6723373-1965_21_14.jpg
Digital In Arbeit

RICHARD WAGNER IN WIEN

Werbung
Werbung
Werbung

Entscheidende Phasen des Kampfes um das Musikdrama haben sich in Wien abgespielt. Im Vorwort seines zweibändigen Werkes „Wagners Kampf und Sieg, dargestellt in seinen Beziehungen zu Wien“ klagt Max Morold darüber, daß gerade die auf Wagner bezüglichen Dokumente der Hoftheaterbehörden zum geringsten Teil auffindbar gewesen seien. Diese Lücke wurde im Jahr 1950 wenigstens zum Teil durch einen unerwarteten Fund geschlossen: Im Zuge einer Sichtung des Archivs der Bundestheater, die Direktor Egon Hilbert, deren damaliger Leiter, angeordnet hatte, wurde ein „Akt der Hohen Generalintendanz der k. u. k. Hoftheater, Z. 442/1884“ entdeckt, welcher neun bisher unveröffentlichte Briefe Wagners aus den Jahren 1875 und 1876, einen Brief Cosima Wagners und mehrere Telegramme enthält.

Wer diese Schriftstücke ein Jahr nach Wagners Tod in Venedig im Aktenschrank der Verwaltungskanzlei verwahrte, ist nicht bekannt. Wir wissen aber, daß sich eine gewisse Marie Lipsius, die unter dem Dichternamen „Lamara“ schrieb, mit einem Gesuch und der untertänigsten Bitte an Direktor Jahn gewandt hatte, die zwölf Originalbriefe des Dichter-Komponisten, die Eigentum der Generalintendanz waren, veröffentlichen zu dürfen. Da die Bittstellerin auch von einem Geheimrat Baron Wehli empfohlen worden war, entsprach die Generalintendanz dem Ansuchen mit dem Vermerk, es seien von Amts wegen „unverfängliche“ Auszüge aus den Briefen für die Antragstellertin zu machen, die noch höheren Orts zur Überprüfung vorgelegt werden müßten. Die Originalbriefe hätten „hierorts“ zu verbleiben. Soweit bearbeitet, wurde der kostbare Akt in den Schrank gelegt, beziehungsweise verlegt. Ob mit oder ohne Absicht, bleibe dahingestellt, und Frau Lamara wartete geduldig auf eine Erledigung. Schließlich aber war der Dienstweg länger als das Leben der Bittstellerin, und die Briefe blieben unveröffentlicht.

*

Doch zurück von den Akten zur lebendigen Wirklichkeit der Kunst: Zum erstenmal inszeniert ein Enkel Richard Wagners, Dr. Wieland Wagner, dn Wien. Dies ist der Anlaß, an Richard Wagners persönliche und künstlerische Beziehungen zu Wien erinnern. Sie reichen vom ersten Besuch des Neunzehnjährigen in der Kaiiserstadt bis zur Bayreuther „Parsifal“-Aufführung des Jahres 1882 in der berühmten „Wiener Besetzung“. — Schon der allererste Eindruck, den Wagner von Wien empfing, war zwiespältig und insofern charakteristisch, als er sich in späteren Jahren kaum wesentlich verändern, sondern nur im Positiven und Negativen vertiefen sollte. Er ist entzückt von dem heiteren Treiben der Bewohner — „ihre leichtsinnige und nicht sehr unterscheidende Genußsucht galten mir für natürliche und offene Empfänglichkeit für das Schöne“ —,. aber er fühlt sich, trotz einer guten Aufführung von Glucks „Iphigenie auf Tauris“, die er besuchte, ahgestoßen vom musikalischen Geschmack der breiten Massen. Wohin er kommt, überall klingen ihm Melodien aus Herolds „Zampa“ und von Donizetti entgegen. — Ähnlich zwiespältig reagierte die Wiener öffentliche Meinung in späteren Jahren auf Wagners Werk: Hier gab es die illustre Reihe der frühesten Wagner-Enthusiasten, und hier saß auch sein erbitterter, federgewandter Gegner: Eduard Hanslick. Und als die Beziehungen Wagners zu Wien ihren kritischen Höhepunkt erreichten — in der Zeit, als Wagner einen aufreihenden Kampf um die Aufführung des „Tristan“ führte —, schrieb der Kapellmeister Esser das charakteristische Wort an Schott: „Wagners .Tristan' lastet wie ein Alp auf meinem Herzen. Wir können mit ihm nicht leben und nicht sterben ...“

*

Wagner-Musik — und zwar das Vorspiel zum 3. Akt des „Lohengrin“ und der Pilgerchor aus „Tannhäuser“ — erklang zum erstenmal im Jahre 1853 in Wien: im Volksgarten, gespielt von Johann Strauß und seinem Orchester. Ein Jahr später war es wieder Strauß, der sich mit seinem speziell zu dieser Aufführung auf 54 Mann erweiterten Orchester für das Vorspiel zu „Tannhäuser“ einsetzte. (In

späteren Jahren hat Strauß bekanntlich auch Teile aus „Tristan“ — „uraufgeführt“!) Aber das erste Bühnenwerk wurde nicht in Wien, sondern — 1854 — in Graz gegeben. Drei Jahre später folgte das „Thalia-Theater“, welches von Johann Hoffmann geleitet wurde, der in Riga unter Wagner gesungen hatte und über Prag und Frankfurt nach Wien gekommen war. Im Jahr darauf empfing Wagner in Zürich den Besuch des Kapellmeisters Esser, der von der Direktion der Hofoper zu ihm entsendet war, um die Aufführungsrechte des „Lohengrin“ für das Kärntnertortheater, das damalige Hofoperntheater, zu erwerben. Knapp zwei Monate später wurde „Lohengrin“ zum erstenmal an dieser Bühne gegeben. — Da das Kärntnertortheater wegen seines geringen Fassungsraumes keinen Gewinn abwarf, konnten auch keine Tantiemen berechnet werden, und man bot Wagner — womit er sehr einverstanden war — 1000 Gulden für die ersten zwanzig Vorstellungen und weitere 500 für die etwa noch folgenden. In ähnlicher Weise wurden unter der Direktion Eckerts auch die übrigen „romantischen“ Opern Wagners für das Hoftheater erworben. Am 25. Mai 1869 wurde das neue prächtige Haus am Opernring eröffnet, 1870 zogen dort „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ ein, im folgenden Jahr auch der „Fliegende Holländer“. Und damit sind wir an jenem Punkt angelangt, auf den sich die eingangs erwähnten Briefe Wagners beziehen. Diese sind alle an den damaligen Direktor des k. k. Hofoperntheaters, Franz Jauner, gerichtet, der Wagner aufgefordert hatte, seine Opern „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ dm Opernhaus am Ring neu zu inszenieren. In einem Brief vom 28. Juni 1875 antwortet Wagner (der damals mit der Vorbereitung der ersten Bayreuther Festspiele voll beschäftigt war):

„Wahrlich ist durch meine neueren Erfahrungen der Widerwille, mit unseren Operntheatern überhaupt mich je wieder zu befassen, bis zum heftigsten Grade gesteigert worden. Noch vor kurzem würde ich auch nicht im Entferntesten daran gedacht haben, gerade auch mit dem Wiener Hofoperntheater in irgendwelche Verbindung zu treten ... Was mich nun hiergegen bestimmen konnte, war einzig der ideale Eifer des Barons Hof mann, sowie Ihr eigenes, von großer Sachkenntnis genährtes Feuer, lieber Herr Jauner. Die durch Sie Beide veranlaßten allgemeinen Bestimmungen, welche einzig dazu dienen sollen, stets nur correcte und gute Aufführungen dem Publikum zu bieten, haben mich hierfür gewonnen, Ihnen nach meinen, jetzt bereits so sehr ermüdeten Kräften behilflich zu sein. Nun aber auch, halten wir mit unerschütterlichem Ernst darauf, was wir uns vorgenommen: wollen wir Nichts, um des bloßen Anscheines wegen, erzwingen, wozu wir nicht die vollen Kräfte besitzen! Wie oft sind einem Publikum schon“,Muster'-Aufführungen vorgespielt worden, an welche die eigenen Veranstalter keinen Glauben haben konnten, und die deshalb auch spurlos vorüber gingen. Sage ich es aufrichtig: untet Ihrem ganzen Personale weiß ich keinen Einzigen, der mich zum Studium mit ihm reizte, außer etwa der Materna und Scaria, welche ich mir deshalb für Bayreuth erkoren habe...“

, *

Nach der Erörterung einiger Rollenbesetzungen heißt es dann weiter:

„Wünsche ich aber mit dem“,Tannhäuser' anzufangen, so muß ich Sie bitten, dieses Werk als eine ganz neue Oper anzusehen. ... Im Laufe des Winters noch“,Lohengrin' nach meinen Intentionen folgen zu lassen, halte ich für möglich. — Den .Fliegenden Holländer' gedenke ich zu überarbeiten, und ihn dann Ihnen zuerst zuzuwenden. — Vor .Tristan' warne ich Sie!!! Jedenfalls geben Sie ihn nicht eher, als bis wir durch andere Aufführungen uns dafür vorbereitet haben ... Sie werden sich über die Ausdehnung dieses Briefes verwundern? Ermessen Sie, welchen Ernst ich in diese Sätze setze: Leicht kann es Ihnen zu groß sein! Jedoch hatte ich gerade jetzt noch die nöthige Zeit zu solchen Erörterungen, und mein Bedürfnis ist — Klarheit. Wie ich höre, wird das Wiener Hof-Operntheater manchen anderen Experimenten offen gestellt sein, mit welchen ich mich nicht in Rivalität gebracht zu sehen wünschte: nichts könnte mir

toller vorkommen, als mit Herrn Verdi in Nebenbuhlerschaft zu gerathen, zumal mir nicht wenigstens in jeder Hinsicht vollkommene Aufführungen zu Gebote stünden, wie sie jene Herren mit sicherem Instinkte zu garantieren wissen. Tragen Sie daher irgendwelche Bedenken gegen meine Auffassung und meine Vorschläge, so würde ich lieber sehen, Sie gäben es ganz mit mir auf; denn, was mich anzieht, ist der Gedanke, das Wiener Hof-Operntheater zu einem wahrhaft mustergiltigen zu machen, damit meine Werke dort

irgendwie eine dauernde Stütze gewinnen. Soll dies nicht sein, so verlasse ich mich allein auf meine Bayreuther Unternehmung, und — begnüge mich mit derem Erfolge.“

*

Trotz all dieser Bedenken und Vorbehalte von selten Wagners fand die Aufführung des „Tannhäuser“ am 22. November 1875 unter der Leitung Hans Richters statt. Labatt sang den Tannhäuser, Frau Ehnn die Elisabeth, Louis von Bigno den Wolfram und Amalia Materna — in einem eigens von Makart entworfenen weißen, fließenden Gewand — die Venus. Schon während der Proben hatte sich Wagner mit den Leistungen der Sänger immer zufriedener gezeigt. Bei der Premiere hatte das ungekürzte Werk einen solchen Erfolg wie noch keines vorher im neuen Haus. Nach den beiden ersten Aufzügen dankte Wagner von seiner Loge aus, in welcher er mit den Seinen und der Gräfin Dönhoff saß. Nach dem Dritten Aufzug trat Wagner auf die Bühne und hielt eine seiner berühmten Ansprachen: „Es werden im Mai fünfzehn Jahre sein, daß ich bei Ihnen in Wien zum erstenmal meinen .Lohengrin' zu hören bekam. Sie haben mein Streben damals überaus freundlich begleitet, und heute scheint sich das wiederholen zu wollen, indem ich es versuche, soweit die vorhandenen Kräfte reichen, Ihnen mein Werk noch deutlicher zu machen. Haben Sie herzlichen Dank für diese Aufmunterung!“ Einen ihm vom Orchester überreichten Lorbeerkranz gab er an die Darstellerin der Elisabeth weiter, und der Abend verlief in ungetrübter Harmonie. Am nächsten Tage griff die Presse die mißverständlichen Worte — „soweit die vorhandenen Kräfte reichen“ — auf und startete eine Kampagne gegen Wagner: die Sänger seien zutiefst verletzt, und einzelne, mit Namen bezeichnete, verlangten eine „versöhnende Ehrenerklärung“. Hierauf bezieht sich der nachfolgende Brief, den wir also mit dem 23. oder 24. November datieren können, denn am 25. November wurde das Mißverständnis durch eine Erklärung beseitigt, welche Wagner in Anwesenheit aller Sänger, Richters und Hellmes-bergers abgab.

„Lieber Herr Director!

Ich erfahre, daß einige Worte aus meiner, am Schluß der letzten Aufführung des“,Tannhäuser“ an das Publikum gerichteten Ansprache, als dem geehrten Künstlerpersonal des K. K. Hofoperntheaters nachtheilig gedeutet worden sind. Wollen Sie, zur Vermeidung thöriger Mißverständnisse, meinen freundlichen Kunstgenossen den richtigen Sinn meiner Wort dahin zu erkennen geben, daß ich über die neueste Kundgebung der Theilnahme des Wiener Publikums besonders aus dem Grunde mich erfreut zeigte, weil ich sie meinem Vorhaben, meine Werke mit den gegebenen Kräften eines bestimmten Theaters zu möglichst mustergiltiger Auf-führung zu bringen als förderlich ansehe. Diesem füge ich zu näherer Erklärung hinzu, daß ich seit Jahrzehnten den gleichen Versuch bei keinem Theater anzustellen mich bewogen fühlen konnte, sondern wo ich mich hierauf einließ (wie seiner Zeit an dem K. Hoftheater in München), ich zur Ergänzung des gegebenen Personales durch Herbeiziehung fremder ausgezeichneter Kräfte mich veranlaßt sah. Daß ich zu einer gleichen Maßregel für die Aufführung meiner Werke in Wien mich nicht gedrängt fühlte, und dagegen der Direction des K. K. Hofoperntheaters meine Unterstützung für die ausschließliche Verwertung ihrer eigenen Kräfte zusagen konnte, dünkt mich keine Geringschätzung dieses Personals auszudrücken, und wird hoffentlich nach dieser Erklärung nur als eine herzliche Anerkennung seiner Vorzüge verstanden werden.

Hochachtungsvollst Richard Wagner“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung