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RICHARD COUDENHOVE-KALERGI / ALTEUROPÄER UND NEUEUROPÄFR

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Am 30. Jänner 1933 fand im Hotel Kaiserhof in Berlin auf Einladung des „S.-S.-S.-Klubs“ ein Vortrag über „Deutschlands europäische Sendung“ statt. Die drei Gründer, Seeckt, Simons und So//, nach deren Namen der Klub genannt wurde, waren persönlich anwesend. Die Teilnehmer mußten einen Nebeneingang benutzen, da der Haupteingang für die neue Reichsregierung reserviert war. In der Nacht des 11. März 1938 fuhr, mit der Pistole in der Hand, der Redner dieses Vortrages von Wien nach Preßburg, auf der Flucht vor der Verhaftung. Das Zentralbüro seiner Bewegung in der Hofburg wurde sofort besetzt, Seyß-lnquart schlug hier seine Residenz auf. Die Archive und Korrespondenzen seit Beginn der Bewegung und 40.000

lande des Paneuropa-Verlages wur-len vernichtet. Im Mm' 1962 ist Graf lichard Coudenhovc-Kalergi zum erstenmal wieder in Wien und prach hier am 28. Juni zum ersten-nal wieder, im kleinen Kreis, über Österreich. Europa und die Welt.

Die Kalergis sind Nachkommen ler byzantinischen Kaiserdynastie ^hokas. Der Palazzo Vendramin-(alergi in Venedig, in dem Richard Wagner starb (zu Ehren erhielt lichard Coudenhove seinen Vor-tarnen, seine Familie war mit den Wagners eng befreundet), erinnert w den venezianischen Zweig dieser eamilie. Seine Begegnung mit der ersten Gräfin Coudenhove beschreibt Goethe in seiner „Kampagne in Frankreich“. Richard Coudenhove-Kalergi wurde am 17. November 1894 in Tokio geboren. Sein Vater war damals österreichischer Geschäftsträger in Tokio-, dieser Graf Heinrich sprach achtzehn Sprachen, unter anderem Türkisch. Arabisch und Hebräisch. Er veröffentlichte seine Dissertation ..Das Wesen des Antisemitismus“ in Buchform. Sein Sohn Richard hat dieses Buch 1936 neu herausgegeben, gleichzeitig fortgesetzt in seinem „Judentum von heute“.

Richards japanischer Name wai Edjiro. Seine Mutter, Mitsukc Aoyama, stammt aus japanischem Adel. Als Symbol der Paneuropa-Union wählt Richard Coudenhove-Kalergi 1923 das Sonnenkreuz, ein rotes Kreuz auf goldener Sonne ..Die Sonne sollte den europäischer, Geist darstellen, der die Welt erleuchtet hat. Griechentum unc Christentum — das Kreuz Christ auf der Sonne Apollos — sind dit dauernden Grundlagen europäischer Kultur.“ So deutet der Gründer der Paneuropa-Bewegung selbst in seinen Lebenserinnerungen („Eine Idee erobert Europa“) sein Zeichen. Wir dürfen in dieser Sonne auch die Sonne Japans, Asiens sehen, die Sonne, die über alle Menschen leuchtet. — Der junge Richard Coudenhove-Kalergi liebt es, den Globus zu drehen. In der Betrachtung des Erdballs steigt 1919 die Vision vor ihm auf: Europa als geeinter Großraum neben den Großräumen Amerika, Sowjetunion, britisches Imperium und Japan-China. 1922, im Sommer, ruft er zur paneuropäischen Union, als Wegbereiter der Vereinigten Staaten von Europa, auf. Die österreichische Regierung wird in diesem Herbst 1962 an die vierzig Jahre die. ser Europabewegung, die von 1923 bis 1938 in Wien in der Hofburg ihr Zentrum hatte, festlich erinnern. 1955 schlägt Richard Coudenhove-Kalergi in seinem Werk „Vom ewigen Krieg zum großen Frieden“ einen fünfzigjährigen Waffenstillstand zwischen Ost und West vor, um Zeit zu gewinnen für das Heranreifen einer Weltföderation. In diesen ernsten Frühsommertagen 1962 hat er die Österreicher beschworen, eine „Insel der Liebe und der Brüderlichkeit, eine Oase in einer Wüste des Hasses“, eine wirkliche Brücke zu werden.

Dieser Mann aus ältesten Familien Europas und Asiens besitzt den „Muttermut“ (Hofmannsthal} des echten Konservativen: unerschüttert ist er durch die Krisen und Katastrophen seiner Europabewegung gegangen. Nach ihrem steilen Aufstieg in den Jahren 3 923 bis 1930 brach sie durch den Mißerfolg Briands, den Tod. Briands und Stresemanns und durch den Sieg Hitlers zusammen. Als durch den Anschluß Österreichs England 1938 wachgerüttelt wurde, kam es 1938 bis 1940 „zu einem neuen Aufflackern der Bewegung“, wie ihr Gründer selbst es nennt. 1943 begann, in Amerika, ihr neuer Aufstieg (Coudenhove-Kalergi entfaltete da eine reiche Tätigkeit), der 1946 nach Churchills Züricher Rede auf Europa übergriff. Heute stehen wir mitten In einem wirtschaftlichen Zusammenschluß Westeuropas, der fast atemberaubende Schnelligkeit angenommen hat. Gleichzeitig zeigt das Ringen um die EWG, um England, um die Beziehungen der Neutralen, wie ernst und wie verwickelt die Verhältnisse in der Geburtsstunde des neuen Europa geworden sind. Richard Coudenhove-Kalergi bedenkt heute vor allem zwei Probleme: den Ausbau einer Kernzelle Europas, in der Gemeinschaft Frankreich-Deutschland, und seine große Vision: ein Europa von Wladiwostok bis San Franzisko. als Lebensgemeinschaft aller Söhne Europas. Die Russen und Amerikaner sind Europäer, ihrer Herkunft und ihrer Zukunft nach . . .

Die Ankunft dieses Mannes, der vor 24 Jahren Österreich verließ' in diesem Krisenjahr Österreichs sollte Anlaß zu ernsten Auseinandersetzungen und Aussprachen in Österreich, über unsere Zukunft sein.

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