6615018-1955_26_01.jpg
Digital In Arbeit

Rom, Via Po 21

Werbung
Werbung
Werbung

Das Haus im „Flüsseviertel“ der italienischen Kapitale verrät unschwer sein Lebensalter. Es ist in jenem „Gründerstil“ erbaut, der gleich wenig anspricht, ob er sich wienerisch oder römisch gibt. Die nahe Villa Borghese macht den Kontrast zu edler Architektur nur noch stärker. Pietro Mascagni hat hier, nachdem ihm der späte Erfolg zuteil geworden war, gelebt. Nun klingen nicht mehr die Takte der „Cavalleria rusticana“ und anderer, bereits verschollener Werke des Maestro durch das Haus. Sie wurden abgelöst durch das harte Klappern vieler Schreibmaschinen. Die Stille von einst ist geschäftigem Kommen und Gehen gewichen. Via Po 21 beherbergt heute das Hauptquartier der Confederazione italiana sindacati lavoratori (CISL), jener von christlichem und demokratischem Gedankengut geprägten freien Gewerkschaft, deren eindrucksvoller Erfolg in den Fiat-Werken erst unlängst weit über die Grenzen Italiens hinaus beachtet und kommentiert wurde.

Gewerkschaftsspaltung! Hier in Italien kann man studieren, was für Folgen eine solche einschneidende Maßnahme nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern für den Staat und das gesamte öffentliche Leben hat. Sie war unausweichlich, als der nach dem Krieg gegründete allgemeine Gewerkschaftsbund CGIL zu einem Werkzeug der kommunistischen Propaganda und Taktik geworden war. Den alten Gewerkschaftern, die die lange Aera des Faschismus durchgestanden hatten, fiel der Schritt bestimmt nicht leicht. Allein sie taten ihn fest entschlossen, wollten sie doch nicht Wegbereiter eines neuen Totalitarismus werden. Seitdem stehen die Männer der CISL, wie sich der neue Bund freier Menschen nannte, zwischen zwei Feuern: den nicht immer sehr verständigen Unternehmern der Apenninhalbinsel und der kommunistischen Demagogie. Hinter dieser steht aber im Falle Italien auch noch eine schlagkräftige Organisation. Denn noch immer verfügt die CGIL selbst nach Schätzungen ihrer Gegner über 3 Millionen Mitglieder, während die CISL sich nur durch jahrelange zähe Organisationsarbeit auf über 2 Millionen Mitglieder hinaufgearbeitet hat. Wir sprachen von zwei Feuern. Eigentlich aber müßten wir von drei sprechen, zwischen denen die Männer der CISL stehen. Denn neben ihrer Organisation hat sich auch noch als gewerkschaftliches Zentrum der Sara-gat-Sozialisten die UIL mit ungefähr vierhunderttausend Mitgliedern konstituiert. CISL und UIL ziehen zwar an einem Strang, aber es fehlt nicht an Eifersüchteleien und Reibereien im Alltag. Vor allem ist es ein lautstarker „Antiklerikalismus“, der von seifen der UIL oft die größeren Perspektiven trübt. „Wir sind ein Land mit sehr viel Vergangenheit. Nicht nur Steine sind von ihr zurückgeblieben“, sagt der Pressechef der CISL, Dr. Luigi B e 1 o 11 i, der den Verfasser in der Via Po 21 empfangen hat und nun durch das Haus führt. Sein Lächeln ist eher schmerzlich als spöttisch, als er auf diese ideologischen „Traditionen“ seines Landes zu sprechen kommt. Der Verfasser hätte ihn mit anders gelagerten, aber ähnlichen Vergleichen trösten können. Er hat es aber wohlweislich unterlassen.

Das Wort „Hauptquartier“ für den Sitz der Zentrale der CISL ist nicht nur ein martialischer Vergleich, sondern entspricht der Situation in der Via Po. Das Haus, welches auch im Innern schon lange seinen Jahrhundertwendeglanz eingebüßt hat, gleicht tatsächlich dem Stab einer Feldarmee. Hastig montierte Telephonkabel, schmucklose Büroräume, improvisierte Beratungen in der Ecke irgendeines Saales. All das vermittelt den Eindruck: hier ist eine Truppe in voller Bewegung.

Und tatsächlich. Es geht vorwärts! Der Erfolg bei Fiat ging als Nachricht um die Welt. Allein er war kein Einzelfall, wie Dr. Belotti und seine Mitarbeiter immer wieder mit besonderem Nachdruck betonen. Ueberau, angefangen von den Pirelli-Werken in Mailand bis hinunter zu verschiedenen Groß- und Kleinbetrieben1 in Neapel, habe die Liste der CISL bei den Wahlen in die „commissioni interne“ — die Betriebswahlen — im letzten Jahr Erfolge erzielen können. Meter um Meter manchmal nur, aber immerhin, es wurde Boden gewonnen. Statistiken belegen diese Behauptung.

„Die Gründe für diese Aufweichung der starren Fronten?“ Die Leute der CISL stellen ihr Licht nicht unter den Scheffel und lassen die Kleinarbeit ihrer Organisation, die nun die ersten reifen Früchte einträgt, nicht unerwähnt. Sie weisen aber auch auf einen Klassenkampf innerhalb der KPI hin. (Diese ist nur zu einem Bruchteil eine Arbeiterpartei.) Die verständnisvolle Haltung mancher Unternehmer, die auf Grund der Erfahrungen der „human relations“ ernstlich an einer Verbesserung des innerbetrieblichen Klimas arbeiten, wird objektiverweise als dritter Grund für die Rückschläge des Kommunismus unter der italienischen Arbeiterschaft in den letzten Monaten angeführt. Man ist guten Mutes ...

Stimmengewirr hinter einer Glastür. Eine lebhaft diskutierende Gruppe — lebhaft diskutierend auch für italienische Verhältnisse — umdrängt einen Tisch. Die eben von meinen Begleitern noch geäußerten optimistischen Töne verstummen. „Es geht um unser Sorgenkind: den Süden ...“

„II mezzogiorno... der Süden!“ Mit wem immer man in Italien spricht, immer taucht „der Süden“ als ein eigener Gesprächspunkt auf. „Wir haben oft bis in kleine Dörfer unsere Zellen vorwärtsgetrieben, die Leute rufen auch unsere Hilfe an, kommt es aber zu einer Wahl, dann folgen sie todsicher wieder dem Ruf irgendeines Herzogs oder anderen Notablen. Das sind die einen, doch die anderen gehen unseren linken Freunden — langsam aber sicher — in ihr Garn.“ Und Müdigkeit klingt aus Doktor Belottis Stimme: „Was wollen Sie tun, wenn hier der Klerus oft nicht einmal die sozialen Enzykliken versteht — verstehen will.“

Doch die Wolke verschwindet wieder. Kampfeslust kehrt in den kleinen, nicht mehr ganz jungen Gewerkschafter zurück, als ihm die Fraee gestellt wird, was nach der Meinung der CISL getan werden müßte, um die italienische Demokratie gegenüber allen Angriffen von links und rechts zu stärken. Der V a n o n i - Plan wird auch hier als eine große Hoffnung begrüßt. Von seiner unverwässetten energischen Durchführung hänge viel ab. Eine genaue Abgrenzung der Lasten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sei aber hierzu noch besonders notwendig.

Der gegenwärtige Gesprächspunkt erlaubt eine gute Ueberleitung zu den schwebenden politischen Fragen. Die parteipolitische Ebene wird von den Männern der CISL nur mit Vorsicht betreten. Der neue Präsident — noch wenige Tage vor seiner Wahl zum Staatsoberhaupt hatte Giovanni G r o n c h i vor dem 2. Kongreß der CISL ein großes Referat gehalten — hat hier gute Freunde. Auch gegenüber der Führung der Democrazia Cristiana betont man seine gute Gesinnung, verschweigt aber nicht, daß diese Freundschaft mitunter auch kritische Worte in sich birgt. Die gerade in diesen Tagen wieder heißumstrittene Zen-trumskoalilion, Aei „Quadripartito“, findet bei Giulio Pastore und den Seinen vielleicht die größten Sympathien. ,,Ein Jahr Zentrumskoalition nach verschiedenen mißglückten Experimenten — und sowohl die Parteien der Rechten wie der Linken sind im Rückzug.“ Von einer CD-Alleinregierung,, die auf wechselnde Mehrheiten angewiesen ist, hält man in der Via Po nicht viel. Nenni wird als „Mann mit gespreizten Beinen“ angesehen. Mit dem einen Bein stehe er im Totalitarismus, mit dem anderen wolle er auf dem Boden der Demokratie Fuß fassen. Zweifel an seiner Ehrlichkeit werden nicht verschwiegen, jedoch blieb nicht unbeachtet, daß der Spalt zwischen den Nenni-Leuten und der Gefolgschaft Togliattis im letzten Jahr breiter geworden sei. Man verfolgt mit Interesse alle diese Vorgänge, hält jedoch den Zeitpunkt für eine völlige Umgruppierung der italienischen Innenpolitik für verfrüht.

Beim Abschied bekomme ich aber noch ein persönliches Beispiel, wie ernst es der CISL mit ihrer Politik der offenen Tür gegenüber allen Demokraten ist. Ein Mitarbeiter Dr. Belottis tritt ein. Er wird freundschaftlich begrüßt und als Veteran des spanischen Bürgerkrieges, in dem er gegen Franco kämpfte, vorgestellt. „Unser Freund ist Sozialist, aber nicht Antiklerikaler'“, erläutert der Pressechef der CISL und sein Gefolgsmann nickt Zustimmung.

Via Po 21. Verklungen sind die Melodien Mascagnis. Der Ruf „Per pane, pace e libertä... Für Brot, Friede und Freiheit“ dringt statt ihnen aus dem Hause nahe der Villa Borghese.

Hier wohnen treue Söhne der italienischen Demokratie, gute Christen und aufgeweckte Menschen des 20. Jahrhunderts. Die Republik Italien hat in allen ihren Krisen hier eine ihrer stillen Kraftreserven.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung