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Romeo und Julia für Teenager

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Wir haben Leonard Bernsteins „West Side Story” vor fast genau drei Jahren anläßlich eines Gastspiels des Ensembles von Tampere im Theater an der Wien kennengelernt und damals ausführlich besprochen. Kaum einer der jungen finnischen Akteure konnte singen, kaum einer war als Tänzer ausgebildet. Wir bezeichneten damals die Aufführung als „hart, laut und rasant”. — Nun hat Dr. Marcel Prawy nach dem New Yorker Modell und in engem Anschluß an die Inszenierung und Choreographie von Jerome Robbins für die Volksoper eine eigene Produktion erarbeitet. Er hat (erstmalig) den Text .ins Deutsche übertragen und für das über 40 Mitglieder zählende Ensemble eine ganze Reihe neuer Mitwirkender gewonnen: junge

Amerikaner, Reinhardt-Seminaristen und andere.

Was hier als Ergebnis einer etwa eineinhalb jährigen Arbeit vorgeführt wird, ist bemerkenswert, wenn auch noch nicht so intensiv und selbstverständlich wie die finnische (und wohl auch manche amerikanische) Produktion. Dieser sowohl auf Perfektion zielende wie rasante Drive-Stil muß in einer langen Serie von Aufführungen (die die „West Side Story” wohl haben wird) erworben werden. Aber auch so ist sie, zumindest für Jugendliche, überzeugend.

Bekanntlich haben Arthur Laurents und Jerome Robbins die das persönliche Glück eines Liebespaares zerstörenden Familienkonflikte zwischen den Montagues und den Capulets nach Manhattan im Westen New Yorks verlegt und von zwei sich bekämpfenden Halbstarkenbanden austragen lassen: den „Jets” und den „Sharks”. Diese Auseinandersetzung zwischen eingeborenen Nordamerikanern und zugewanderten Puertoricanern war einmal sehr aktuell, und ähnliche Konflikte können jederzeit wieder aufflammen. Die eigentliche Heldin und Leidende, die den Bruder und den Geliebten verliert, ist Maria. Sie heißt Julia (!) Migenes und ist Puertoricanerin.

Es war eine ausgezeichnete Idee von Dr. Prawy, die New Yorker von Heimischen und die Puertoricaner von Gästen mit zum Teil fremdländischem Akzent spielen zu lassen. Freilich, was sie reden und singen — das hat kein Shakespeare gedichtet (und auch keiner in seiner Nachfolge). Fast war uns das unverständliche Finish, damals im Theater an der Wien, lieber: da konnte man sich allerlei dabei denken und ausmalen … Hier müssen wir hören: „Von der Wiege zum Sarg, ein Jet bis ins Mark” und „Ihr macht aus unserer Welt einen Haufen Dreck”, sagt ein Erwachsener, worauf ihm ein Jugendlicher antwortet: „So haben wir sie vorgefunden.” Es steckt nämlich auch allerlei Sozialkritik in dem Text…

Bernsteins Musik hat vorwiegend gestischen Charakter. Sie ist hart und sentimental je nach Bedarf, sehr „gekonnt” und um dramatische Akzente nie verlegen. In der Volksoper klang das Blech (welches in dieser Partitur eine dominierende Rolle spielt) allzu knallig, so daß einem die Ohren schmerzten. Aber irgendwie paßte das zu dem grellbuntlebendigen Milieu und dem gefährlichen Leben, das die beiden Jugendbanden führen. Der Dirigent Lawrence Leonard wird gut tun, einmal seinen Assisteten ans Pult zu stellen und sich in den Zuschauer- raum zu setzten, womöglich auf die linke Seite — wohin nämlich das Blech am stärksten schießt.

Als Inszenator und Choreograph hat Alan Johnson fleißig gearbeitet und aus dem buht zusammengewürfelten Ensemble versucht, eine Truppe zu machen. Wolfram Skalic- kis Bühnenbilder, mit hereinrollbaren kleinen „Innenräumen”, waren meist in düsteren Farben gehalten und gaben eine gute Kontrastfolie für Monika von Zallingers papageienbunte Kostüme.

Im Unterschied zu den jungen

Finnen konnten die Wiener Akteure dieser Romeo-und-Julia-Tragödie unter Halbstarken nicht nur tanzen, sondern auch singen, am schönsten (fast zu schön) Adolf Dallapozza und Helge Grau (Jets), der rassige Italoamerikaner, Carmine Terra, Julia Migenes und Arline Woods (Sharks). Daneben hatten es die „Erwachsenen” Hais, Schrenk, Tötschin- ger und Langheim schwer, sich zu behaupten. Aber es gelang ihnen trotzdem. Das Publikum war von dem dreistündigen Premierenabend, dessen 15 Bilder rasch und flott vor- beirollten, sehr animiert.

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