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Romane für Viel-Leser

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FÜR KINDER DIE HÄLFTE. Von Christian Grote. Suhrkamp-Vcrlar, Frankfurt /Main, 1983. 254 Seiten. Preis 15 DM. — UNENDLICH WIE DAS MEER. Von Jan Dobracnjn-• k i. F.-H.-Kerle-Verlar. Heidelberg, 1863. 307 Seiten. Preis 12.80 DM. — AMERIKA AMERIKA. Von Elia Kasan. Alfred-Sehen-Verla*. Bcrn-Stuttrart-Wien, 1963. 209 Selten. Frei 14.80 fr. — DAS VERDORBENE PARADIES. Von Johannes R ü b e r. Verlar Jakob Hemer, Köln, 1963. 214 Selten. Preis 15.80 DM. — LIEBE IST NUR EIN WORT. Von Johannes Mario Sinne]. Droemersche Verlarsanstalt Th. Knaur Nachf., München/Zürich, 1963. 605 Selten. Preis J45.60 S. — DIE ZEIT LAUERT IM HINTERHALT. Von Francis C I 1 f f o r d. Verlar Die Arche, Zürich. 1962. 224 Selten. Preis 12.80 sfr. — ENTSCHEIDUNG AUF DELPHI. Von Helen Mc Innen. Freti-&-Wasmuth-Verlar, Zttrlch-Stuttrnrt, 1963. 320 Seiten. Preis 18.50 sfr.

„Einmal etwas anderes“, ist der erste Eindruck, den die Lektüre des Buches „Für Kinder die Hälfte“ vermittelt, wobei es überflüssig scheint zu betonen, daß aus dem „Anderssein“ nicht notgedrungen das „Gutsein“ folgen muß. Handelt es sich vor allem um das Werk eines jungen Autors, liegt der Verdacht nahe, daß er diesem Trugschluß erlegen ist. Nicht so Grote. In seinem „Bericht“ über eine Kindheit, die in die Zeit des Krieges fällt, begegnen dem Leser drei Personen in der Person eines namenlosen Kindes: Das Kind selbst im Vordergrund, ohne Zweifel das Kind Christian Grote; der Erwachsene Christian Grote, der sich an seine Kindheit erinnert und reflektierend über sie nachdenkt, und der Autor Christian Grote, der dieses Kind sprechen und handeln läßt. Daß .diese drei Personen nicht deutlich sichtbar werden, nicht auseinanderfallen, sondern weitgehend eine Einheit bilden, daß somit dem Autor die stoffliche und formale Bewältigung des sicherlich nicht einfachen Themas gelungen ist, gibt zu den besten Zukunftshoffnungen Anlaß.

Sollte der polnische Name eines Romanautors zu einem neuen Gütezeichen für Leser, die ein gutes Buch suchen, werden? Wer die Romane von Czerski und nun das Buch von Dobraczynski „Unendlich wie das Meer“ gelesen hat, wird sich dieser Ansicht zumindest vorläufig nicht verschließen können. Welcher Zukunft gehen wir entgegen? Diese Frage stellte sich der Autor und zeichnete als Antwort einen Weltuntergang, genauer den Untergang des Abendlandes nach einer ungeheuren, durch eine menschliche Fehlleistung verursachten atomaren Katastrophe. Auch die Kirche wird in dieses unermeßliche Leid hineingenommen. Im Auffanglager der todgeweihten Europäer hat der letzte gewählte Papst zu entscheiden, auf welche Weise Amt und Auftrag weitergegeben werden können. Das unzerstörbare Vertrauen auf Gott und der Glaube an die Unvergänglich-keit der Botschaft Christi weisen ihm den Weg: Er übergibt den übernommenen ^Fischerring einem -schwaezen-Boten, der ihn an einen unbekannten schwarzen priesterlichen Mitbruder im einzig unversehrt gebliebenen Afrika weitergeben soll; doch nicht den Ring allein, auch eine Botschaft: „Weisheit ist Liebe.“

Aus einer Folge von plötzlichen Kameraschwenkungen, Großaufnahmen und kühnen Schnitten setzt sich das Buch „Amerika Amerika“ von Elia Kazan zusammen. Wer es liest, macht einen Blick in die Werkstatt und in die Gedanken eines Dreh-

buchautors und Regisseurs. Dies nicht direkt, denn die Handlung ist die Auswanderung eines jungen Griechen nach Amerika; aber indirekt erlebt der Leser, wie die Personen in Einzeleinstellungen Gestalt annehmen, in Bildern leben. Kazan wollte keinen Roman schreiben, sondern den Entwurf zu einem guten Drehbuch, und dieser Entwurf ist gelungen.

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In die Landschaft Vergils stellt Rüber seinen Roman „Das verdorbene Paradies“; den Beginn Vergils vierter Ekloge stellt er ihm voran: „Trotzdem bleiben noch Flecken der uralten Sünde, welche das Meer zu befahren, welche die Städte und Mauern rings zu umgürten, welche die Erde zu pflügen gebieten“; und der Vergilschen variatio von Dialog und Monolog, von Anklage und Abrechnung folgt die Handlungsführung. Im Mittelpunkt der in klassisch strengem Stil bewältigten Handlung steht ein noch nicht geborenes, doch schon ermordetes Kind, „Cölest“, das als Gleichnis gelten soll für die Zerstörungswut und den Hang zur Katastrophe, die dieses Jahrhundert wie keines sonst kennzeichnen und die immer wieder neue Hoffnungen

zunichte machen können. Der Roman stellt ein gutes Beispiel dafür dar, daß die antiken Stilmittel, richtig verstanden und unserer Zeit entsprechend angewendet, nichts von ihrer Lebendigkeit und Gestaltungskraft eingebüßt haben.

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Schon der Titel ist eine Lüge, und so hätte auch „Lüge ist nur ein Wort“ zu Simmeis letztem Roman besser gepaßt; denn dieser Titel hätte wenigstens die Einstellung des Autors seinen Lesern gegenüber charakterisiert. Simmel wollte ohne Zweifel einen Bestseller schreiben: In der unter der Flagge Liebe segelnden Verherrlichung eines Ehebruchs, garniert mit, man kann nur sagen, schnoddrigen Aussprüchen Internatshalbwüchsiger und übergössen mit der dicken Sauce der Probleme deutscher Wohlstandssattheit, glaubte er das richtige Rezept dafür zu sehen. Und der anfängliche Verkaufserfolg schien ihm auch Recht zu geben. Als jedoch der Bedarf der, nach solchen Machtwerken, die „zeigen, wie das Leben wirklich ist“, ewig dürstenden Illustriertenleser gedeckt war, verschwand das Buch auch sofort von den Bestsellerlisten. Darüber freute sich der Rezensent.

Als „zarte Liebesgeschichte, erfüllt von brennenden Leidenschaften“ wird Cliffords Roman „Die Zeit lauert im Hinterhalt“ im Klappentext dem Leser angepriesen. Es ist hier nicht der Platz, um auf die Problematik der Klappentexte, auf ihren immer deutlicher werdenden Niedergang näher einzugehen. Lediglich

eine Frage sei gestellt: Ist es wirklich notwendig, daß auch im Verlagswesen sehr zweifelhafte Werbemethoden in einem derartigen Ausmaß um sich greifen müssen? Clif-ford schließt sich Simmel an: Auch er macht den Ehebruch zur bewegenden Komponente seiner Dreieckserzählung, die dem Inhalt nach einem Kriminalroman sehr nahe verwandt ist. Doch — und das zu erwähnen, sei hier nicht vergessen — ist hier die Handlungsführung glaubwürdiger, wirkt die Auflösung echter, und das bedeutet bei solchen Büchern schon viel.

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„Endlich einmal Liebe, die nicht mit Ehebruch, Abtreibung und Selbstmord in Zusammenhang gebracht wird“, atmet jener auf, der das Buch der amerikanischen Auto-

rin Mac Innes „Entscheidung auf Delphi“ liest, sondern Liebe, die die Kraft gibt, auch schwierige Situationen zu bewältigen, die eine der Grundlagen der Behauptung im Leben darstellt. Diese Liebe zwischen einem amerikanischen Photographen und seiner Mitarbeiterin wird von der Autorin in die „Bewältigung der griechischen Vergangenheit“ hineingestellt, in die Partisanen- und Sippenkämpfe, die 15 Jahre nach dem Krieg noch immer nicht zu Ende gegangen sind, deren Folgen noch immer nicht überwunden werden konnten. Bestimmt kein aufsehenerregendes Buch, auch kein großartiges Werk, aber ein lesenswerter Roman — und das können heute nicht allzu viele Romane von sich behaupten.

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