bei seiner Rückkehr von Imst wurde Gmeiner am Bahnhof verhaftet und das Vereinsvermögen auf Grund eines Paragraphen „gegen unerlaubte Sammeltätigkeit“ von den Behörden beschlagnahmt, Bank- und Postscheckkonten gesperrt und Gmeiners Schreibtisch versiegelt. Erst nach

viermonatigem Kampfl erzwang Gmeiner die Aufhebung des Verbotes seiner Organisation und die Freigabe der Konten.

In dieser Phase — das erste Haus im Kinderdorf, „Haus Frieden“, war im Bau — startete Gmedner seine erste Weihnachtskartenaktion, die so erfolgreich war, daß man an den Bau eines zweiten Hauses, „Haus Weihnacht“, denken konnte. Ermutigt von den Erfolgen wandte sich Gmeiner an die Industrie mit der Bitte, die Patenschaft für ein drittes Haus zu übernehmen; die Werbung in Osttirol und eine Osterkartenaktion ermöglichten den Bau weiterer Häuser, so daß bei der Firstfeier des „Hauses Frieden“ im Dezember 1949 die Grundsteinlegung der Häuser „Weihnacht“, „Industrie“, „Osttirol“ und „Ostern“ stattfinden konnte.

Kein Nobelpreis?

Für weitere Gründungen fehlte aber Geld. Und so entwickelte Gmeiner eine Reihe von Werbeaktionen. Und sein Optimismus, der ihm immer wieder neue begeisterte Mitarbeiter und Freunde gewann, sollte nicht enttäuscht werden. Geldspenden von privater Seite, Abonnenten des „Kinderdorfboten“, der bald eine Auflage von drei Millionen erreichen sollte, Zuweisungen von Verbänden und Banken, Postkartenaktionen und ein ganzes Bukett brillanter Werbegags und Slogans brachten bald die Möglichkeit, Kinderdörfer in ganz Österreich und später in Deutschland, der Schweiz und Frankreich zu gründen.

Im Jahre 1966 schließlich kam es zur Gründung des Kinderdorfes Go Vap in Südvietnam, da die Not und das Elend des vietnamesischen Kindes durch den furchtbaren Krieg in Vietnam ein unvorstellbares Ausmaß erreicht hatte. Mitten in der Kampfzone — Saigon erlebte damals gerade die große Vietkongoffensive, wurden die ersten Häuser errichtet und Helmut Kutin, der Dorfleiter, und Horst Leitner, der Dorfimeister, in ihr Amt eingeführt. Und hier schließt sich der Kreis. Kutin und Leitner, beide Kinderdorfkinder, sind sozusagen die erste Generation der „Gmeiner-Kinder“, die das Erbe ihres Vaters antreten.

Soweit die Geschichte dieser „Revolution der guten Tat“, dieser Organisation, die ihre Kinder nicht nur bis zum 14. Lebensjahr betreut. Angesichts dieses großen, mit übermenschlicher Energie und wahrhaft christlicher Liebe getragenen Werkes kann man leichten Herzens vergessen, daß Hermann Gmeiner, der bereits von Albert Schweitzer 1958 und Altkanzler Gorbach 1963 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, bis dato aus unerfindlichen, wohl politischen Gründen, diese Weltehrung nicht zuteil geworden ist.

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