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Roman eines Romans

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Die hochangesehene, viel gelesene Romanautorin Dacia Maraini (die 50jährige lebt in Rom) hat ein großartiges Bravourstück zustandegebracht. Ihre „Nachforschungen über Emma B.” untersuchen von neuem den meistanalysierten und berühmtesten Frauenroman der Weltliteratur. Das Ergebnis wirkt wie neu, spannend, wird zum Boman jenes grundlegenden Liebesromans und seines Autors Gustave Flaubert.

Er hat es stets abgelehnt, eine Autobiographie, zu schreiben, und trotzdem sind wir über sein Leben und den komplexen Charakter besser orientiert als bei allen seinen Zeitgenossen; denn Flaubert war ein unermüdlicher Briefschreiber: „Die Biesenkorrespondenz mit den Autoren der Epoche und der langjährigen, verheirateten Geliebten, der Dichterin Louise Co-let, bekennt detailliert Leben, Allüren und seine eigenwilligen Ansichten über Welt und Literatur.

Gustave Flaubert (1821- 1880) hat die „Madame Bovary” 1851 begonnen und mit qualvoller Pedanterie ein halbes Jahrzehnt daran gearbeitet. 1856 erschien der Roman in Fortsetzungen in der „Revue de Paris”, ein Jahr später als Buch. Es kam wegen unmoralischer Passagen zum Strafprozeß gegen den Verfasser und den Herausgeber der „Bevue”, doch wurden sie freigesprochen. Nicht freigesprochen wurde Flaubert von einer Reihe Lebender, die sich in dem Buch porträtiert glaubten; der fanatische Bealist hatte viele Episoden und Konstellationen der Bealität entnommen.

Zwar hat er bekanntlich behauptet „Madame Bovary, c'est moi”, was manches für sich hat, das amoralische Wesen Emma Bovarys betreffend. Die Story ging auf Zeitungsmeldungen über eine Skandalaffaire zurück: Eine gewisse Delphine Delamare, Gattin eines Landarztes, hatte diesen aus Langeweile betrogen, Schulden gemacht und sich aus Verzweiflung 1848 vergiftet. Das wäre aber eine Inhaltsangabe, die der Sprach- und episodischen 'Konstruktionskunst so gut wie alles schuldig bliebe. Dacia Maraini erklärt anhand hunderter Indizien, was der Bomancier aus der banalen Vorlage machte: ein literarisches Kreuzworträtsel.

Louise Colet, Geliebte Flauberts von 1846 bis 1856 mit dreijähriger Unterbrechung, wurde zum Hauptmodell für die unselige Emma. Flau-bert schrieb ihr zahllose Briefe, auch über seine Arbeit, hat Freunden stundenlang aus dem Manuskript vorgelesen, Louise jedoch nie auch nur eine Zeile des entstehenden Romans gezeigt. Als die Veröffentlichung bevorstand, brach er mit einem brutalen Abschiedsbrief mit ihr. Sie war von der bösen Karikatur tief betroffen und hat sich revanchiert, aber keineswegs gerächt. Ihr Roman „Lui” (1864) handelt „hauptsächlich von der Lie-'besaffaire zwischen Alfred de Musset und George Sand”, sie begnügte sich, „ein sehr vages und ungenaues Porträt von Gustave zu zeichnen”.

Sowohl das Phantasieprodukt Emma als auch Louise hatten eine kleine Tochter, beide waren leidenschaftliche Liebhaberinnen, Louise war mit einem guten Teil der literarischen Prominenz liiert. Einmal stürzte sie sich, als Musset zudringlich wurde, aus der dahinrasenden Kutsche - die dramatische Romanszene ist also authentisch. Louise (in bedrängten Verhältnissen lebend) überhäufte den Geliebten mit Präsenten, während der gutsituierte Flaubert ihr gegenüber nur mit Liebesschwüren freigiebig war: ganz wie bei Emma und dem Gutsbesitzer Rudolphe.

Dacia Maraini geht den ganzen Roman vom Anfang mit dem tolpatschigen Schüler Charles Bovary bis zum tragischen Ende mit der Arsen-Vergiftung Emmas und den Folgen durch, begut- beziehungsweise be-schlechtachtet geistreich typische Wendungen, so daß die geniale Szenenklitterung samt dem biographischen Kulissenhintergrund augenfällig wird. Ihr Buch wird selbst zum atemberaubenden Roman, und der Leser erfährt, wie die große Frauentragödie zustandegebracht worden ist. Neu und fazinierend auch für. den, der die kritischen Untersuchungen von Jean Paul Sartre und Jean Amery über das Thema gelesen hat.

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