6546527-1947_18_08.jpg
Digital In Arbeit

Revolution ohne innere Erneuerung?

Werbung
Werbung
Werbung

„Dantons Tod“ von Georg Büchner im Burgfheater: eine Premiere' zwiefacher Zweideutigkeit. Die erste betrifft das Stück selbst: Der einundzwanzigjährige Georg Büchner, der Bruder des“V,Kraft-und-Stoff“-Büchner, des Begründers des deutschen Materialismus, mischt in seinem Revolutionsdrama die Schwärmerei des Sturms und Drangs und der frühen Romantik für den kraftgenialischen Menschen mit der linearen Pathetik und Rhetorik der Führer der französischen Revolution im Becher seines an Grabbe gemahnenden Temperaments. Dies bedeutet, daß sein Stück in zwei völlig heterogene Teile zerfällt. Da ist zum. ersten die klare, unerbittliche Logik innerer Entwicklung, die kühl-großartig gesehene Naturgeschichte der Revolution, die ihre eigenen Kinder verschlingt. Robespierre errichtet auf den Leichen der Revolutionäre die „Diktatur der Freiheit“, wie er selbst feierlich erklärt: „Die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.“ Büdner hält sidi in der Wiedergabe der Reden wörtlich an die Wirklichkeit — und hier weht wirklich der Atem der Weltgeschichte herein in sein Stück (leider nicht bis auf die Bühne). Das Volk von Paris, die Massen, die Führer der Revolution und ihrer Parteien, sie alle folgen, in den wohlgesetzten Reden St. Justs und Robespierres wie im Aufschrei des Volks, dem unerbittlichen Gesetz, nach dem sie angetreten sind: Die Fülle der Gewalttaten ruft d i e große Gewalt herbei, welche sie niederschlagen wird. Hinter der Trikolore steht bereits Bonaparte, der Marsch der Marseillaise wird den Marschschritt seiner Heere begleiten . . Mit diesen Monumcntalgemälde der Wirklichkeit hat aber, leider, der deutsche Bürgersohn Büchner nicht genug: er will die „Freiheit“ im Leben des Individuums zeigen — und zeigt in den Gestalten des Danton, Desmoulin und ihrer Frauen, wie unfähig dieses Bürgertum zur Freiheit war. Dantons erotischer Hunger, an Friedrich Schlegels „Lucinde“ und Heinses „Ardinghello“ gemahnend, und Camilles Lebensgier, von den Frauen ganz zu schweigen, haben im Angesicht des Todes nur den Phrasenschatz nie gelebter Philosophien und die Affekte unbeherrschter Triebe vorzuzeigen. Sie haben als begabte Hitzköpfe und Schwärmer gelebt und sterben wie Motten, die sich einer, allzu glühenden Lampe genähert haben. An dieser Zweideutigkeit zerbricht aber Büchners Stück: es führt keine Brücke vom genialischen Lotterleben der jungen Stürmer und Dränger um Danton und Camille zum Eispalast der Revolution, zur asketisch-planenden Energie, Robespierres und zum inneren Pulsschlag der aufständischen Massen — der Zusammenhang ist ein rein äußerlicher —, und hier hätte nun die Leistung des Theaters einsetzen müssen. Aufgabe der Regie wäre es gewesen, die beiden heterogenen Elemente zu verbinden. Dies ist aber nur in dem Sinne möglich, daß beide bis zum Bersten mit Leben, Glut, Leidenschaft aufgeladen werden: wenn Danton und Desmoulin, als unbändige Kerle, wild-wagende Gesellen zwisdien Mitternacht und Brand des Morgenrots, in den Flammen ihres Begehrens, Wagens, Wollens stehen, wenn das Volk von Paris, Konvent und Wohlfahrtsausschuß ergriffen sind vom Steppenbrand revolutionärer Leidenschaft, dann müssen sich diese beiden Brände vereinigen — zu einer orgiastisdi-großartigen Symphonie des Untergangs. In einer grausiggroßen Bluthochzeit vermählt sich dann der Tod der sich selhn verzehrenden Individuen mit dem Sterben der sich selbst zu verstehen suchenden Massen.

Die Burg muß geahnt haben, um was e^ hier eigentlich geht: In einigen wenigen Szenen sucht sie einen Steg zu schlagen zwischen den zwei disparaten Welten — im ganzen aber versagt^ sie. Danton ist müde, Camille will nicht recht, ihre Frauen spielen im luftleeren Raum somnambule Träume. Das „Volk“ ist ein Revolutionsballett, aufgeputzt mit burlesk-grotesken Einzelszenen, Konvent und Wohlfahrtsausschuß sind nur bestelltes Theater, nicht Schauspiel der Geschichte. Asket, Pedant, Rhetor — und mehr: ein Mann, der im Sturm der Zeit weiß was er will.

Da weder die Dynamik der Massenbewegung nodi auch die Sprengkraft der starken einzelnen, welche die Revolution zu erwürgen drohen, zum Ausdruck kommt, bleibt in der Erinnerung allein das Wort, das der Einsame in die Geschichte hineinsagt: „die Tugend muß durch den Schrecken herrschen ...“ Um diesen Schrecken herum tanzt das Volk der Burg ein beängstigend zeit- und weltfremdes Ballett.

Ein erfrischend zeitnahes Stück bringen die Stephansspieler mit dem neuesten Werk von Hans Naderer heraus. „D a s unheilige Haus“ wurde bereits bei der Premiere vom Publikum, das von der ersten Szene an mitging, begeistert aufgenommen. Die Aufführung beweist zwei Dinge eindeutig: daß die Stephansspieler sich als Ensemble, als lebendig-einheitliche Gemeinschaft von Schauspielern, welche von ihrer Aufgabe besessen sind, durchsetzen können, auch wenn sie einen fremden „Star“ als Gast in ihrer Mitte haben, und ferner, daß das Publikum zeitverbundene Stücke sucht, welche im Ernst und in der Heiterkeit Gegenwartsverhältnisse darstellen. Auf einem Tatsachenbericht beruhend, behandelt das neue Werk Naderers folgende Problematik: 1945 kehren Nonnen in ihr altes Haus zurück, aus dem der Krieg und die bekannten Verhältnisse sie vertrieben haben — sie finden ihre Heimstatt jedoch besetzt vor: Thomas Holinka, ein aus-, gebombter Heimkehrer hat sich daselbst mit seiner Lebensgefährtin und seinen drei Kindern häuslich niedergelassen. Ein hartes Leben von Kindheit auf und acht Jahre Soldatsein lassen Holinka, der auch gerne trinkt, nicht gerade als den angenehmsten Verhandlungspartner erscheinen, zudem ist er „antiklerikal“, will von den „Betschwestern“ nichts wissen und ist keineswegs gesonnen, seine „Wohnung“ aufzugeben. Gegen den Widerstand der weltlichen und geistlichen Obrigkeit, zumal aber auch ihrer eigenen Nonnen, gegen Holinka selbst liebreich und voll Güte ankämpfend, gelingt es der Priorin in einem schweren und zeitweise menschlich völlig aussichtslosen Kampf, Herz und Sinn des Mannes, seiner Familie und zuletzt auch ihrer eigenen geistlichen Familie zu gewinnen, Frieden zu stiften und beide Welten einem neuen verinnerlichten Leben zuzuführen. Die von Klara Maria Skala mit Wärme, Herzlichkeit und jugendlicher Frische ausgestattete Führerin der Ordensgemeinschaft erinnert in der harten Auseinandersetzung mit der sie nicht verstehenden Visitatorin und ihren eigenen Nonnen an das Lebensschicksal der jüngst seliggesprochenen Marie Therese Soubiran. In seiner Ansprache an deren Schülerinnen erinnerte Pius XII. vor kurzem diese daran, daß die nunmehr seliggesprochene Gründerin ihrer jungen geistlichen Gemeinschaft von ihren eigenen Nonnen mit Schimpf und Schande verjagt, von ihren geistlichen Oberen preisgegeben, ohne Heim und Herd sogar eine Nacht unter offenem Himmel auf freiem Feld verbringen mußte, da kein Kloster sie aufnehmen wollte. Nun. so schlimm ergeht es unserer Priorin nicht; dennoch zeigt ihr Kampf mit ihren Nonnen ebenso wie ihr stilles Ringen mit dem Mann von der „anderen Seite“, daß eine Begegnung zwischen Christen und Nichtchristen heute von beiden Seiten eine Wandlung fordert: Altes und Enges muß aufgegeben werden, „Konfession“ und „Partei“ werden sich immer als Gegner, weil Konkurrenten, gegenüberstehen — lebendigem Glauben allein gelingt es, mit seiner natürlichen Frische und Fröhlichkeit den Ring des Starrsinns, der Verbitterung und der Not aufzubrechen. Weil das neue Stück Naderers im Zeichen dieser jugendlichen, frühlings-haften Frische steht, darf es als eines der lebensbejahendsten Stücke angesprochen werden, die wir seit langem auf den Wiener Bühnen gesehen haben. Hier wird das Leben nicht in der Gier selbstmörderischen Genusses gesucht, sondern im frohen Opfer, in der freien Hingabe für den Nächsten. Eine solche Moral ist nidn Moralin, sondern ein Stück Brot, das wir alle heute bitter nötig haben. Mögen es uns, auf ihre Weise, auch die anderen Bühnen recht bald reichen/

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung