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REVUE IM AUSLAND

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Die „Frankfurter Hefte” leiten ihre Oktobernummer mit einem großen Aufsatz von Clemens Münster über „D ie Aussichten des Christentums” ein. Nach einer von dem hypothetischen Standpunkt des Bewohners eines fremden Sterns vorgenommenen, umfassenden Überschau über die Verbreitung des Christentums auf der Erde, über Erfolge und Mißerfolge in Vergangenheit und Gegenwart versucht der Verfasser, die Situation des Christentums aus der ständigen Spannung zu begreifen zwischen. einem der christlichen Haltung eingeborenen Kons e r v a t i v i s m u s, der notwendig sei, um die Lehre rein und unverfälscht zu bewahren und die ihr anvertrauten Menschen zu retten — und der Verpflichtung zur unausgesetzten Selbsterneuerung, die ja gerade zum Wesen des Christlichen gehört.

Hier müsse gesehen werden, daß das von Christus vorausgesagte Scheitern im weltlichen Sinne, daß Leiden und Schmerz im Mittelpunkt des Christentums als eine Teilnahme am Leiden Christi stehe.

„Die Welt ist erfüllt von Martyrien aller Art, großen und kleinen. Durch nichts legen die Christen so sehr Zeugnis für ihren Glauben ab wie durch die Annahme des Schmerzes — sofern sie ihn annehmen.” Hieraus aber ergebe sich die Antwort auf die Frage nach den Aussichten des Christentums.

„Gegenüber allen Unzulänglichkeiten seiner zeitlichen Erscheinung kann das Christentum immer für sich in Anspruch nehmen, daß seine Lehre die Wahrheit ist, die jedem menschlichen Dasein seinen hohen Sinn verleiht, und daß diese Lehre allein dem Schmerz gewachsen ist und deshalb in keiner Situation, auch nicht derjenigen der äußersten Be- dröhung, versagt. So braucht man an seinen Aussichten keineswegs zu verzweifeln; aber man muß sich darüber klar sein, daß auch der Mißerfolg im Zeitlichen, daß auch Leiden und Untergang vieler Christen als - Erfüllung von Mißerfolg, Leiden und Tod ihres Herrn zu diesen Aussichten gehört. Wie in jeder Zeit aber und an jedem Ort und in jeder Situation, so ist das Schicksal des Christentums, menschlich gesprochen, in die Hände der Christen, und zwar jedes einzelnen Christen, gelegt. Die überhaupt nicht zu überschätzende Hilfe, die sie dabei haben, liegt darin, daß sie im Besitz der Wahrheit sind. Aber sie werden nicht umhin können, sich endlich zu der paradoxen Situation zu bekennen, daß der Christ einerseits auf verlorenem Posten steht, noch dazu oft genug mit versiegelter Order, die buchstäblich erst im letzten Augenblick aufzubrechen ist, während er andererseits einer Gemeinschaft angehört, der verheißen ist, daß sie von den Mächten des Bösen nicht überwältigt werden wird. Im übrigen gibt es keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Gelegenheiten, bei denen die Chrisen sich zu bewahren hätten oder sich das sparen könnten. Die Entscheidung über das Christentum fällt bei jedem einzelnen jeweüs hier und in diesem Augenblick.”

In der Oktobernummer der „Etudes” behandelt Jean Rolin das zur Zeit in verschiedenen französischen Zeitschriften behandelte Problem des „W ahrheits- serums” P e n t o t h a 1. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß das Geständnis unter Narkose im Grunde noch viel furchtbarer sei als alle Torturen aus der Zeit der Christenverfolgungen, da es jeden Heroismus und jedes Martyrium unmöglich mache.

„Man wagt an die uns hiemit erwartende infernalische Welt nur unter der Form jener Voraussagen zu denken, bei denen sich die Tragik unter dem Schleier des Humors versteckt. Es ist ein neues Kapitel von The Brave New World, das man schreiben müßte. Man wird da den Großtyrann von morgen unter dem Zeichen des Pentothal seine Polizeibrigade der geistigen Überwachung organisieren sehen. Jeder Bürger wird zu bestimmten Zeiten der Untersuchung durch eine Pflichtnarkose unterworfen: fiskalische Injektion zur Vorbereitung der Steuererklärung; militärische Injektion, um die Drückeberger zu entdecken; Wahlinjektion im Augenblick des Wahlaktes (für die Einheitspartei), um den. Grad der staatsbürgerlichen Loyalität festzustellen; ideologische Injektion zur Erprobung der Treue zur ,Linie’; Gerichtsinjektion schließlich, um durch Selbstanklage auch die letzten Angeklagten zu überführen. Man lache nur! Aber man hüte sich! Die ersten Schritte sind schon getan zu jenem Zustand, da jedes Bewußtsein, seines Geheimnisses beraubt, in einer Menschheit ohne Mysterium und einer Welt ohne Zuflucht nur mehr eine. Art durchsichtiges Phantom ist, allen Blicken bloßgestellt unter jeher gefrorenen Klarheit, die das Licht der Hölle selbst sein muß.”

Dieselbe Nummer enthält einen Artikel ‘on Louis Beirnaert über die „Mora- ische Wiederaufr ü s t u n g” von 3 a u x, in dem die positiven und negativen leiten dieser nunmehr zehn Jahre alten Belegung des amerikanischen Pastors Frank iuchman gegeneinander abgewogen wer- len.

„Sie kann uns helfen, indem sie uns an die Notwendigkeit der persönlichen Konversion erinnert Und indem sie die menschlichen Beziehungen auf die Ebene der Aufrichtigkeit und der brüderlichen Liebe erhebt. Sie gibt uns Gelegenheit zu Begegnungen und gemeinsamen Bemühungen auch mit jenen, die nicht unseren ganzen Glauben teilen. Sie erschüttert erfolgreich eine festgefahrene Mittelmäßigkeit, die bisher nichts anderes zu bewegen vermochte. Sie verdient deshalb nicht nur unseren Respekt, sondern unsere Sympathie. Aber sie wird den niemals ganz befriedigen können, der die Anforderungen seines Glaubens zum Maßstab nimmt.”

In Nr. 23/1948 der Stuttgarter protestan- ischen Wochenschrift „Christ und Welt” teilt Paul Tillich, der bekannte Führer irotestantischer religiöser Sozialisten (gegen- värtig Professor an der Yale-Universität, .ISA) die Frage: „Wie viel Wahrheit inden wir bei Karl Marx?” — Sfach Tillich war „Marx’ Materialismus keine netaphysische Idee, sondern eine Theorie iber den Einfluß der Wirtschaft irf der Gedächte”. In seiner Kritik der Religion und Metaphysik verließ aber Marx selbst „den lahmen seiner eigenen Methode und stellte iehauptungen auf, die implizite religiöser ind implizite wie explizite metaphysischer ‘latur sind”. Hieher gehört vor allem seine Erklärung, daß Religion, geistige und seeli- che Kultur usw. lediglich eine Projektion der Reflexion des ökonomischen „Unter- aues” sei! —- Marx’ „Entlarvung” derRe- igion als einer Ideologie der herrschenden Hasse bedeutet aber eine ernste Mahnung n die Adresse der Christenheit. „Das christ- iche Denken muß ständig auf der Wacht ein, damit keine Gründe vorhanden sind, lie den Verdacht auf kommen lassen können, die Kirche vertrete eine Ideologie, die on den herrschenden Klassen ausgenützt werden kann.” — Wichtig und bedeutsam ;t dann Marxens Angriff giegen den Idealisms, konkret, gegen die idealistische deut- the Philosophie. „Dieser Idealismus trat lim in dem allgemeinen Glauben entgegen, laß sich die moderne Gesellschaft in einem instand des harmonischen Fortschritts befinde.” Nach Tillich steht nun Marxens Lehre von der „Entmenschlichung” des Proletariers in der kapitalistischen Gesellschaft dem christlichen Realismus, der illu- sionslosen Einsicht des Christen in die Brühigkeit der menschlichen Existenz viel näher als die idealistische Philosophie mit ihrem Fortschrittsoptimismus und ihrer Verharmlosung des Menschenbildes! — Ein drittes Wahrheitselement sieht Tillich in der „dynamisch-prophetischen Geschichtsinterpretation” Marxens. „Diese hat ihre Wurzel offensichtlich in der jüdischen Tradition der Propheten.” —Alles in allem: sosehr der Marxismus (der zudem von Marx selbst zu trennen ist) eine verhängnisvolle Mischung von Wahrem und Falschem darstelle, sosehr verdienten die Gedankengänge Marxens nach Tillich neuer sorgfältiger Untersuchung und Prüfung von Seiten der Christenheit, die als Angegriffene sich um ein gültige Antwort bemühen müsse.

Die in St. Paul, Minnesota, erscheinende Wochenschrift „TheW andere r”, die englische Ausgabe der ältesten, schon 81 Jahrgänge zählenden katholischen Wochenschrift der USA „Der Wanderer” — die englische Ausgabe entspricht wohl der Anglisierung vieler Familien, die seit Generationen das Blatt im Hause haben —, veröffentlicht an leitender Stelle eine sehr ernste Betrachtung über die bevölkerungspolitische Situation in den Vereinigten Staaten. Das Blatt erinnert daran, daß es schon vor 25 Jahren feststellte, durchaus nicht die „rote Bedrohung” stelle die gegenwärtig größte Gefahr dar, sondera die innere Dekadenz und moralische Degeneration. Aber seit damals ist die Kurve der Ehescheidungen zu phänomenaler Höhe angestiegen:

„Jetzt fallen auf fünf Eheschließungen drei Scheidungen. Die Ehescheidungsrate sollte auch jene erschrecken, die für sich keine religiöse oder kirchliche Bindung gelten lassen. Jedermann, der auch nur bescheiden an der sittlichen und geistigen Gesundheit des Volkes interessiert ist, muß mit zunehmendem Alarm . den unheilvollen Zug wahrnehmen. Denn ob nun einer an Gott und seine Gesetze glaubt oder nicht, für ihn muß doch die Tatsache klar sein, daß die’ Familie die Basis einer jeden gesunden sozialen Ordnung ist. Aber indes scharfsichtige Beobachter den. Ernst der Lage erkennen, gibt es andere, die bewußt den gefährlichen Prozeß weiter um sich greifen lassen, für die Ehescheidung noch größere Erleichterungen, sogenannte „Geburtenkontrolle” und Euthanasie und andere Maßregeln verlangen, die helfen können, den herankommenden Tag des Gerichtes zu beschleunigen.”

Die zitierte amerikanische Wochenschrift bezeichnet die jetzige fortschreitende Ehezerstörung in den USA als einen Skandal, er führe zu einem allgemeinen Niederbruch der öffentlichen und privaten Moral. Einige der sensationellsten Mordprozesse haben ihren Ursprung in einer vorausgegangenen Ehe- und Familienzerstörung.

„Auf diese Weise ist heute nicht die ausländische Barbarei des Kommunismus die größte Bedrohung, sondern unsere knieweiche geistige Beschaffenheit. Und das ist es, warum unsere verschiedenen Versuche für eine soziale Erneuerung so wenig Erfolg gehabt haben, denn wir kämpften gegen äußere Symptome, anstatt nach den Wurzeln der bösen Weltübel zu graben. Wir haben uns zu sehr auf irgendeinen verlassen, auf irgendeinen auf hohem politischem Posten, auf irgend jemand mit einem neuen ,System’, um durch Palliativmittel Ordnung in das moderne Dschungeldickicht zu bringen. Was wir brauchen, ist nicht irgendeiner auf der Spitze des sozialen Gebäudes, damit er von dort Ordnung diktiert, sondern einen organischen und so- zialen Wiederaufbau, in dem.alle, alle Familien und alle Schichten und Klassen gemeinsam ihre Aufgabe schultern und nicht nur das Wort Christi predigen, sondern es leben in ihrem öffentlichen wie in ihrem privaten Leben.”

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