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Roman oder Chronik der alten Armee?

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Der Marschallstab. Ein Roman aus Alt-Oesterreich. Von Rudolf von Eichthal. F. Speidelsche Verlagsbuchhandlung, Wien, 1952. 499 Seiten. Preis 89 S

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Der Marschallstab. Ein Roman aus Alt-Oesterreich. Von Rudolf von Eichthal. F. Speidelsche Verlagsbuchhandlung, Wien, 1952. 499 Seiten. Preis 89 S

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Rudolf von Eichthal darf sich rühmen, einen beachtlichen Leserkreis und einen festen Platz in der neueren österreichischen Literatur gefunden zu haben, mögen auch die Urteile über seine Bücher nicht immer einhellig sein. Der Autor wählt mit Vorliebe als Milieu seiner Schilderungen das habs-burgische Heer und findet damit immer lebhaftes Interesse, das freilich enttäuscht wird, wenn neben Betrachtungen von hleibendem Wert solche stehen, die der Nachwelt ein verzerrtes Bild überliefern und bei der alten Generation Kopfschütteln auslösen. „Der Marschallstab“ will ein Roman sein, in welchem alle Handlungen und Personen, wie im Nachwort versichert wird, „frei erfunden“ sind. Je weiter man jedoch die Seiten umschlägt, desto stärker wird das Empfinden, daß kein eigentlicher Roman vorliegt. Der Begriff dieser Dichtungsart fordert nicht unbedingt eine spannende Handlung — die der Leser vergeblich sucht —, er vereinbart sich aber jedenfalls schwer mit einer Vermengung von frei Erfundenem mit oft nicht zu verleugnender Selbstbiographie, auch nicht mit Handlungen und Personen, deren Entschlüsselung sich von selbst aufdrängt. Eichthal erklärt sich als Anhänger des Naturgesetzes, es gelte überall ein ständiges Auf und Ab, sein Werk folgt diesem Gesetz, denn es schwankt dauernd zwischen zwei Polen hin und her. An dem Hohelied auf die Ehe rankt sich z. B. erniedrigendes Beiwerk oder es wird die liebevolle Wiedergabe des österreichischen Offizierslebens durch Vokabeln aus dem Wortschatze der Grenzkasernenkantinen gestört. Den Kern des Buches bildet der Generalstab mit allen seinen Licht- und Schattenseiten: Hier wird allerdings echter Roman geboten, denn der altösterreichische Generalstab war in Wirklichkeit alles eher denn so, wie er gezeichnet wird. Ein Roman ist es zweifellos, daß der Generalstab seine fähigsten Köpfe aus einer Art Neid auf unscheinbare Posten abgeschoben hat, daß Angehörige dieses Stabes Ihre vorgesetzten Generale einfach durch Ehrenwort verpflichteten, sich zur Sicherung des Erfolges nicht in die Kommandoführung einzumengen, daß sie mit ihren Kommandanten in einer aller Disziplin und Erziehung hohnsprechenden Art verkehrten, und daß ein kleiner Generalstabsoffizier an der Front mir nichts, dir nichts einen verbündeten Monarchen ans Feldtelephon holte und von ihm Reserven erwirkte, ohne daß auch nur irgendeiner der eigenen Truppenführer davon wußte. Auch die Meinung über den — nicht frei erfundenen — Feldmarschall Conrad erscheint angesichts der unbestrittenen Anerkennung des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs in aller Welt romanhaft durch und durch. Man muß es aufrichtig bedauern, daß soviel gutes und vielfach positiv erprobtes Erzählertalent am gewählten Stoff nicht zu befriedigender Entfaltung gelangt. Mag sich die heutige Welt am „Marschallstab“ amüsieren, die Kenner der letzten Epoche der k. u. k. Armee werden daran vorbeisehen und sich an der Tatsache schadlos halten, daß die große Geschichtsschreibung dieser Armee schon lange ein unübertreffbares Denkmal errichtet hat, an dem Romane, welcher Art immer, nicht zu rütteln vermögen. Oskar H o f e r *

“(Zu einem anderen Buch des gleichen Autors fceht uns nachfolgende Stellungnahme zu:)

Neulich wurde ich von einem Holländer, der eben den „Grünen Federbusch“ von Eichthal gelesen hatte, angesprochen. „Das handelt ja von Ihrer Vaterstadt? Ein toll verlottertes Leben habt Ihr Czernowitzer geführt!“ Nach der Lektüre waren ich und die ganze Bukowinaer Diaspora zutiefst empört. Empört und verletzt, unsere Heimat, die unsere Vorväter in aufopferungsvoller Pionierarbeit aufgebaut haben und die wir für immer verloren, in solcher Weise diffamiert zu finden.

Eichthal hat, um seinem Buch einen erotisierenden haut-goüt zuzuschießen, sich Verallgemeinerungen geleistet, von denen ich nur zwei herausgreifen will: Eichthal zählt alle Stände der guten Czernowitzer Gesellschaft auf und behauptet, daß diese Frauen und Mädchen sich durch eine „Jossel-Organisation“ an zahlkräftige Kunden haben vermieten lassen. Daß es auch. anständige Frauen gegeben habe, gibt er zwar begütigend zu, aber nur gewissermaßen als Ausnahme von der Regel. Dann schleudert er über unsere ganze Stadt die feurigen Worte des Propheten: „Freudenhaus! Alle Kreuzwege Stätten der Unzucht! Am Eingang jeder Straße Zeichen der Feilheit!“ und flammt dann noch ein eigenes post scriptum dazu: „Abscheuliches Geschäft, das man in Czernowitz mit der Liebe treibt!“

Nicht nur, weil diese Verunglimpfung unsere Gesellschaft, unsere Mütter, Gattinnen und Schwestern trifft, sondern weil wir sowohl den „Jossei“ kannten — der traurige Kavaliere mit Halb- und Ganzprostituierten belieferte —, aber auch gegen den für kurze Zeit zugeteilten Oberleutnant Pfers-man von Eichthal, der unschwer im „Spielvogel“ des Buches zu erraten ist, dürfen wir uns wehren. Nie, nie, nie hat irgendeine Frau der besseren oder gar guten Gesellschaft etwas mit einer „Jossel“-Organisation zu tun gehabt!

Und nicht nur unwahr sind seine Schilderungen, sondern auch falsch seine Betrachtungen, wie etwa diese: „Der Ostwind hat in dieser Stadt die sieben Mauern umgeweht, die anderwärts noch um die Frauen als schwer übersteigbare Hindernisse aufgetürmt waren.“ Jede staatliche, soziale und moralische Auflockerung kam damals noch ausschließlich aus dem Westen. Denn, wo waren die schwarzen Zuchtschleier der Frauen? Wo die engen Haremsgitter? Wo die strengste Kontrolle der Väter, Gatten und Brüder über die Tugend der Frau? Die Moral unserer Vaterstadt war eher besser als die der übrigen Städte, weil eben Czernowitz vom Westwind noch nicht erreicht worden war!

Auch das Bauernvolk der Bukowina, das Eichthal auf ein praemoralisches Niveau herabzieht, müssen wir energisch verteidigen. Unwahr ist, daß man auf den Märkten den Bauernmädchen ihre schön gestickten Hemden in einem Haustor vom Leibe kaufen konnte und sie sich noch knicksend einverstanden zeigten, wenn der Käufer sie zu sich heimnahm und aus dieser „naiven Einstellung der Naturkinder“ weiteren Vorteil schlug, ohne der Organisation „Jossel“ Tribut zahlen zu müssen. — In Wahrheit verhielt es sich so, daß beispielsweise unsere Maler es niemals erreichten, Bäuerinnen zu Aktstudien zu bekommen; daß Aerzte erzählten, wie Bauernmädchen und Frauen sich nicht einmal im Spital zur Untersuchung entkleiden wollten, und ein Bauernbursche, der es einmal gewagt hatte, Mädchen beim Bade zu belauern, nach zwei Monaten vergipst und genäht aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Eine integre Einheit waren Tracht, Glauben, Ornamente, Tanz, Lied und Arbeitsrhythmus, und die wundervolle Erinnerung an diese Ganzheit voll lebendig erhaltener Symbolwerte wollen wir, die wir hier noch in Treue zusammenhalten, unsern Kindern und Enkeln rein und schön überliefern.

Es würde zu weit führen, all die Unsinnigkeiten aufzuzählen, die das Buch noch rein sachlich aufweist. Wir verwehren uns nur gegen die Beschmutzung der Ehre der Frauen und Mädchen. Sollte Eichthal sagen, daß er ja im Buch auch bestes über Czernowitz gesagt hat, so würden wir antworten, er komme uns vor wie jener Koch, der den Hahn mit schönen Worten lockt, um ihm dann den Hals umzudrehen!

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