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Romane

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ZEIT DER HOFFNUNG. Roman. Von C. P. Snow. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1960. Ubersetzt aus dem Eng- lischen von Grete Felten. 450 Seiten. Preis 16.80 DM.

Snow hat ein elfbandiges Werk (acht davon sind bereits in England erschienen) geplant, dessen erster Band in deutscher Ubersetzung vorliegt. Die Lebensgeschichte eines Mannes namens Percy, von diesem selbst erzahlt, soli entstehen: ein heutiger Mensch, durchschnittlich und begabt zu- gleich, mit alien Begegnungen, die sein Leben bestimmen. Im vorliegenden Band ist die Kindes-, Jugend- und Studienzeit Percys behandelt. Die Gestalt des Erziihlen- den wird an den Mitlebenden und Mithan- delnden deutlich — mehr als an den Re- flexionen dessen, der sich beschreibt. Dies gilt besonders fiir die Mutter des „Helden” und fur die erste groBe Liebe, das eigen- artige Madchen Sheila. In dieser Aus- sparung des Helden aus der sehr profi- lierten Umwelt liegt Snows dichterische Kraft, die die Langen der Ich-Erzahlung mildert.

DIE BOJAREN. Der Familienschmuck. Roman. Von Petru D u m i t r i u. Aus dem Franzosischen ubertragen von Elmar T op- hove n. Verlag Fischer, Frankfurt, 1960. 440 Seiten. Preis 19.50 DM.

Die Bojarenfamilie Cozianu zwischen 1862 und dem Beginn des ersten Welt- krieges wird hier geschildert. „Familien- schmuck” ist der erste Band der „Bojaren” betitelten Trilogie. Die sozialen und nationalen Spannungen einer bei uns fast unbekannten Welt sind den unsrigen um die gleiche Zeit sehr ahnlich; dieser Ver- gleich ist neben dem wirklich gegliickten und gekonnten Romanstil nicht die un- interessanteste Beigabe. Das eigentliche Geschehen in der Weltgeschichte ist, so Beigt sich auch hier wieder, nie neu. Dieser rumanische Roman ist eine sicher gezeich- nete Bestatigung dafiir.

DIE SCHALEN DES ZORNS. Roman. Von Ernst B r a u n e r. Verlag Claasen, Hamburg, 1961. 293 Seiten. 14.80 DM.

Die Schalen des Zorns sind fiber Orleans- ville, einer Stadt in Algerien, ausgeschfit- tet: Zorn Gottes, der sich als „Algerien- frage”, als Erdbeben, als Schicksal zwischen zwei nationalen und zwei religiosen Fronten fiber eine Stadt ergieBt. In dieser Kulisse des Zorns geschieht das, was fiber- all geschieht, auf der ganzen Erde und immer. „Wohin man blickte, sah man nichts als Armut, Arrnut in monstrosen Formen ... Armut, in der alles Leben ver- dorrte oder zu Schmutz verkrustete. Armut, die dieses Land heimsuchte wie eine Plage.” Und die Folge dieser Armut: „HaB wucherte in Faulheit und Faulheit gedieh schmarotzend am HaB.” Sind diese drei Seuchen Folgeerscheinungen der rassischen, religiosen oder kontinentalen Fronten? Oder stammen die heimlichen und be- wuBten, lauten und leisen Gegensiitze aus diesen Eastern des Landes? Jedenfalls findet Perrin, der Held des Romans, hier und fiberall „Milliarden blutig zuckender, lahg- sam verdorrender, schrumpfender oder schon zu Staub zerfallender Herzen!” Leben ist Ohnmacht und Angst, vor allem fehlt den meisten Menschen die Kraft zur Entscheidung — und nur durch diese kann sich der Mensch retten. Der Arzt Fon- taigne hat sich mit dieser geschopflichen Situation einverstanden erklart: „Ich will dir sagen, woran ich glaube. Ich glaube, daB wir nicht fragen durfen, weil wir die Antwort nicht verstfinden. Die kommt namlich ganz von selbst! Aber es konnte Sein, daB sie nicht auf unsere Frage pafit, weil die zu klein war, um die riesige Antwort iiberhaupt fassen zu konnen. Ich glaube, daB wir einfach dazusein und unser Bestes zu tun haben — und mit einer wahren Leidenschaft der Entscheidungt Dann werden wir verstehen. Es gibt kei- nen, den die groBe Antwort fibersieht, wenn er nur gerecht ist und voll Demut, wie es ihm zukommt. Daran glaube ich!” Mit diesem Glauben kann der Mensch all inneren und aufieren Erdbeben, Ungerech- tigkeiten, Fronten und das eigene Ver- sagen sogar fiberstehen, bestehen.

Dieser Roman, in der „Welt” und im osterreichischen „Kurier” bereits abge- druckt, ist ein Ereignis. Die Beschreibung des. Landes, die Charakterisierung der ‘Personen, die Leidensschilderung des Messali (eines revolutionaren Arabers), die Atmo- sphare, kurz: der ganze Roman ist eine Dichtung.

DIE DREI JAHRHUNDERTE DES KAS- SIAN TIMOFEJ. Roman. Von Hedwig Fleischhacker. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Koln, 1960. 635 Seiten. Preis 22.80 DM.

Wem die gute Fee Fewralitza in der Ge- burtsstunde die Gabe verJeiht, viermal so lange als die anderen Menschen zu leben, dem hat sie eine Wohltat und auc.i ein wehes Schicksal vermacht. Kassian Timofej ist ein Jahr alt, wenn ein anderes zur gleichen Stunde geborenes Kind vier Jahre alt ist. In einem so langen Leben erlebt man viel und vieles; wenn man es aufschreibt, um es einem spaten Urenkel zu erzahlen, kann man nur wichtige Stadien aufzeich- nen. Timofej, der Russe, lebt von der Kna- benzeit Peters des GroBen bis 1943, wo er bei einem Luftangriff auf Berlin um- komrnt. Die russische Geschichte, aber auch europiiische Geschichte von drei Jahrhunderten fiberdauert dieser „ewige Mushik”, Sanger, Historiker. Vier Bficher schreibt er: die Erinnerungen an Zar Peter und an den Mushik Iwan (seinen Bruder), die Erinnerungen an mich selbst, die Erinnerungen an meine Freunde, das Tage- buch von Bjesimjannyj Ostrov (der Insei seiner Verbannung), — Erinnerungen an 283 normal gezahlte Lebensjahre, knapp 71 Jahre nach bevorzugter Zahlung. — Dieser Roman ist ein gegluckter Wurf: An einer einzigen Personlichkeit sind drei Jahrhunderte mit dem Wechsel von Zeit- problemen sichtbar und eins geworden; der jeweilige historische Hintergrund spielt als Gewand eines einzigen Lebens mit. Damit wird dieser Roman zum Modell eines neuen Stils fiir den historischen Roman. Solche Erzahlung versohnt den Leser mit dem Leben, das zwar verwirrend schwer ist, aber a la longue doch immer noch etwas von Gottes Wohlgefallen aus den Schopfungstagen aufscheinen laBt.

„Es steht geschrieben, dafl Gott uns j nach seinem Ebenbilde schuf, Ebenbilder

Gottes heiflen wir, weil wir seines Odems erst froh werden, wenn wir — wie Kinder im Spiel die Welt der Er- wachsenen — seine Welt nachschaffen. Die Bauern tun es auf dem Feld, die Priester am Altar, die Lehrer in den Schulen... Sie sind alle im groflen Spiel, im groflen Schauspiel der Ebenbilder beschdftigt.”

Und darum ist jedes Sterben, das nach kurzem oder langstem JahresmaB ge- messene gut, „etwas Herrliches, eine Wiedergeburt ... in den Wehen des Todes ist der Leib die Mutter, die Seele das Kind. Wir mussen sterbend unsere Seele ge- baren”. Und dies nach allem gelebten Leben. Das ist der Sinn und — dankbar liest dies der Leser des Romans aus dem Leben des Kassian Timofej.

MORD IM NONNENKLOSTER. De- tektivroman. Von Eric Shepherd. Ubersetzt aus deni Englischen von Gotz Wagner. Herder-Bucherei 87. 174 Seiten. Preis 2.40 DM.’

Eine armselige, zankische, tyrannische Frau wird im Gastetrakt eines Nonnen- klosters ermordet. Mit der Mordkommis- sion und dem Detektiv von Scotland Yard, Inspektor Pearson, bekommen wir Ein’blick in klosterliche Gepflogenheiten, kloster- lichen Gehorsam, klosterliche Verschro- benheiten und Demut, klosterliche GroBe und in das Menschbleiben unter Nonnen- schleiem. Aber auch Klosterschulerinnen spielen ihre Rolle mit u.d allerhand er- fahrt man: wie die Erzieherinnen und die Schulerinnen miteinander umgehen — oder man erkennt wenigstens, wie sie miteinander umgehen sollten. Das alles ist eine Apologie furs Klosterleben in Form eines Detektivromans, der seinerseits sehr span- nend ist. Und dieser englische Humor! Geschrieben von einem an sich Unbeteiligten und apologetisch Uninteressierten: Eric Shepherd, Sohn eines englischen Predigers.

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