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REVUE IM AUSLAND

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EWe „Frankfurter Hefte” brachten in ihrer Aprilnummer einen großen Aufsatz von Walter Dirks „Das Elend der Menschen und die Vatergüte Gottes”. Der Verfasser geht dabei von dem unermeßlichen Elend der Gegenwart aus und von der Anfechtung, die sich für den Christen aus der Schwierigkeit ergibt, angesichts dieses Elends an die Vatergüte Gottes, angesichts der „höllisdien Legierung” von Bosheit, Kausal- gesetzlidikeit und Zufall, wie sie sich im Bombenteppich offenbarte, an die lenkende Hand der göttlichen Vorsehung zu glauben.

„Was wir gesehen und erwogen haben, drängt uns aus dem Glauben heraus oder in den Glauben hinein. Die Anfechtung, der wir ausgesetzt werden, löst sich im Unglauben — oder in der Tiefe des Glaubens. Sahen unsere Vorfahren die Vorsehung siditbarlich am Werk, so sehen wir die Macht des Bösen, des Gesetzes und des Zufalls — selig, die nicht sehen und doch glauben. Aber freilich wird das ein anderer Glaube sein müssen als der Glaube derer, die Gott am Werke ,sahen’ — so wie der Glaube derer, welche nach der Entdeckung des Kopernikus über den Sternen nicht mehr den Himmel ,sahen’, sondern in den Weltenraum hinein, ein anderer wurde als der ihrer Vorfahren, und er war doch derselbe Glaube an den Herrn des Himmels. Eine Ernüchterung in beiden Fällen, Anfechtung, Abfall — und ein erneuerter Glaube. Um ihn geht es in diesen Jahrzehnten des Unsinns und der Qual.”

Man müsse die Vorstellung von Gott als unserem Vater ganz ernst nehmen und könne nur so zu der Erkenntnis kommen, daß die Leiden dieses Lebens — wie die vom irdischen Vater oft im Hinblick auf das kommende Leben zugelassenen Leiden des Kindes — nur der Weg sind zu einem „neuen Leben”.

„Hier ist also der Schlüssel zu dem zu suchen, was wir als die Grausamkeit Gottes empfunden haben. Das Maß der Greuel, di Er zuläßt, kann nur als Hinweis auf das Maß der Herrlichkeit dienen, die Er denen bereitet hat, die an Ihn glauben, und auch dieses Maß schöpft die Wahrheit nicht aus. Lebten wir ganz aus diesem Glauben, er würde Berge versetzen… In diesem Glauben steckt das Maß für die Leiden, mit denen die Kreatur auf dieser Welt überschüttet wird. Sie kommen vom Vater, wie und warum auch immer er sie gibt oder zuläßt. Ob als Strafe, ob als Prüfung — wir wissen es nicht. Wir wissen viel weniger von diesen Dingen, als unsere Vorfahren je zu wissen überzeugt gewesen sind. Wir begreifen die Seite der Ereignisse nicht, die uns zugewendet ist: sie ist dunkel und sie bleibt dunkel, und selbst da, wo wir Gottes Finger lesbare Worte schreiben zu sehen meinen, mag es wohl so sein, daß wir uns täuschen. Wir sind im Falle des Apostels Thomas, wir sehen nicht — selig, wenn wir glauben. Dieser Glaube ist kein abstrakter Glaube, ist nicht der Ort, an dem ein totales Nein in ein radikales, aber leeres Ja umschlägt. Wessen Vertrauen stärker geworden ist als der Anschein des Unsinns und der Qual, der hat das Band mit dem Glauben der Vorfahren, das zerrissen schien, neu bewährt gefunden. Er wird die Gebete und Zeugnisse eines kindlicheren Vertrauens, die sie uns überliefert haben, in einer neuen Weise nachbeten können und nicht darauf verzichten, sich aus ihrer Kraft zu nähren. Nichts ist verloren. Alles gilt erst recht: die Psalmen, die Choräle, die Kinderlieder. Und das Gebet des Herrn selbst, das mit dem Anruf des Vaters beginnt. Das Elend der Menschen verführt viele zum Nihilismus. Es ist in Wahrheit ein doppelter Ruf: zur brüderlichen Hilfe und zu tieferem Vertrauen. Nicht ein christliches Kulturprogramm kann denen, die heute im Namen Christi an den Unternehmungen der Welt sich beteiligen, den Mut dazu geben, sondern nur das doppelte Ja, das die Antwort auf diesen Ruf ist: das praktische und handgreifliche Ja žurnalei- denden Mitmenschen und das ge- läuterte Ja des Vertrauens zu Dem, der allem sichtbaren Anschein zum Trotz der Vater ist.”

Die „Studienstelle für kulturelle, soziale und wirt schaft- liche Fragen” in Offenburg/Baden (Französische Zone) gibt nun schon im vierten Jahr zwei Zeitschriften heraus, welche dem Gespräch und Gedankenaustausch der christlichen Kreise diesseits und jenseits des Rheins dienen sollen. „D ocu- ments” (in französischer Sprache) informieren ihre Leser vor allem über Deutschland und Österreich, aber auch über das übrige Mitteleuropa, während die „D o k u- mente” (in deutscher Sprache) über Fragen und Entwicklungen des Auslands, vor allem Frankreichs, berichten.

In Heft 1/1948 der „Dokumente” erzählt A. Wiss-Verdier seine „Er- lebnisse unter deutschen Kriegsgefangenen in Afrika”, wo er von 1943 bis 1946 als französischer Dolmetschoffizier tätig war. Er schildert anschaulich die seelische Verfassung und Haltung der Afrikasoldaten, die frisch rasiert und nur mit dem für die Gefangenschaft Allernötigsten im Gepäck mit der Musik an der Spitze aus ihren Bergstdlun- gen herunterkamen, erzählt von den wilden Gerüchten in den großen Sammellagern, von den Fluchtversuchen und den inneren Spannungen, vom Wirken der „Rollkommandos” und dem Entzücken französischer Berufsoffiziere über die straffe preußische Disziplin „ihrer” Lager, von der Reaktion der verschiedenen Typen auf den Zusammenbruch, wobei er, auf Grund seiner jahrelangen Beobachtung feststellt, daß oft gerade die fanatischesten Anhänger des früheren Regimes bei ihrer Heimkehr keine Spruchkammer erwarte. Schließlich kommt er zu bemerkenswerten Feststellungen über das Wesen jeder Gefangenschaft:

„Diese drei Jahre Lager • haben mich gelehrt, daß auch das beste Lager nichts taugt: Lager bleibt Lager — es verbittert den Menschen und macht ihn schlecht. In diesen Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, daß es für den Menschen kaum etwas Schrecklicheres gibt, als wehrlos der Willkür anderer Menschen ausgeliefert zu sein, daß auch die, die die andern zu bewachen haben, von der Stacheldrahtpsychose verseucht werdenkönnen und daß auch sie, von Taumel des Bösen erfaßt, schlecht und ungerecht werden. Die vielleicht bitterste Lektion aber wurde uns von einem arabischen Sergeanten erteilt. Und das war so:

Beim Sprengen in einem Steinbruch war ein junger Gefangener, Willy Schwal aus Karlsruhe, tödlich verunglückt. Am folgenden Tage wurde er in Anwesenheit einer Ehrenabteilung der französischen Afrikaarmee beigesetzt. Als die deutschen Gefangenen und die französischen Delegationen dem Sarg zur Totenmesse in die Kirche folgten, blieb die Eingeborenenabteilnng draußen auf dem Kirchenplatz. Da kam ihr Sergeant auf mich zu und fragte nachdenklich: ,Die Deutschen und die Franzosen glauben alle an denselben Allah, an denselben Jesus?” Als ich bejahte, kam die weitere Frage: ,Aber hör mal, wie ist das nun — warum bewachst du diese Gefangenen da, Gefangene anderer Rumis (arabische Bezeichnung für den Fremden, besonders den Weißen), du, der du wie sie übers Meer gekommen bist und an denselben Allah glaubst und dieselben Marabuts (nordafrikanische Bezeichnung für Heiligengräber) hast?”

Die Moskauer Kulturzeitschrift „Ogon- j o k” („Feuerchen”), eine der ältesten Rußlands, die noch vor der Revolution gegründet wurde, bringt in Nr.’7/1948 einen Artikel des Stalin-Preisträgers J. M o j s e j e w „Der Tanz — ein Spiegel des Gemüt s”. Nach einem Rückblick auf die Geschichte des Tanzes, wobei der Verfasser die soziologischen Grundlagen der verschiedenen Entwicklungen betont, und bei den „Tänzen der jungen bürgerlichen Kultur, städtische Tänze des vergangenen Jahrhunderts” — Quadrille, Walzer, Polka, Mazurka — die „klare, gesunde und lebensbejahende Art” hervorhebt, stellt er die Frage:

„Wie soll der sowjetische Tanz beschaffen sein? Warum verhalten wir uns so ablehnend gegen den gegenwärtigen bourgeoisen Tanz, der so offenkundig in allen Tanzlokalen und auf allen Tanzplätzen propagiert wird? Wir beurteilen den Tanz als einen Spiegel des Gemüts. Der Tanz drückt die Emotionen und Gefühle der Gesellschaftsordnung aus und ruft durch die Musik und durch die Bewegung diese Emotionen hervor und pflegt sie. Man muß die Tänze auf volkstümlicher Basis gestalten und alle Eigenarten des Brauchtanzes beibehalten. Außer den Aufgaben, die den Komponisten und den Ballettmeistern für die Gestaltung eines neuen sowjetischen Tanzes gestellt sind, besteht noch die Aufgabe det Auswahl hinsichtlich der Wiederbelebung und Wiedererneuerung der so harmonischen Brauchtänze aus der früheren Zeit — mögen es städtische oder ländliche sein —, welche unter dem Einfluß der modernen westlichen Tänze verlorengegangen sind und im großen Maßstabe ihre charakteristischen Züge eingebüßt haben.’”

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