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RITTERSPIEL

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Diesen Geruch werde ich nie vergessen: ein Gemisch von Küche, Wäsche, Baldlriantropfen und Weihrauch, sobald man die alte Tür hinter sich zugemacht hatte. Wenn ich mich heute daran erinnere, ist sofort alles da:

. .. Die Nonnen, sie eilen über den welligen Steinboden, er glänzt vor Nässe, eine Schwester ist ständig dabei, ihn zu wischen, der lange Rosenkranz aus Holz baumelt am Gürtel, ein Bild der heiligen Elisabeth im Stiegenhaus. „Das Rosenwunder“., sehr farbig, und darunter immer Blumen, im Sommer Lilien, schwerer Duft, die übersättigte Luft vermag ihn nicht mehr aufzunehmen, er sinkt zu Boden, süß und säuerlich zugleich. Gekicher einer Irren, sie führt eine andere über den Gang, die geht wie eine große Tragödie, hin und wieder verbeugt sie sich tief, die Arme steif an die Seiten gelegt, eine Schwester schiebt einen Kinderwagen vorbei, er hat keinen Gummi an den Rädern, man hört ihn schon von weitem, etwas darin, Kind oder Greisin, mit zwei Zöpfen aan Kopf, ganz dünnen, und roten Schleifen .. .

Damals aber, als mein Vater und ich eingeladen waren zum Theaterspiel, hatte sich die Atmosphäre von Kloster und der Nähe der Schwachsinnigen so verdichtet, daß man in eine andere Welt trat. Draußen, woher wir kamen, versuchten die Menschen sich wie Narren zu gebärden, und hier versuchten die Narren voller Ernst die Außenwelt nachzuahmen. Es sollte eine Mischung aus Ritterdrama und Märchen gespielt werden, mit drastischen Mitteln und einfachsten Worten. Da es im Elisabethenheim nur weibliche Insassen gab, waren alle Rollen mit Frauen besetzt. Die Oberin erzählte uns später, daß es im Kampf um Ritter, Prinzessin und Burgfräulein Tränen und Wutanfälle gegeben habe

Wir kamen gerade dazu, als die Kostüme ausgegeben wurden. Die Schwestern schienen schon etwas abgekämpft, die Schleier welk und die weißen Stirnbinden verrutscht. Von überall, wo man hinsah, liefen sie herbei und brachten die wunderlichsten Dinge, um die Schauspieler zu schmücken. Wie eine schwarze Traube hingen sie an ihrem Haupthelden, dem „edlen Ritter“, und zogen gerade einen verschlissenen Chorrock über seine lange Gestalt, darüber einen Samtmantel, rot, mit goldenen Borten. Er — oder sie — stand da, jämmerlich mager unter dem Prunk, die strähnigen Haare an den Kopf gebürstet, vogelartig sah es aus, der kleine Kopf mit der niedern Stirn, dazu Augen, die vor, fanatischer Begeisterung glänzten. Die Küchenschwester, die noch ihre blau-weiß gestreifte Schürze trug, hob sich auf die Zehen und klebte kichernd den spitzen Bart an, eine andere stülpte ihm das Prachtstück, einen Helm, auf den Kopf, einen richtigen Helm, wenn auch unbestimmbarer Herkunft. Oh, ernsthafter Don Quijote, statt der Lanze hieltest du nur ein mit Goldpapier überzogenes Holzschwert in der Hand! Deiner edlen Prinzessin von Toboso aber hatte man am vorhergehenden , Abend das Haar in viele, viele Zöpfchen geflochten und jetzt ausgekämmt. Es umstarrte den Kopf wie eine Perücke. Von Zeit zu Zeit griff sie mit beiden Händen hinauf, um die Krone zu befühlen, die man ihr aufgesetzt hatte, ihr Gesicht verklärte sich und es wurde ergriffen und verwandelt durch den Ausdruck vollkommenen Glücks.

Wir hatten uns gerade umgedreht und wollten in den Saal gehen, da schrie und kreischte es hinter uns. Die Oberin eilte herbei und stürzte sich energisch in die Lärmquelle, in den Knäuel aus Ritterdamen und Helden, der sich um eine geduckte , Gestalt in schwarzem Radmantel zusammengeballt hatte. Sie war zuerst Ziel des Angriffs gewesen, aber da sich die edlen Damen gegenseitig auf'die Schleppen getreten waren, gingen* sie schließlich aufeinander los und bearbeiteten sich ziemlich unsanft. Doch die kleine, runde Oberin ruderte hindurch, und in ihrem Kielwasser zogen die feindlichen Parteien vereint auf den Ursprung des Streites zu. Schwarz und finster saß er auf einem Küchenhocker, ganz der „böse Ritter“ des Spiels, die Kappe mit der langen Feder tief in die Stirn gedrückt. Er hielt mit beiden Händen das goldene Schwert seines Gegenspielers, des „edlen Ritters“, umklammert. Während sein schwerfälliger Blick langsam dem Wahrnehmen des Angriffs entgegendämmerte, hatte ihm die Oberin das Schwert bereits entrissen.

„Wir haben nur eines, du brauchst es ja nicht zum Spiel. Sei gut!“ — Sie gab es dem „edlen Ritter“ zurück.

„Du mußt viel besser darauf aufpassen, es gehört doch zu deiner Rolle ...“, und sie begleitete uns in den Saal.

Mein Vater war Hausarzt des Elisabethenheimes und ich w,.r damals etwa zwölf Jahre alt, wild und ungebärdig. Nun saß ich in der ersten Reihe des Saales, unter Nonnen, Ehrengästen, Geistlichen und Irren. Der Vorführraum war einfach dadurch entstanden, daß man von einer Wand zur anderen einen Strick gespannt hatte — der Saal war lang und schmal — und die damals üblichen, aber gerade im Kloster nicht sehr beliebten Fahnen aus rotem Stoff mit weißem Kreis und schwarzem Kreuz so zusammengenäht und oben umgeschlagen hatte, daß man einen Strick durchziehen und den Vorhang nach beiden Seiten auseinanderschieben konnte. Noch war er geschlossen, doch die Bewegungen dahinter schienen so heftig zu sein, daß er wild hin und her wogte. Von Zeit zu Zeit gellte eine Stimme heraus, die „Seht, da kommen sie!“ übte, wie ein Schulkind, das eben lesen gelernt hat. Plötzlich erschien das Gesicht der Oberin, selbst vor dem roten Vorhang noch rot, und winkte mit dem Kinn aufgeregt in meine Richtung. Beglückt darüber, daß endlich etwas geschah, tauchte ich unter dem Vorhang durch. Beinahe hätte ich das Burgtor umgestoßen, das wichtigste Merkmal des Schauplatzes, das die Schwestern von irgendeinem Winkeltheater ergattert hatten. Auf Pappe waren große Steine gemalt und dazwischen ein eisernes Gittertor mit drohenden Spitzen. Neben diesem gewaltigen Anblick war die übrige Innenausstattung der Burg belanglos. Ein klobigeT, alter Tisch, einige mit Decken behängte Stühle . . . Auf einem von ihnen saß nun der „edlen Ritter“ und heulte, daß die Tränen in den angeklebten Bart liefen, die Prinzessin saß da und hielt zärtlich ihre Krone im Schoß, der „böse Ritter“ saß da, in der Haltung eines störrischen Hundes, der alle viere von sich spreizt und nur bewegt werden kann, wenn ihn sein wütender Herr wie einen Schlitten über den Boden schleift.

Die Oberin packte mich: „Er mag nicht, was, sie mag nicht, der ,böse Ritter' mag nicht. Du mußt ihn spielen, bist groß genug, brauchst nur grimmig tun, mit den Fäusten herumfuchteln, ein wenig brüllen, du kannst es ja gut, die Prinzessin stehlen, dabei erwischt dich der ,edle Ritter', will dich erstechen tut's doch nicht, und du verschwindest!“

Ich war begeistert. Doch ein neuer Widerstand hemmte unsere Bestrebungen: Der „böse Ritter“ ließ sich nicht ausziehen. Er zog seinen Radmantel fester um die Schultern und starrte uns finster an.

„Das Rheumafell!“ rief eine der Schwestern, und schon rannten- sie zu dritt davon und brachten ein großes Katzenfell, das seit Jahren aller* Schwestern des Klosters zur Austreibung sämtlicher Hexenschüsse diente. Und nun kamen die Schwestern über mich. Während mir eine das Katzenfell wie das Goldene Vlies um die Brust band, hielt eine andere meinen Kopf fest und bemühte sich, mir mit Ruß und schlechtschmeckenden Stiften das Gesicht eines Bösewichtes aufzumalen. Der Erfolg war großartig, das bewies mdr später das Gelächter bei meinem ersten Auftritt. Aber noch hatte ich keine Kopfbedeckung. Die federgeschmückte Kappe saß fest auf dem Kopf des „bösen Ritters“, der gerade, unserem Treiben entrückt, wie hypnotisiert um den ,,edlen Ritter“ herumschlich. Da nahm ihm, ehe er es begriff, eine Schwester schnell die kühne Kopfbedeckung weg, und — damit gleichsam endgültig seiner Rolle und seiner Kräfte beraubt — trollte sich mein abgesetzter Kollege davon, die Arme unter dem Mantel vergraben Der „edle Ritter“ hatte inzwischen seine Haltung wiedergefunden. Er sah über uns hinweg, die Augen ins Leere gebohrt, lang, hager, mit Helm und dünnem Bart, wahrhaftig ein Don Quijote, der in Bereichen, die wir nicht wahrnahmen, gegen Gespenster und Windmühlen kämpfte.

Endlich war es soweit. Der rote Vorhang teilte sich und das Spiel begann. Ich saß zusammengekauert, unter dem Tisch des Burggemaches, von der Tischdecke verborgen, und sah unter ihrem Saum gerade noch, wie sich die seltsamsten Schuhe vorbeibewegten. Nie hatte ich vorher Schuhe so deutlich wahr-, genommen. Die Stimmen, die dazugehörten, gingen im Gelächter der Zuhörer fast unter. Ich mußte mein Stichwort abwarten, dabei wurden die Schuhe vor mir zu Wesen für sich, zu getretenen, zerrissenen, verbeulten, häßlichen Wesen ... Das Lachen des Publikums schien nicht abzureißen. Es war heiß und eng unter der Decke, ich wagte nicht, mir den Schweiß von der Stirn zu wischen, das Gelächter klang mir plötzlich gar nicht mehr lustig, eher wie Geheul, wie losgelassenes Weinen ... Jetzt waren die braunen Schuhe mit dem verzogenen, knolligen Gesicht ganz in meiner Nähe, es mußten jene der Prinzessin sein, ich hörte ihre weinerliche Stimme, da kam mein Stichwort. Es wurde dunkel, ich sprang hervor, riß die Tischdecke mit, die Prinzessin zu mir, brüllte, rollte die Augen und sollte dies weiter betreiben, bis der „edle Ritter“ mir sein Schwert auf die Brust setzen und die Prinzessin befreien würde.

Doch der „edle Ritter“ rührte sich nicht. Ich schüttelte die Prinzessin wie ein Kleiderbündel, stieß noch gräßlichere Laute aus und hörte, wie das Lachen anschwoll, ich verdrehte meine Augäpfel, um den Gegner zum Angriff zu bewegen, und erkannte plötzlich mit Schrecken, warum der „edle Ritter“ nicht zur Tat schreiten wollte: er hatte kein Schwert. — Mein Hals wurde trocken, ich brachte keinen Ton mehr heraus, sie lachten noch immer... Da bewegte sich mit einemmal der „edle Ritter“ mit erhobenen Händen und gespreizten Fingern langsam auf mich zu... das Gesicht wie trunken . . von einem unheimlichen Feuer durchglüht, das immer näher auf mich zukam... die schrecklichen Finger vorgestreckt... die Arme, nie hatte ich noch solche Arme gesehen, fleischlos, mit Sehnen, die sich wie Stricke spannten... meine nasse Hand umkrampfte immer noch die der Prinzessin, ich stand erstarrt... schon legten sich die Finger um meinen Hals... da schrie ich, schrie ich, schrie ich, daß die Zuschauer entsetzt von den Stühlen sprangen. Der „edle Ritter“, aus seinem Spiel gerissen, ließ verwundert und traurig die Hände fallen.

Ob sie das Stück zu Ende spielten weiß ich nicht. Ich lag im muffigen kleinen Empfangsraum, auf das altmodische, fransenbehängte Sofa hingeworfen, schluchzend und weinend. Meine Arme und Beine hatte ich so nahe als möglich an den Körper gezogen, um nichts von der Umwelt zu berühren. Die Augen, von Ruß und Tränen brennend, hielt ich fest zusammengepreßt. Ich hörte mein Herz schlagen, neben mir, über mir, fremd, losgelöst von mir und meinen Wünschen, in der Unsicherheit eines feindlichen Daseins.

Das goldene Holzschwert fand „man am nächsten Morgen unter dem Kopfkissen des abgesetzten „bösen Ritters“.

Als ich aus diesem für mich damals noch ziemlich dunklen und wirren Erlebnis wieder aufgetaucht war, begegnete ich, Tage darauf, in der Stadt einem seltsamen Zug: voran eilte eine kleine, bewegliche Schwester aus dem Elisabethenheim, hinter ihr trabten zwei Pfleglinge, die einen großen, geflochtenen Korb zwischen sich trugen. Die eine war lang und hager, die andere untersetzt und kräftig. Sie blieben von Zeit zu Zeit ruckartig stehen, um gebannt in ein Schaufenster zu starren. Ihnen folgte, zierlich und hoheitsvoll bemüht, mit ihnen Schritt zu halten, eine Gestalt, die einen blütengeschmückten Strohhut aus längst vergangenen Tagen trug. Der Zug bewegte sich durch das Alltagsgewimmel des Marktes, vorbei an weißen und violetten Fliedersträußen, an leuchtend roten Radieschen, und hinter ihnen bildete sich eine Gasse von Neugier, Gekicher und Scheu. Sie kamen gerade auf mich zu und ich erkannte sie. Die beiden Korbträgerinnen waren der „edle“ und der „böse Ritter“ und die Gestalt mit dem Strohhut die. Prinzessin- Da durchzuckte mich, mitten, im sonnigen Tag, ein eisiger Schreck, Ich verbarg mich schnell in einem Haustor, und als sie vorbei waren, sah ihnen nach, bis sie im gewohnten Bild der Straße verschwunden waren.

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