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REVUE IM AUSLAND

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In der in München und Olten (Schweiz) erscheinenden Monatsschrift „H o c h 1 a n d’’ stellt der Herausgeber, Franz Josef Schöningh, in einem Aufsatz „Der Christ und die Kultur der Gegenwart” die Frage, ob, wie einst die ersten Christen gegenüber der „noch nicht” christlichen, heidnischen Kultur, die modernen Christen sich vor einer „nicht mehr” christlichen Kultur in eine geistige Katakombe zurückziehen könnten.

„Es ist aber die Frage, ob ihnen eine solche Flucht, die ich auf das Verhalten der frühen Christen beruft, erlaubt ist und ob diese scheinbar so legitime religiöse Haltung in Wahrheit nicht eine Flucht vor der aufer- legten Verantwortung und, genauer gesehen, ein Verstoß gegen die christliche Liebe ist.

Die nicht mehr christliche Welt, in der wir leben, ist nicht heidnisch und wird es nie mehr sein, sondern ist eine abgefallene Welt, die das Kreuz nicht vergessen kann, und wäre es auch nur, um ihm zu widersprechen …

Denn in Wahrheit können wir uns, von einzelnen Berufenen abgesehen — kein Wort wider die Kartäuser —, gar nicht von dieser Kultur so lösen wie die frühen Christen, weil sie von unseren Vätern im Glauben mitgeschaffen wurde und weil sie, auch im Abfall, immer noch unsere Kultur bleib;. Der Rückzug in die Katakombe bleibt daher eine Fiktion, die unsere Kraft verzehrt, statt sie zu vermehren, denn sie führt uns einerseits in die stickluftigen Niederungen der Traktätchen und Gipsfiguren und beraubt uns andererseits des kostbaren geistigen Erbes, das, vielleicht auch von Nichtchristen geschaffen, doch die praeambula fidei vermehrt und verstärkt. Diese aber sind cs, deren gerade die lebendigsten jungen Geister bedürfen, um zum Glauben zu finden oder zuriickzufinden. Der Rückzug in die geistige Katakombe bedeutet im Grund die Leugnung der natürlichen Theologie und ist insofern völlig unkatholisch.”

An dem Beispiel der Theaterstücke von Thornton Wilder zeigt Schöningh dann die auch den Christen angehenden Fragestellungen der modernen Literatur.

„Eine christliche Literaturbetrachtung hat sich streng davor zu hüten, bürgerlichen Kon- servatimismus mit christlichem Bewahrungs- willen zu verwechseln, der aus Wurzeln lebt, die tiefer als diese Erde reichen.”

Audi die bildende Kunst müsse, wenn sie echt sein wolle, „die Chaotik der Gegenwart unbarmherzig spiegeln”.

„Echte Kunst wird zwar einen geschlossenen Kosmos zu schaffen streben aber dies wird gleichsam ein Kosmos in der Unordnung sein. Diesem Gesetz kann sich auch moderne christliche Kunst nicht entziehen, wenn sie nicht lügen will, so daß sie vor dtr geradezu unlöslichen Aufgabe steht, die niemals gestörte übernatürliche Ordnung durch Bilder der gestörten natürlichen Ordnung anschaulich zu machen.”

Die englische Radiozeitschrift „The L istener” bringt einen Artikel von Lord Samuel über „Britische Philosophie und die Weltlage”, worin aus der Ansprache von Professor E. A. Milne anläßlich einer Festsitzung des „Königlich Britischen Instituts für Philosophie” zitiert wird:

„Wir braudien heute eine vereinigende Philosophie, ein Denksystem als Hintergrund für unseren Kampf ums Leben, ums gegenseitige Verstehen als Individuen, doch besonders als Völker. Als die westliche Welt hauptsächlich aus dem Heiligen Römischen Reich bestand, als für einen Menschen des Abendlandes das Heilige Römische Reich fast die ganze Welt war, gab es außerdem noch den vereinigenden Einfluß der katholischen Kirche. Sie war, was ihr Name bedeutete — eine katholische’ Kirche. Heute braucht der Staat, das Volk eine vereinigende, eine .katholische’ Philosophie, die niemals eine Klassenkampfphilosophie sein kann. Es sollte das Ziel der Philosophen sein, ein System zu schaffen, das zugleich eine Philosophie der Wissenschaften und eine Philosophie des Lebens ist. Statt dessen haben wir das Schauspiel, daß viele Philosophen alle metaphysisdien Probleme — metaphysisch im Sinne von Aristoteles — auf sprachliche und grammatische Fragen zurückführen.”

Für das musikalische Polen war das vergangene Jahr das Jahr der Erinnerung an den vor zehn Jahren verstorbenen Komponisten Karol Szymanowski. Über ein Szyma- nowski-Festkonzert an der polnischen Botschaft in London berichtet Jan Sliwinski in „N e w P o 1 a n d”:

„Alle ausgewählten Werke, beim ersten Hören schwer zu verstehen, führen in Szymanowskis letzte schöpferische Phase, das Finden einer neuen nationalen Sprache in der Musik ein. Es ist zum Beispiel falsch, seinen Krakowiak, Oberek oder Mazurka nur .modern’ zu nennen. Die traditionelle und die Chopin- Mazurka kommen von den masovischen Ebenen. Die Szymanowski-Mazurka verwendet das musikalisdie Rohmaterial des Tatragebirges. Die eigenartige Strenge des .Heiligen Franziskus’ in ,Slopiewnie” wurzelt in alter polnischer liturgischer Musik, die Szymanowski zu seinem ergreifendsten religiösen Werk, dem .Stabat Mater’ (op. 53), mit polnischem Text, inspiriert hat, das in England bei den Worcester-Festspielen von 1935 zum erstenmal aufgeführt, aber seither nicht mehr wiederholt wurde.

Eine Ausnahme waren die vier englischen Lieder (op. 54) zu Worten von James Joyce aus Szymanowskis unveröffentlichtem Nachlaß. Das musikalische Klima verrät hier in seiner lyrischen Zartheit eher eine frühere Periode, in der Szymanowski von deutscher Dichtung angezogen wurde.”

Von allen europäischen Ländern ist wohl Italien in der Veröffentlichung von Erinnerungen und Dokumenten zur Geschichte des vergangenen Krieges am weitesten fortgeschritten. Zu den bisherigen Publikationen wird demnächst das Tagebuch von Benedetto Croce aus den Jahren 1943 und 1944 kommen, aus dem die Mailänder Wochenschrift „L’E uropeo” bereits ein Stück aus den Tagen unmittelbar vor der Einnahme Roms durch die Alliierten und der Abdankung des jetzt verstorbenen Königs veröffentlicht hat.

„4. Juni … Es kam der Herzog Acqua- rone, um mich von seiten des Königs ZU bitten, ich solle mich dafür verwenden, daß er am Tag des Falles von Rom im Flugzeug hingebracht würde, damit er die Proklamation, mit der er den Statthalter einsetzt, von Rom und nicht von Ravelio aus datiert, wo er sich jetzt aufhält. Er ließ mir sagen, ich wäre dodi imstande, gewisse Feinheiten des Gefühls zu verstehen die Politiker nicht verstehen. Wenn sich dann die Alliierten diesem seinen Wunsch widersetzen, begnüge er sich damit, wenn man das in ihrer Mitteilung an ihn lesen kann, damit es dokumentarisch festgelegt ist, daß er gezwungen war, sich ihrem Willen zu unterwerfen. Im Gespräch hat mir der Herzog Acquaronc gesagt, daß der König am 25. Juli des vergangenen Jahres, nach der Entlassung Mussolinis, nicht, wie er hätte müssen, abgedankt hat, weil er seinen, von ihm von den Geschäften ferngehaltenen Sohn für unvorbereitet, wenn nicht für unfähig gehalten habe, die Nachfolge anzutreten ..

Im Ministerrat des folgenden Tages setzte dann Croce einen den Wünschen des Königs entsprechenden Antrag mit zehn zu sechs Stimmen gegen die Opposition vor allem der kommunistischen Minister durch.

„Doch kaum war zu meiner Zufriedenheit die Vormittagssitzung beendet, als Badoglio zum Telephon gerufen wurde und uns nach seiner Rückkehr sagte, daß der General Mac- farlsnc. ihn für fünfzehn Uhr zum König nach Ravelio bestellt habe, von dem er offensichtlich die unverzügliche Unterschrift unter das Dekret der Machtübertragung an den Statthalter mit heutigem Datum und von Ravelio verlangen witd: so daß er selbst diesmal die Forderungen der Alliierten nicht schriftlich erhalten werde ..

Die internationale wissenschaftliche Zeitschrift „Erasmus, Speculum Seien- t i a r u m” — deren Redaktion, wie man hört, von Amsterdam nach Innsbruck verlegt werden soll — wirkt seit einem Jahr erfolgreich für eine Verstärkung der internationalen geistigen Beziehungen, da die wichtigsten Neuerscheinungen auf geisteswissenschaftlichem Gebiet von, womöglich einer anderen Nation als der des Verfassers angehörenden Fachleuten auf englisch, französisch oder deutsch besprochen werden. Daß dabei auch grundlegende Fragen zur Sprache kommen, zeigt etwa die Besprechung des Buches „Adalbert Stifter, mit einem Anhang über Kierkegaard und die existentielle Literaturwissenschaft” (Kopenhagen 1946) von dem Dänen Erik Lunding durch Franz H. Mautner, Ohio, wo zur Auseinandersetzung über die Methoden der Literaturwissen, sdiaft gesagt wird:

„Uns scheint die Zukunft der literatur- wissenschaftlichen Betrachtung in jener Stilforschung zu liegen, deren Methoden dem Werk angemessen sind: geistesgeschichtkdi. wo vor allem der geistesgechichtlichė Hintergrund stilformend wirkt, existentiell, wo die existentielle Situation die stärkste Formkraft ist, psychologisch, soziologisch, strikt formal, wo das Werk kraft seiner Eigenart sich der betreffenden Methode auf natürliche Weise am gefügigsten zeigt. Zu wenig ist im Methodenstreit die Affinität der kritischen Methode mit ihrem Gegenstand beachtet worden. Wem die .Eigenart’ eines Kunstwerkes ein zu vager Begriff ist, der lasse seine Hände von Literaturwissenschaft. Als Historiker, Soziolog, Psycholog kann er alles, darunter auch das Kunstwerk, in seinen Bereich ziehen; aber er muß wissen, ob er seine Tätigkeit als Literaturforscher betreibt oder als Historiker, Soziolog, Psycholog, Philosoph, dessen Gegenstand zufällig gerade ein Werk der Literatur ist. Historisch geschult, sollten wir nicht dem naiven Glauben verfallen, die jeweils letzte Methode oder Mode stelle den Gipfel und Abschluß in der Geschichte der Bemühungen um Verständnis der Kunst dar. Auch wer nicht an einen geradlinigen .Fortschritt’ glaubt, wird sich der dauernden und unendlichen Bereicherung und Verschärfung des kritischen Vermögens im Fortgang der Kultur durch Bereicherung der Methoden nicht verschließen wollen.”

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